Der legt die Zeitung aus der Hand und folgt ihrem Beispiel, horcht hinaus in das Toben der anbrechenden Winternacht.
Das Heulen des Hundes wiederholt sich in kurzen Abständen.
Aschfahl ist des Birkenhofbauern Gesicht geworden. Seine Fäuste umspannen die Tischkante.
Ist man schon gekommen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen? Oder ist es das eigene Gewissen, das bohrt und mahnt?
»Ja – das ist Tyras – das hat etwas zu bedeuten!« antwortet Hartmut, erhebt sich schwerfällig und greift nach seiner wetterfesten Joppe.
Christine nimmt ein wollenes Tuch um und folgt ihrem Mann.
Mit einiger Mühe gelingt es Hartmut Lorenz, den Querbaum am Hoftor zu-rückzuschlagen. Gemeinsam öffnen sie das Tor.
»Mein Gott!« entfährt es dem Jungbauern entsetzt; er bückt sich, tastet mit den Händen über die Gestalt einer Frau, die zu seinen Füßen liegt.
Auf kräftigen Armen trägt Hartmut Lorenz die Fremde an den angstgeweiteten Augen seiner Frau vorbei in die Wohnstube.
An allen Gliedern zitternd und bebend, eilt Christine hinter ihm her, kommt gerade zurecht, als Hartmut aus den erstarrten Armen der verhüllten Gestalt ein armseliges Bündel befreit.
Ein heller Laut, dem ein klägliches Wimmern folgt, unterbricht die eingetretene Stille.
»Du lieber Himmel – ein Kind!«
In Christine Lorenz’ Gestalt kommt Leben. Sie reißt dem Bauern das kleine Wesen förmlich aus den Händen, tritt damit unter die Lampe und beginnt, es vorsichtig von seinen Hüllen zu befreien.
Ein wohliges Gefühl durchrieselt sie, liebevoll drückt sie den zarten Kinderkörper an ihr Herz.
»Mutti – Mutti!«
Mit sanften Händen bettet Christine das Kind auf die gepolsterte Bank nahe bei dem riesigen Kachelofen.
Dort sitzt es, das kleine Wunder, schaut mit schmerzlich verzogenem Mündchen auf die bunten Kacheln und von da hin zu der Mutter, die stumm und bleich auf dem Ruhebett liegt.
»Christine!«
Die junge Frau eilt an die Seite ihres Mannes. Beim Anblick der Fremden preßt sie unwillkürlich die Hand auf das Herz.
»Wie schön sie ist! – Was ist mit ihr?«
Hartmut Lorenz zuckt die Achseln.
»Es wird ihr nicht mehr zu helfen sein«, sagt er leise. »Das Herz steht still – aber immerhin, versuchen wollen wir es wenigstens.«
Vorläufig gilt dem Kinde kein Gedanke. Alle Fürsorge wird der jungen Mutter zugewandt. Aber jedes Bemühen bleibt leider ohne den geringsten Erfolg.
Klein Magda hat die Müdigkeit übermannt. Mit zur Seite geneigtem Köpfchen und halbgeöffnetem Mund schläft sie süß – nicht wissend, daß der unbarmherzige Tod ihr die Mutter genommen. –
Als der Arzt kommt und mit ihm der Bürgermeister, kann er nur noch den Tod der Fremden bestätigen.
Dann stehen sie alle um das Lager des Kindes herum, Mitleid im Herzen und Ratlosigkeit in den Augen. Das Kind regt sich, öffnet die klaren, reinen Augen und weint:
»Mutti – ich will zu meiner Mutti!«
Es ist ein unbeschreiblich trauriger Anblick, der Christine tief ins Herz schneidet.
»Was soll nun werden?« wagt der Bürgermeister einen schwachen Einwurf.
Christine Lorenz’ sanfte blaue Augen suchen den Blick ihres Gatten. Mit schnellem Entschluß richtet sie sich auf, nimmt das Kind und bettet es liebevoll in ihren Armen.
»Das Kind findet bei uns, in unserem Hause – an meinem Herzen eine Heimat!« sagt sie fest.
Nach drei Tagen fallen froststarre graue Erdschollen klirrend in das Grab einer namenlosen Frau. Alle Nachforschungen sind ergebnislos verlaufen. Hartmut Lorenz, der Birkenhofbauer, hat das Kind in seine Familiengemeinschaft aufgenommen.
