flüstert sie, bis ins Herz erschauernd.
Der rührt sich nicht.
Mit leise bebender Hand tippt sie ihm auf die Schulter.
Da fährt er brüsk herum – verläßt wortlos das Sterbezimmer.
*
Oben bei den Wiesen, am Rande des Forstes, lehnt an einer dickstämmigen Buche ein Mann, der sehnsüchtige Blicke hinunterschickt nach dem Birkenhof und dessen Hoffnung von Minute zu Minute sinkt.
»Magda – sie hat mich vergessen!«
seufzt er tief auf und kämpft lange mit sich: Soll er – soll er nicht lieber selber zu Hanno gehen und – beichten?
Ein Wagen steht unten in dem Hof. Jürgen Bertholds Blick wird schärfer. Er geht ein Stück vorwärts, um das Gefährt erkennen zu können.
Es ist der Wagen des Landarztes. Ob drüben jemand ernstlich erkrankt ist? – Dann wird man wohl keinen Gedanken für ihn übrig haben.
Trotzig geht er von dannen. Er macht einen großen Bogen um das väterliche Gut, und als er bereits so weit davon entfernt ist, daß es seinen Blicken fast entschwindet, grüßt er das Elternhaus noch eimmal lange mit den Augen.
So kehrt Jürgen Berthold der Heimat den Rücken. Er ahnt nicht, daß er ein junges Menschenkind in einen schlimmen Verdacht gebracht hat – ahnt nicht, daß er das Lebensglück des Findelkindes Magda vom Birkenhof zerstört hat.
*
Die nächsten Stunden brechen mit ihren Ereignissen wie eine Sturzflut wilder, schmerzlicher Empfindungen über die junge Magda herein.
Es ist alles kalt und leer um sie her, sie kann sich in den durch den Heimgang des Birkenhofbauern hervorgerufenen neuen Verhältnissen nicht zurechtfinden. Sie schilt sich selbst herzlos, daß der Tod des Onkels sie nicht viel, viel tiefer getroffen hat, denn sie hat mit schwärmerischer Liebe an dem stolzen Manne gehangen.
Etwas aber verursacht ihr unsagbares Herzweh – und das ist das von Grund aus veränderte Wesen Hannos.
Sie fühlt ganz deutlich, daß er irgend etwas gegen sie hat, und muß sich beherrschen, darüber nicht laut aufzuweinen. Hanno geht ihr offensichtlich aus dem Wege.
Magda lehnt neben der schweren, mit wertvoller Schnitzerei verzierten Haustür. Drüben von der Tenne der großen Scheune tönt schwaches Hämmern herüber. Dort bereitet man, wie es Altväterbrauch erheischt, dem Onkel ein letztes, prächtiges Lager.
Eben erscheint Hanno unter der Tür, mit hängenden Schultern, den Blick zu Boden gerichtet, im Begriff, den Hof zu überqueren.
Magdas Herz klopft zum Zerspringen.
Jetzt – jetzt ist die Gelegenheit günstig, raunt eine Stimme in ihr.
»Hanno – das ist alles so traurig – Hanno – ein liebes Wort nur von dir – lieber Hanno!« bringt sie stockend, mit zuckendem Munde hervor.
Hannos Gesicht ist farblos und ohne Bewegung. Tief liegen die grauen Augen in den Höhlen, und hart schauen sie auf das Mädchen herab. So hart, daß Magdas Hände sinken und nach dem Herzen fassen.
»Hanno«, schluchzt sie leise auf, »ich finde alles so verändert, so unendlich traurig. Ich kenne mich nicht mehr aus!«
»So – findest du?« höhnt er. »Dann sollst du dich in Zukunft noch mehr wundern dürfen, und zwar über ganz andere Dinge, die hier vor sich gehen werden.«
»Hanno!« klagt sie leise mit schmerzlich verzogenem Munde. »Du bist so seltsam zu mir. So hart. Hast du mich gar nicht mehr lieb?«
»Liebe? – Hahaha!« Hanno wütet gegen sich selbst. »Liebe ist ein leerer Wahn – von dem ich allerdings gründlich geheilt bin.«
»Hanno!«
Alles Blut drängt Magda zum Herzen; ihr ist, als wolle alles vor ihr versinken. Nein, das ist nicht ihr Hanno, der wilde, ungestüme und doch so zärtliche Hanno! Das ist ein völlig fremder Mensch, der so harte Worte zu ihr sprechen kann.
