Augen hängen fassungslos an seinem tief-ernsten Gesicht, dann blicken sie gleichgültig zur Seite. Ohne zu antworten, ohne ihre Stellung zu verändern, wartet sie sein Näherkommen ab.
Da meldet sich schon wieder sein Trotz.
»Bist du gar nicht neugierig, was ich von dir will?« fragt er, finster auf sie niederblickend.
Jäh erhebt sie die Augen zu ihm auf.
»Du wirst mit mir über mein Fortgehen sprechen wollen«, entgegnet sie ruhig.
Vorübergehend ist er betroffen. Wie ruhig sie das sagt, so, als handle es sich um etwas, an dem sie nicht beteiligt ist!
»Ja – auch das. Aber in der Hauptsache möchte ich eine Auskunft, eine Erklärung von dir haben.«
»Von mir? Eine Erklärung?« Sie hebt verständnislos die Schulter. »Ich wüßte nicht, womit ich dir dienen könnte.«
Hanno steht vor ihr. Die eine Hand hat er tief in der Tasche vergraben, mit der anderen fährt er ziellos durch die Luft. Sein Gesicht ist abgewandt, weil er den Blick der geliebten Augen nicht ertragen kann, die kalt und gleichgültig an ihm vor-überblicken.
»Magda, ich will wieder an dich, an deine Reinheit glauben lernen, wenn du mir ehrlich sagst, wer der Mann an jenem Unglücksabend war –«
Er verstummt schnell. Magda ist aufgesprungen und macht Miene, davonzulaufen. Mit einem Griff hat er sie am Kleide gefaßt.
»Bitte, bleib, Magda! – Ich will nach Möglichkeit diese Unterhaltung abkürzen. Um eines nur bitte ich dich – sag mir die volle Wahrheit. Wer war der Mann, den ich an jenem Abend bei den Wiesen in deiner Gesellschaft sah?«
Seine Züge sind jetzt nicht mehr finster, sondern entspannt, ja, zärtlich – und gerade das ist es, wovor Magda erschrickt.
»Laß mich!« sagt sie kurz, nachdem sie sich gefaßt hat. »Alles das hat keinen Zweck mehr. Du hättest mich früher danach fragen sollen. Heute ist es zu spät!«
Ihre Stimme ist mit Bitterkeit getränkt.
»Nein, Magda! Es ist noch nicht zu spät.« Jetzt erfaßt er ihre beiden Hände und zieht sie zu sich heran, sieht ihr in das bleiche, zuckende Antlitz und versteht. »Ich weiß, du brauchst mich nicht daran zu erinnern; ich bin gebunden. Es kann möglich sein, daß ich in meiner Erbitterung das erlösende Wort nicht gesprochen hätte, doch durch deinen Entschluß bin ich endlich sehend geworden. Warum willst du den Birkenhof verlassen?«
»Schon die zweite Frage?« spöttelt sie.
»Magda!« Er preßt ihre Hände ganz fest, aber sie gibt keinen Laut von sich. »Du sollst mir Rede und Antwort stehen, das kann ich im Andenken an unsere einstige Liebe von dir verlangen!«
»Unsere Liebe?« Sie lacht trocken auf. »Liebe – nennst du diese Tändelei?«
Zornig und drohend herrscht er sie an:
»So hast du also mit mir gespielt? Du hast kein Herz im Leibe, wenn du mir das so kalt ins Gesicht sagen kannst.«
Sie versucht, sich aus seinen Händen freizumachen, aber es gelingt ihr nicht. Es ist, als wollten seine Blicke sie versengen.
Magda weiß nicht, was sie tun soll. Sie möchte ihn am liebsten in seinem unsinnigen Glauben belassen, aber eine Stimme in ihrem Herzen warnt sie davor.
»Gut« sagt sie entschlossen, »ich will dir alles erklären. Aber erst gib meine Hände frei.«
Sofort läßt er sie los.
Magda nimmt ihren Platz auf der Bank wieder ein und weist mit einer Handbewegung in die Richtung, wo der Bert-hold-Hof liegt.
»Die dort drüben sind an allem schuld. – Erst nahmen sie mir dich – und dann verlor ich auch noch deinen Glauben an meine Treue. Da wollt ihr noch, daß ich das Dach mit einer von denen da teile?«
Betroffen blickt Hanno auf den bebenden Mund.
Ganz anders verhalten sich also offenbar die Dinge, als er angenommen. Muß er sich nicht eines Wankelmutes schämen?
»Magda – verzeih mir – ich war sehr schlecht zu dir. Ich habe es nicht gewußt, weiß es eigentlich auch jetzt noch nicht. Aber ein bestimmtes Gefühl sagt mir, daß ich nur in einem Anfall grenzenloser Eifersucht an dir zweifeln konnte.«
»Wahre Liebe zweifelt nicht!« wirft Magda schroff und bitter ein.
Sie spürt die Veränderung, die mit ihm vorgeht, spürt den Aufruhr, der in seinem Herzen wüten mag, und Liebe und Mitleid lassen sie für kurze Augenblicke das eigene Herzeleid vergessen.
Mit leiser Stimme erzählt sie von den Nöten Jürgen Bertholds, und wie sie über den sich überstürzenden Ereignissen sei-nerzeit ihn dann vergessen hat. Als sie ihm, Hanno, hinterher alles gestehen wollte, verschloß ihr sein ihr unverständliches Benehmen vollends den Mund.
Mit keinem Laut unterbricht Hanno sie. Die Arme auf die Knie gestemmt und den Kopf in die Hände gelegt, folgt er gespannt ihren Ausführungen. Nur ab und zu ringt sich ein Stöhnen aus seiner Brust.
Als Magda mit ihrer Erzählung zu Ende gekommen ist, als sie blaß und gequält, aber dennoch so gefaßt und ruhig, wie seit langer Zeit nicht mehr, neben ihm ausharrt, überkommt ihn noch einmal die Erinnerung an die köstliche Zeit ihrer jungen Liebe.
Bild um Bild rollt sich vor seinen Augen ab, und der Gedanke, daß das nun nicht mehr sein soll, daß eine andere den Platz, der einzig und allein Magda gebührt, eimnimmt, schüttelt ihn wie ein böses Fieber.
»Wirst du nun verstehen, daß ich fort muß?«
Ihre Stimme, jetzt wieder weich und sanft wie früher, reißt ihn jäh aus seinen Träumen.
»Nein!« Fest legt er den Arm um sie, ihr ängstliches Fortstreben nicht beachtend. »Du sollst durch mich nicht die Heimat verlieren. Oder willst du, daß ich nie mehr froh werde im Leben?« –
Er seufzt tief auf. Unsägliche Qualen brennen in seiner Brust.
Ihre Blicke begegnen sich, ruhen tief und fest ineinander, und sie beide wissen, daß sie stark sein und an dieser unglücklichen Liebe nicht zugrunde gehen werden.
»Ich bleibe!« sagt sie einfach. »Ich bleibe, weil ich weiß, daß mir deine Liebe einmal gehörte, ganz und gar gehörte, und weil ich mich auf dich verlassen kann. Damit machst du mir meinen Entschluß leicht.«
»Ich werde dich immer lieb haben, Magda!« Seine Stimme hat den gewohnten Klang, und seine Worte sind wie ein Schwur.
»Nein, Hanno! Du hast Aline Berthold dein Wort gegeben. Sie hat Anspruch auf deine Liebe. Wir werden das Leben meistern. Vor deiner Liebe müßte ich fliehen, – aber deinen Schutz suche ich gern.«
»Magda!« Tief und qualvoll stöhnt er auf.
»Wollen wir es so halten, Hanno? – Dann verspnch mir, das Gewesene zu vergessen«, bittet sie, ein weiches Lächeln um den jungen Mund, das aus dem Herzen kommt, weil ihr jetzt nach der Aussprache mit Hanno frei und leicht zumute ist.
»Jetzt soll ich das noch vergessen können, Magda? Das ist zuviel verlangt.«
Sie nimmt seine Hände in die ihren. Jetzt ist sie die Stärkste. Der Klang ihrer Stimme ist beschwörend:
»Du mußt, Hanno! Du bist ein Mann! Du darfst dich von mir nicht beschämen lassen. Ich verzichte gern auf mein Glück, weil ich mir sage, nicht alle können in der Sonne wandeln. Ist es nicht Glück genug, daß ich die Liebe überhaupt kennenlernen durfte? – Von der Erinnerung an sie werde ich zehren; sie macht es mir leicht, der Zukunft mit Ruhe ins Auge zu schauen.
Willst du mir nunmehr versprechen, nur an deine Pflichten zu denken, die du mit dem Verlöbnis auf dich genommen hast?«
Nie war Magda schöner als in diesem Augenblick, da sie ihm so lieb wie eine Mutter zuspricht und zu gleicher Zeit die Liebe in ihrem Herzen einsargt.
Eine bezwingende Ruhe