in Monikas Tasche verpackt.
»Warte hier, Kleines. Ich hole schnell meinen Mantel. Aber nicht fortlaufen«, sagt sie schon von der Tür her.
Ziemlich ungewöhnlich kommt Baumann die nächtliche Szene vor. Erstmals überkommt ihn etwas wie Unsicherheit, und er merkt nicht, wie er dadurch menschlicher erscheint. Jedenfalls beobachtet Bendler den Chef scharf und kommt zu diesem Ergebnis.
Patricia ist schnell zurück. »Nun komm, Monika«, unterbricht sie die eingetretene Stille, nimmt deren
Händchen und will gehen. Baumanns brummende Stimme hält sie zurück.
»Und ich bekomme keine Hand?«
Monika dreht sich um, macht einen tiefen Knicks und sagt leise: »Gute Nacht!«
Bendler und Baumann sind allein.
»Ich muß schon sagen, sehr freundlich ist Ihr Fräulein Tochter nicht.«
»Sie müssen entschuldigen«, verteidigt Bendler sein Kind. »Das Mädchen ist schon lange ohne Mutter. Jetzt erst fällt mir auf, daß Monika ziemlich selbständig ist.«
»Dann sollten Sie ihr rasch eine neue Mutter geben«, sagt Baumann trocken und zielt auf die Tür zu. »Kommen Sie, Bendler. Beginnen wir, sonst sitzen wir zum Frühstück noch im Bau.«
Bendler arbeitet so rasch und zur vollsten Zufriedenheit des Generaldirektors, daß dieser den Mann mehrfach prüfend mustert.
Hm! Macht eine gute Figur. Scheint allerhand zu können und ein Arbeits-tier zu sein, wie er selbst eins ist.
Den Mann muß er sich merken. Bisher ist er ihm noch nicht aufgefallen.
*
Indessen hat Patricia das kleine anschmiegsame Mädchen im Taxi heimgebracht. Schon im Wagen hat es in ihrem Arm geschlummert. Es hat ihr leid getan, es nun aus dem ersten fe-sten Schlaf zu reißen. Doch Monika ist sofort hellwach und kein bißchen weinerlich, wie es Kinder in solchen Lagen meist zu sein pflegen.
»Sind wir schon da, Tante?«
Tapfer steigt Patricia hinter Monika her durch ein schmales, nur notdürftig beleuchtetes Treppenhaus. Im dritten Stock schließt Monika eine Tür auf. Schnell liest Patricia den Namen:
Peter Bendler.
Es ist nur eine kleine Wohnung, in die Patricia geführt wird. Ein Wohnzimmer mit Schlafcouch, ein kleineres Zimmer, das Monika gehört, dazu eine schmale Küche und ein ebenso schmaler Flur.
»Hier schläft Vati«, erklärt Monika stolz und führt Patricia in das Wohnzimmer, wo das Kind schon die Couch für die Nacht vorbereitet hat.
Aufmerksam sieht Patricia sich um. Hm! Sehr einfach alles. Sauber zwar, aber doch vermißt man irgendwie die sorgende Hand einer tüchtigen Hausfrau.
»Und du machst alle Hausarbeiten selbst?«
Monika nickt stolz. »Seit Mami tot ist, sind wir allein, Vati und ich.«
»Und wann machst du deine Hausaufgaben?« erkundigt Patricia sich weiter.
»Sobald ich Zeit habe.«
Arme Kleine! So jung noch und schon so verantwortungsbewußt. Ob das Kind wohl jemals dazu kommt, wie ein richtiges Kind zu spielen? Sie reißt sich schnell aus ihren Gedanken.
»Zeig mir das Bad, Monika«, bittet sie das Kind. »Ich helfe dir, dich für die Nacht fertigzumachen, und dann bleibe ich bei dir, bis du eingeschlafen bist, ja?«
Monika strahlt und huscht vor Patricia her. Im Badezimmer hilft sie dem Kind bei der Nachtwäsche, hüllt es in das Nachthemd und trägt es, da es zart und leicht ist, zurück in sein Zimmer.
Als Monika im Bett liegt, neben sich einen arg mitgenommenen Teddy, merkt Patricia erst, wie kindlich Monika jetzt auf einmal aussieht und wie glücklich sie über ihre Anwesenheit ist.
»Gute Nacht, Monika – und schlaf recht schön.«
»Gute Nacht, Tante – du bleibst doch bei mir, bis Vati kommt? Oder mußt du fort?« Die Augen Monikas hängen flehend an dem Mund Patricias.
»Das ist doch klar, daß ich warte, bis dein Vati kommt.« Sie kann nicht anders, sie drückt ihre Lippen auf den Mund des Kindes, deckt es behutsam bis zum Kinn zu und flüstert: »Gute Nacht, Liebes, nun schlafe.«
»Du bist lieb – beinahe wie Mutti«, kommt es zaghaft und schon schläfrig aus den Kissen.
Patricia wartet, bis die Atemzüge des Kindes gleichmäßig ruhig werden, dann geht sie auf Zehenspitzen in das Wohnzimmer zurück. Hier setzt sie sich im Dunkeln an das Fenster. Unter ihr gähnt der dunkle Schacht der Straße, nur spärlich von Lampen erhellt. Ihr gegenüber flammt in regelmäßigen Abständen Neonreklame auf und läßt sekundenlang das Zimmer in blauem, rotem und gelbem Dämmerlicht erscheinen.
Nein! Schön wohnt dieser Peter Bendler gewiß nicht. Und für das Kind ist es wohl auch nicht zweckmäßig, um sich richtig entfalten zu können.
Als Oberbuchhalter könnte er sich doch ohne weiteres eine Wohnung im Grünen erlauben. Vielleicht hängt er auch an dieser Wohnung? Vielleicht birgt sie alle Erinnerungen an die verlorene Frau?
Geblendet schließt sie die Augen, als die volle Deckenbeleuchtung sie trifft, die Peter Bendler bei seinem Eintritt angeknipst hat. Mehr bestürzt als erfreut verharrt er neben der Tür, die er langsam ins Schloß gezogen hat.
»Sie sind noch hier?« Staunen begleitet seine Frage.
Patricia erhebt sich und taumelt ein wenig. Sie ist hundemüde, dazu die Hetze des Tages und die sich beinahe überschlagenden Ereignisse. Sie sehnt sich nach ihrem Bett, andere Gedanken hat sie kaum.
»Ihre Tochter wollte es so«, sagt sie matt und greift nach ihrem leichten Mantel, nach Hut und Tasche. »Nun kann ich beruhigt heimgehen.«
»Selbstverständlich begleite ich Sie.«
»Nicht nötig«, wehrt sie kühl ab. »Irgendwo werde ich wohl ein Taxi auftreiben.«
»Sie müssen es mir aber gestatten«, beharrt er eigensinnig. »Nachdem Sie sich so liebenswürdig meiner Tochter angenommen haben.«
Sie zuckt hilflos die Schultern, und er begleitet sie die Stufen hinab. Wortlos gehen sie die Straße entlang, bis er endlich ein Taxi auftreibt.
»Ihre Adresse?«
Sie nennt sie ihm und will ihm die Hand zum Abschied reichen, doch er nimmt sie nicht, sondern geht um den Wagen herum und setzt sich neben
sie.
»Es ist Ihnen unangenehm«, bricht er das Schweigen, während der Wagen durch die Nacht rollt. »Man kann es mühelos von Ihrem Gesicht lesen. Aber es würde mich beunruhigen, wüßte ich Sie nicht in guter Hut.«
»Wie liebenswürdig«, spöttelt sie, den Blick geradeaus gerichtet. »Um mich, die Fremde, sorgen Sie sich, und Ihr kleines Mädchen vergessen Sie?«
Im Dunkel des Wagens sieht sie nicht, wie sich seine Stirn rötet.
»Sie haben ganz recht«, meint er nach einer Weile leise. »Heute habe ich Monika wirklich vergessen. Wie konnte ich wissen, daß Gottfried das Kind ins Werk läßt?«
»Monika hätte sich zu Hause nicht weniger geängstigt. Oder sind Sie der Ansicht, daß ein zehnjähriges Mäd-chen schon ein fertiger Mensch ist, ohne Furcht und sonstige kindlichen Gefühle?«
»Wir sind das Alleinsein gewohnt«, sagt er resigniert.
»Sie vielleicht«, ereifert Patricia sich, weil die Gedankenlosigkeit des Mannes sie empört. »Ihr Kind braucht aber Gesellschaft. Würde es sonst in der Nacht zu Ihnen laufen, um Sie zu suchen?«
Er neigt sich etwas vor und erkennt undeutlich ihr blasses, müdes und abgespannt wirkendes Gesicht.
»Entschuldigen Sie, Fräulein Hellberg, ich wollte Sie nicht böse machen und mit meinen Problemen belästigen.