»Hanno!« bittet sie noch einmal zaghaft, aber alle herzlichen Worte, die sie ihm sagen will, ersterben ihr auf den geöffneten Lippen vor dem drohenden Ausdruck seiner Augen.
»Spiele keine so lächerliche Komödie!« spricht wieder diese fremde, harte Stimme zu ihr, vor der Magda sich am liebsten die Ohren zuhalten möchte, weil sie nicht zu dem geliebten Manne paßt. »Wir beide – wir verstehen uns jetzt wohl erst richtig, nicht wahr?«
Was mag er nur haben? – denkt Magda, seine eisigen Worte nicht begreifend. Mein Gott – sollte er sich anders besonnen und, unter einem Zwange stehend, ihre Liebe verraten haben? Ja – aber, dann brauchte er doch nicht so verächtlich auf sie herabzuschauen?
Ja, ja – so ist es! Er verachtet sie! Aber – gütiger Himmel – warum denn nur? Hat sie sich nicht vor Stunden noch stark genug gefühlt, ihre große, reine Liebe als Opfer zu bringen, wenn es sein muß? Und ist es jetzt etwa soweit? Sie muß das beinahe annehmen.
Mit brennenden Augen starrt sie wie geistesabwesend vor sich hin, als habe sie Hannos Nähe vergessen.
Hanno indessen meint, Magda nie süßer, nie hilfsbedürftiger gesehen zu haben als in diesem Augenblick, da er so hart mit ihr umgehen muß. Ja – muß, wenn er nicht ersticken will an dem Grimm, der sich gegen sie in ihm aufgespeichert hat.
Wie zart und zerbrechlich, wie unschuldig süß sieht sie aus, und ist doch schlecht, so abgrundschlecht und verdorben!
Warum spricht sie nicht? Warum findet sie kein Wort zu ihrer Verteidigung? Er muß sie noch mehr quälen, damit sie wenigstens etwas von dem Schmerz fühlt, der jetzt in ihm tobt, und – er wird sie schon noch zum Sprechen bringen!
»Nun – du sagst ja gar nichts mehr? – Siehst wohl selber ein, daß es mit dem Theaterspielen nunmehr vorbei ist?« höhnt er abermals.
»Theaterspielen?« wiederholt sie betroffen.
Sie fährt sich mit der Hand über Stirn und Augen, dann richtet sie sich höher auf. Ist das möglich? Er hält sie für berechnend?
»Ich verstehe dich nicht, du sprichst in Rätseln. Willst du dich nicht deutlicher ausdrücken?« fragt sie so ruhig, wie sie es vermag.
Wie sie sich verstellen kann, denkt Hanno voll Qual. Wie sie mich mit ihrem unschuldigen Getue verblüffen will! Ich könnte verrückt darüber werden.
»Du verstehst mich? Gut – dann also – zwischen uns ist es aus! Alles aus! Hast du jetzt verstanden?« sagt er kalt und tritt einen Schritt auf sie zu.
Magda rührt sich nicht von der Stelle. Es ist ihr, als sei alles Leben aus ihr geflohen. Aber sie hat begriffen, vollkommen begriffen.
Tief senkt sie den blonden Kopf und wiederholt leise: »Ja – alles – aus –«
Dann dreht sie sich herum, langsam, wie aufgezogen, und wankt durch die Haustür in den Flur.
*
»Höre auf mit deiner blödsinnigen Flennerei, oder –«
Krebsrot ist Gottfried Bertholds schwammiges Gesicht. Mit seinen polternden Schritten hastet er durch das Zimmer und jetzt schlägt er vor Aline die Faust auf den Tisch. »Aufhören sollst du!«
»Ich höre ja schon auf!« erwidert das dunkelhaarige Mädchen eingeschüchtert und trocknet sich das nasse Antlitz.
»Na, endlich!«
Der alte Berthold nimmt die Wanderung durch das Zimmer wieder auf.
»Und ich sage dir, der Hanno wird dich heiraten – nur dich!« stößt er unbeherrscht hervor.
»So zuversichtlich bin ich allerdings nicht, Vater«, gibt sie mürrisch zurück. »Ich wundere mich überhaupt, wie du das mit solcher Bestimmtheit behaupten kannst.«
»Selbstverständlich wird er das bleiben lassen, wenn du mit