Schicksal zu schaffen. Und nun dringt sie in einen Menschen, den sie nur flüchtig vom Sehen her kennt?
»Doch, auch ich«, versichert er ernsthaft. »Aber ich bin allerhand gewohnt.«
Der Wagen hält, und Peter Bendler springt sofort hinaus, um ihr zu öffnen. Er reicht ihr die Hand.
»Schönen Dank und – vielleicht kümmern Sie sich einmal um meine Monika. Das heißt«, setzt er hastig hinzu, »wenn es Ihre Zeit erlaubt und wenn Monika Ihnen Freude macht.«
Flüchtig nimmt sie seine Hand. »Das werde ich mir überlegen. Gute Nacht!«
Sie eilt auf das Haus zu und ärgert sich. Sie hätte ihn doch wenigstens fragen können, wie es mit den Verträgen steht. Nun ist es zu spät.
In dieser Nacht findet Patricia wenig erquickenden Schlaf. Immer wieder taucht in ihren Träumen ein blondgelocktes Mädchen auf und ein Mann, der mit diesem kleinen Mädchen einsam ist.
*
Tage sind über diesem Erlebnis vergangen. Barbara ist immer noch krank. Aber Patricia hat sich gut in ihre Arbeit eingelebt.
Peter Bendler begegnet sie öfter in der Verwaltung. Mit einem kurzen Gruß eilt sie an ihm vorüber, obgleich sie oft das Gefühl hat, daß er ihr etwas sagen möchte.
An einem der nächsten Tage, in der Mittagspause, steht er plötzlich unangemeldet bei ihr im Vorzimmer.
»Der Generaldirektor ist weggefahren«, sagt sie nicht unfreundlich.
Er zieht sich einen Stuhl herbei. »Ich komme zu Ihnen.« Er stockt und sucht mühsam nach Worten. »Meine Tochter schickt mich zu Ihnen. Könnten Sie nicht einmal bei uns vorbeikommen?«
»Wenn Sie wieder einmal Überstunden machen – warum nicht?« erwidert sie und ist über den betroffenen Ausdruck seines Gesichtes beinahe belustigt.
»Stört Sie meine Anwesenheit?«
»Hier in meinem Zimmer?« fragt sie mit leichtem Lächeln.
Er macht eine matte Handbewegung. »Nein, ich meine in meiner Wohnung.«
»Wenn Sie bei Ihrer Tochter sind, braucht sie mich doch nicht«, erwidert sie eigenwillig.
»So habe ich es nicht gemeint.« Er sieht enttäuscht aus. »Aber ich werde es Sie wissen lassen, wenn ich wieder einmal länger arbeiten muß. Mahlzeit!«
Ehe sie noch eine Entgegnung findet, hat er sie verlassen. Ärgerlich über sich selbst läßt sie sich auf ihren Sessel zurücksinken. Irgendwie tut ihr der Mann leid, der unter Hemmungen leiden muß.
Sie hat sich längst im Werk über ihn erkundigt, denn Baumann wünschte es. Alles mögliche wollte er über Bendler erfahren. Sie weiß, daß er nur seine Arbeit kennt und die wenige Freizeit seiner Tochter widmet. Auch über seine Fähigkeiten ist sie bestens informiert.
Es fällt ihr nicht schwer, ihn vorzuschlagen, als Baumann am nächsten Tag fragt:
»Wir bekommen heute unsern spanischen Besuch, Fräulein Hellberg. Wen könnte man aus der Auslandsabteilung nehmen?«
Patricia wird glühend rot. Diese Frage ist eine Auszeichnung für sie. Bisher hat Baumann noch immer getan, was er wollte.
»Wenn ich Ihnen schon raten darf, dann würde ich Peter Bendler zu der Konferenz als Protokollführer vorschlagen. Er kennt die bisherigen Verträge und ist außerdem kein Schwätzer.«
»Einverstanden. Bestellen Sie ihn zu mir.«
Patricia zieht sich ins Vorzimmer zurück und läßt sich mit der Buchhaltung verbinden. »Herr Bendler zum Herrn Generaldirektor«, sagt sie kurz.
Wenig später erscheint er. Patricia weist auf die gepolsterte Tür, und Bendler hat sofort begriffen.
Mit einigem Herzklopfen betritt er das Allerheiligste.
Baumann sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch wie ein Herrscher auf seinem Thron.
Mit einer Handbewegung fordert er Bendler zum Platznehmen auf.
»Was ich mit Ihnen zu besprechen habe, ist schnell gesagt«, beginnt Baumann und mustert den vor ihm Sitzenden scharf. »Sie kennen die spanischen Verträge. Heute gegen siebzehn Uhr findet eine Konferenz im Grünen Zimmer statt. Ich wollte Sie bitten, das Protokoll zu führen.«
Erregt erhebt Bendler sich.
»Ich – ich soll –«, stammelt er.
»Ja, das sollen Sie«, unterbricht Baumann den Fassungslosen trocken. »Wir sprechen uns nach der Konferenz noch einmal.«
»Danke schön«, sagt Bendler, nicht unterwürfig, aber höflich.
Er verläßt den Raum und bleibt vor Patricias Schreibtisch im Vorzimmer stehen.
»Wissen Sie, was das bedeutet?«
Sie richtet die großen nachtdunk-len Augen voll auf ihn, so daß er von der Tiefe dieser Augen betroffen ist. Jetzt bemerkt er auch die außergewöhnliche Schönheit des jungen Mädchens. Er starrt sie an wie ein Wunder. Patricia ist es gewohnt, angestarrt zu werden. Sie reagiert schon gar nicht mehr darauf. In diesem Augenblick hält sie aber Bendlers Fassungslosigkeit für eine Folge von dem, was Baumann ihm eröffnet hat.
»Sie sollen bei der Konferenz zugegen sein, ja, das weiß ich«, antwortet sie mit ruhiger Gelassenheit. »Sie sind nun einmal in die Angelegenheit eingeweiht. Der Generaldirektor legt größten Wert auf Verschwiegenheit.«
»Danke!« sagt er auch hier kurz und geht.
*
Abends verläßt Patricia zeitig ihren Arbeitsplatz. Sie kauft ein, was ein Kinderherz erfreuen kann, und macht sich auf den Weg zu Bendlers Wohnung. Monika öffnet ihr mit hochroten Wangen.
»Tante – du?« Mit einem Sprung fliegt sie Patricia um den Hals, so daß die Tüte mit Obst auf den Boden fällt und die Früchte umherrollen.
Gemeinsam sammeln sie sie lachend wieder ein.
»Wie schön, Tante –« Monika kann sich vor Freude kaum halten. »Wie – wie heißt du denn sonst noch?«
»Patricia«, erwidert diese und folgt Monika in die Küche. Hier sieht sie, daß das Kind eben dabei war, den Fußboden aufzuwischen.
»Schöner Name.« Monika dreht sich zu ihr um und strahlt sie aus tiefblauen Augen glückselig an. Es sind Peter Bendlers Augen – durchdringt es Patricia.
»Du darfst Pat zu mir sagen, Monika. So nennen mich alle, die mich liebhaben.«
Innig schmiegt das Kind sich an sie. »Ich hab’ dich auch lieb und hab’ Vati jeden Tag gefragt, ob du endlich einmal zu uns kommen würdest.« Mit einem frohen Seufzer setzt sie hinzu: »Und nun bist du da.«
»Ja, Liebes, nun bin ich da.« Patricia legt alles, was sie mitgebracht hat, auf den Tisch, sie sieht sich nach einer Schürze um, die sie sich schnell umbindet, immer von Monikas erstaunten Augen verfolgt.
»Wir werden gemeinsam die Wohnung saubermachen, Monika. Dann trinken wir Tee zusammen, und du machst deine Schulaufgaben. Ist dir das recht?«
»O ja«, strahlt Monika, und bald sind beide am Wirtschaften. Sie lachen und scherzen dabei, wie es die kleine Wohnung selten erlebt hat. Auch Blumen hat Patricia mitgebracht.
»Ich hole nur eben eine Vase«, sagt sie zu Monika und verschwindet im Wohnzimmer. Suchend blickt sie sich dort um. Nirgends kann sie ein Bild entdecken, das Monikas Mutter darstellen könnte. Hier müßte man nur die Möbel etwas umstellen, und schon bekäme das Zimmer ein gemütlicheres Aussehen.
Sie findet eine Vase, stellt die Blumen hinein und holt sich aus der Küche Wasser.
»Weißt du, Moni, soeben habe ich mir überlegt, wie wir das Wohnzimmer netter herrichten könnten. Willst du mir dabei helfen?«
Monika ist mit Feuereifer dabei, und bald erkennt man den Raum nicht wieder.