Magda wird zusammen mit dem Erben des Hofes aufgezogen. Dieser, der Sohn Hanno, ist zum Leidwesen der beiden jungen Eheleute ihr einziges Kind geblieben – und so fühlt Frau Christine sich hochbeglückt, den Liebesreichtum ihres Herzens nun noch auf Magda, das Findelkind, übertragen zu können.
*
Die Vorgänge jener stürmischen Winternacht lasten längst nicht mehr auf den Bewohnern des Birkenhofes. In dessen Mauern wohnt das Glück.
Magda weiß um ihre in tiefes Dunkel gehüllte Herkunft, aber das bedrückt ihr Gemüt nicht; dafür sorgen schon Onkel und Tante Lorenz, die ihr so viel Liebe schenken.
Und Hanno? – In der Nähe des reizenden Mädchens wird der junge Heißsporn sanftmütig und wetteifert mit den Eltern um die Zuneigung der »Base«; so wird die Kleine jetzt auf dem Birkenhof genannt, obgleich man sie wie ein eigenes Kind hält.
Die Zeit und das Leben eilen weiter. Aus Hanno, dem wilden, übermütigen Knaben, wird ein gereifter, pflichtbewußter Mensch – und Magda, das Findelkind, wächst zu einer lieblichen, feingliedrigen Jungfrau heran, deren Anblick jedem, der ihr begegnet, das Herz höher schlagen läßt.
*
»Magda!«
Mit langen Sätzen eilt Hanno Lorenz hinter der zierlichen Mädchengestalt her. Ohne zu fragen, nimmt er ihr den Korb ab und geht neben ihr dem Dorfe zu.
»Willst du Einkäufe machen, Magda?- Ich muß auch gerade ins Dorf. Zu zweien geht es sich besser; also werde ich dich begleiten.«
Magda neigt den Kopf mit dem flimmernden Blondhaar. Sonnenstrahlen verfangen sich dann, zaubern helle Lichter darauf.
Schweigend setzen sie gemeinsam ihren Weg fort.
Ab und zu wirft Magda einen Blick auf das heute so ernste Gesicht Hannos.
»Hanno!« sagt sie leise, und liebliches Rot steigt ihr bis unter das Lockengewirr. »Du bist heute anders als sonst.«
Hanno zieht mit einer heftigen Bewegung Magdas Arm durch den seinen.
»Komm, Kind – wir gehen durch das Birkenwäldchen. Ich – ich muß heute Klarheit schaffen zwischen uns beiden.«
Über Magdas Glieder läuft ein Schauer. Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Jetzt treibt alles zur Entscheidung.
Das Birkenwäldchen nimmt sie auf. Sonnenstrahlen dringen durch das zarte Grün der Birken, seltsame, huschende Schatten laufen über ihren Weg, Vögel flattern aufgeschreckt vor ihnen her.
Sie bemerken das alles nicht. Beide lauschen in sich hinein, lauschen der Melodie ihrer Herzen.
»Magda!« Hanno nimmt plötzlich die zitternde Gestalt in seine Arme.
»Magda! – Ich liebe dich – du mußt meine Frau werden!« preßt er hervor, leidenschaftlich, mit dem ernsten Unterton des Mannes, der weiß, was er will.
»Hanno!«
Mit geschlossenen Augen lehnt sie sich an ihn. Ihr Kopf ist zurückgebogen. Seine herrische Art, sein Besitzergreifen von ihrer Person machen sie hilflos.
»Hanno – nicht so!« bittet sie leise.
»Magda – liebst du mich nicht?«
»Ich liebe dich – nur dich, Hanno – du weißt es.«
Behutsam drückt er sie an sich, ein befreites Lächeln um den Mund. Und sogleich wieder ernst werdend, sagt er schroff: »Magda – ich hatte vorhin mit Vater eine ernste Auseinandersetzung. – Ich habe ihm klipp und klar erklärt: du sollst meine Frau werden. – Aus einer Heirat mit Aline Berthold kann nichts werden, da ich nur mit der Frau meiner Liebe durch das Leben gehen will – und das bist du – dich liebe ich!«
»Und du hast Pflichten, Hanno, vergiß das nicht! Du übernimmst