wäre Seligkeit – technischer geredet, Lust – jemals ein Beweis der Wahrheit? So wenig, daß es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen »Wahrheit« abgiebt, wenn Lustempfindungen über die Frage »was ist wahr?« mitreden. Der Beweis der »Lust« ist ein Beweis für »Lust«, – nichts mehr; woher um Alles in der Welt stünde es fest, daß gerade wahre Urtheile mehr Vergnügen machten als falsche und, gemäß einer prästabilirten Harmonie, angenehme Gefühle mit Notwendigkeit hinter sich drein zögen? – Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten Geister lehrt das Umgekehrte. Man hat jeden Schritt breit Wahrheit sich abringen müssen, man hat fast Alles dagegen preisgeben müssen, woran sonst da? Herz, woran unsre Liebe, unser Vertrauen zum Leben hängt. Es bedarf Größe der Seele dazu: der Dienst der Wahrheit ist der härteste Dienst. – Was heißt denn rechtschaffen sein in geistigen Dingen? Daß man streng gegen sein Herz ist, daß man die »schönen Gefühle« verachtet, daß man sich aus jedem Ja und Nein ein Gewissen macht! – – – Der Glaube macht selig: folglich lügt er …
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51.
Daß der Glaube unter Umständen selig macht, daß Seligkeit aus einer fixen Idee noch nicht eine wahre Idee macht, daß der Glaube keine Berge versetzt, wohl aber Berge hinsetzt, wo es keine giebt: ein flüchtiger Gang durch ein Irrenhaus klärt zur Genüge darüber auf. Nicht freilich einen Priester: denn der leugnet aus Instinkt, daß Krankheit Krankheit, daß Irrenhaus Irrenhaus ist. Das Christenthum hat die Krankheit nöthig, ungefähr wie das Griechenthum einen Überschuß von Gesundheit nöthig hat, – krank- machen ist die eigentliche Hinterabsicht des ganzen Heilsproceduren-Systems der Kirche. Und die Kirche selbst – ist sie nicht das katholische Irrenhaus als letztes Ideal? – Die Erde überhaupt als Irrenhaus? – Der religiöse Mensch, wie ihn die Kirche will, ist ein typischer décadent; der Zeitpunkt, wo eine religiöse Krisis über ein Volk Herr wird, ist jedesmal durch Nerven-Epidemien gekennzeichnet; die »innere Welt« des religiösen Menschen sieht der »inneren Welt« der Überreizten und Erschöpften zum Verwechseln ähnlich; die »höchsten« Zustände, welche das Christenthum als Werth aller Werthe über der Menschheit aufgehängt hat, sind epileptoide Formen, – die Kirche hat nur Verrückte oder große Betrüger in majorem dei honorem heilig gesprochen… Ich habe mir einmal erlaubt, den ganzen christlichen Buß- und Erlösungs- training (den man heute am besten in England studirt) als eine methodisch erzeugte folie circulaire zu bezeichnen, wie billig, auf einem bereits dazu vorbereiteten, das heißt gründlich morbiden Boden. Es steht Niemandem frei, Christ zu werden: man wird zum Christenthum nicht »bekehrt«, – man muß krank genug dazu sein … Wir Anderen, die wir den Muth zur Gesundheit und auch zur Verachtung haben, wie dürfen wir eine Religion verachten, die den Leib mißverstehen lehrte! die den Seelen–Aberglauben nicht loswerden will! die aus der unzureichenden Ernährung ein »Verdienst« macht! die in der Gesundheit eine Art Feind, Teufel, Versuchung bekämpft! die sich einredete, man könne eine »vollkommne Seele« in einem Cadaver von Leib herumtragen, und dazu nöthig hatte, einen neuen Begriff der »Vollkommenheit« sich zurecht zu machen, ein bleiches, krankhaftes, idiotisch-schwärmerisches Wesen, die sogenannte »Heiligkeit«, – Heiligkeit, selbst bloß eine Symptomen-Reihe des verarmten, entnervten, unheilbar verdorbenen Leibes! … Die christliche Bewegung, als eine europäische Bewegung, ist von vornherein eine Gesammt-Bewegung der Ausschuß- und Abfalls-Elemente aller Art (– diese wollen mit dem Christenthum zur Macht). Sie drückt nicht den Niedergang einer Rasse aus, sie ist eine Aggregat-Bildung sich zusammendrängender und sich suchender décadence-Formen von Überall. Es ist nicht, wie man glaubt, die Korruption des Alterthums selbst, des vornehmen Alterthums, was das Christenthum ermöglichte: man kann dem gelehrten Idiotismus, der auch heute noch so Etwas aufrecht erhält, nicht hart genug widersprechen. In der Zeit, wo die kranken, verdorbenen Tschandala-Schichten im ganzen Imperium sich christianisirten, war gerade der Gegentypus, die Vornehmheit, in ihrer schönsten und reifsten Gestalt vorhanden. Die große Zahl wurde Herr; der Demokratismus der christlichen Instinkte siegte … Das Christenthum war nicht »national«, nicht rassebedingt, – es wendete sich an jede Art von Enterbten des Lebens, es hatte seine Verbündeten überall. Das Christenthum hat die Rancune der Kranken auf dem Grunde, den Instinkt gegen die Gesunden, gegen die Gesundheit gerichtet. Alles Wohlgerathene, Stolze, Übermüthige, die Schönheit vor Allem thut ihm in Ohren und Augen weh. Nochmals erinnre ich an das unschätzbare Wort des Paulus: »Was schwach ist vor der Welt, was thöricht ist vor der Welt, das Unedle und Verachtete vor der Welt hat Gott erwählet«: das war die Formel, in hoc signo siegte die décadence. – Gott am Kreuze – versteht man immer noch die furchtbare Hintergedanklichkeit dieses Symbols nicht? – Alles was leidet, Alles was am Kreuze hängt, ist göttlich … Wir Alle hängen am Kreuze, folglich sind wir göttlich … Wir allein sind göttlich … Das Christenthum war ein Sieg, eine vornehmere Gesinnung gieng an ihm zu Grunde,– das Christenthum war bisher das größte Unglück der Menschheit. – –
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52.
Das Christenthum steht auch im Gegensatz zu aller geistigen Wohlgerathenheit, – es kann nur die kranke Vernunft als christliche Vernunft brauchen, es nimmt die Partei alles Idiotischen, es spricht den Fluch aus gegen den »Geist«, gegen die superbiades gesunden Geistes. Weil die Krankheit zum Wesen des Christenthums gehört, muß auch der typisch-christliche Zustand, »der Glaube«, eine Krankheitsform sein, müssen alle geraden, rechtschaffnen, wissenschaftlichen Wege zur Erkenntnis von der Kirche als verbotene Wege abgelehnt werden. Der Zweifel bereits ist eine Sünde … Der vollkommne Mangel an psychologischer Reinlichkeit beim Priester – im Blick sich verrathend – ist eine Folgeerscheinung der décadence– man hat die hysterischen Frauenzimmer, andrerseits rhachitisch angelegte Kinder darauf hin zu beobachten, wie regelmäßig Falschheit aus Instinkt, Lust zu lügen, um zu lügen, Unfähigkeit zu geraden Blicken und Schritten der Ausdruck von décadence ist. »Glaube« heißt Nicht-wissen- wollen, was wahr ist. Der Pietist, der Priester beiderlei Geschlechts, ist falsch, weil er krank ist: sein Instinkt verlangt, daß die Wahrheit an keinem Punkt zu Rechte kommt. »Was krank macht, ist gut; was aus der Fülle, aus dem Überfluß, aus der Macht kommt, ist böse«: so empfindet der Gläubige. Die Unfreiheit zur Lüge – daran errathe ich jeden vorherbestimmten Theologen. – Ein andres Abzeichen des Theologen ist sein Unvermögen zur Philologie. Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen