Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Men­sch­lich­keit. – Die christ­li­chen – die vor­neh­men Wert­he: erst wir, wir frei­ge­w­ord­nen Geis­ter, ha­ben die­sen größ­ten Werth-Ge­gen­satz, den es giebt, wie­der­her­ge­stellt! – –

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      38.

      – Ich un­ter­drücke an die­ser Stel­le einen Seuf­zer nicht. Es giebt Tage, wo mich ein Ge­fühl heim­sucht, schwär­zer als die schwär­zes­te Me­lan­cho­lie – die Men­schen-Ver­ach­tung. Und da­mit ich kei­nen Zwei­fel dar­über las­se, was ich ver­ach­te, wen ich ver­ach­te: der Mensch von Heu­te ist es, der Mensch, mit dem ich ver­häng­niß­voll gleich­zei­tig bin. Der Mensch von Heu­te – ich er­sti­cke an sei­nem un­rei­nen Athem… Ge­gen das Ver­gang­ne bin ich, gleich al­len Er­ken­nen­den, von ei­ner großen To­le­ranz, das heißt groß­müthi­gen Selbst­be­zwin­gung: ich gehe durch die Ir­ren­haus-Welt gan­zer Jahr­tau­sen­de, hei­ße sie nun »Chris­tent­hum«, »christ­li­cher Glau­be«, »christ­li­che Kir­che«, mit ei­ner düs­te­ren Vor­sicht hin­durch, – ich hüte mich, die Mensch­heit für ihre Geis­tes­krank­hei­ten ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Aber mein Ge­fühl schlägt um, bricht her­aus, so­bald ich in die neue­re Zeit, in uns­re Zeit ein­tre­te. Uns­re Zeit ist wis­sen­d… Was ehe­mals bloß krank war, heu­te ward es un­an­stän­dig, – es ist un­an­stän­dig, heu­te Christ zu sein. Und hier be­ginnt mein Ekel. – Ich sehe mich um: es ist kein Wort von Dem mehr üb­rig ge­blie­ben, was ehe­mals »Wahr­heit« hieß, wir hal­ten es nicht mehr aus, wenn ein Pries­ter das Wort »Wahr­heit« auch nur in den Mund nimmt. Selbst bei dem be­schei­dens­ten An­spruch auf Recht­schaf­fen­heit muß man heu­te wis­sen, daß ein Theo­lo­ge, ein Pries­ter, ein Papst mit je­dem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, son­dern lügt, – daß es ihm nicht mehr frei­steht, aus »Un­schuld«, aus »Un­wis­sen­heit« zu lü­gen. Auch der Pries­ter weiß, so gut es Je­der­mann weiß, daß es kei­nen »Gott« mehr giebt, kei­nen »Sün­der«, kei­nen »Er­lö­ser«, – daß »frei­er Wil­le«, »sitt­li­che Wel­t­ord­nung« Lü­gen sind: – der Ernst, die tie­fe Selb­st­über­win­dung des Geis­tes er­laubt Nie­man­dem mehr, hier­über nicht zu wis­sen… Alle Be­grif­fe der Kir­che sind er­kannt als Das, was sie sind, als die bös­ar­tigs­te Falsch­mün­ze­rei, die es giebt, zum Zweck, die Na­tur, die Na­tur-Wert­he zu ent­wert­hen; der Pries­ter selbst ist er­kannt als Das, was er ist, als die ge­fähr­lichs­te Art Pa­ra­sit, als die ei­gent­li­che Gift­spin­ne des Le­bens… Wir wis­sen, un­ser Ge­wis­sen weiß es heu­te –, was über­haupt jene un­heim­li­chen Er­fin­dun­gen der Pries­ter und der Kir­che werth sind, wozu sie dienten, mit de­nen je­ner Zu­stand von Selbst­schän­dung der Mensch­heit er­reicht wor­den ist, der Ekel vor ih­rem An­blick ma­chen kann – die Be­grif­fe »Jen­seits«, »jüngs­tes Ge­richt«, »Uns­terb­lich­keit der See­le«, die »See­le« selbst: es sind Fol­ter-In­stru­men­te, es sind Sys­te­me von Grau­sam­kei­ten, ver­mö­ge de­ren der Pries­ter Herr wur­de, Herr blie­b… Je­der­mann weiß das: und trotz­dem bleibt Al­les beim Al­ten. Wo­hin kam das letz­te Ge­fühl von An­stand, von Ach­tung vor sich selbst, wenn uns­re Staats­män­ner so­gar, eine sonst sehr un­be­fang­ne Art Mensch und An­ti­chris­ten der That durch und durch, sich heu­te noch Chris­ten nen­nen und zum Abend­mahl gehn?… Ein jun­ger Fürst an der Spit­ze sei­ner Re­gi­men­ter, pracht­voll als Aus­druck der Selbst­sucht und Selb­st­über­he­bung sei­nes Volks, – aber, ohne jede Scham, sich als Chris­ten be­ken­nend!… Wen ver­neint denn das Chris­ten­tum? was heißt es »Welt«? Daß man Sol­dat, daß man Rich­ter, daß man Pa­tri­ot ist; daß man sich wehrt; daß man auf sei­ne Ehre hält; daß man sei­nen Vort­heil will; daß man stolz ist… Jede Prak­tik je­des Au­gen­blicks, je­der In­stinkt, jede zur That wer­den­de Wert­schät­zung ist heu­te an­ti­christ­lich: was für eine Miß­ge­burt von Falsch­heit muß der mo­der­ne Mensch sein, daß er sich trotz­dem nicht schämt, Christ noch zu hei­ßen! – – –

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      39.

      – Ich keh­re zu­rück, ich er­zäh­le die ech­te Ge­schich­te des Chris­tent­hums. – Das Wort schon »Chris­tent­hum« ist ein Miß­ver­ständ­niß –, im Grun­de gab es nur Ei­nen Chris­ten, und der starb am Kreuz. Das »Evan­ge­li­um« starb am Kreuz. Was von die­sem Au­gen­blick an »Evan­ge­li­um« heißt, war be­reits der Ge­gen­satz Des­sen, was er ge­lebt: eine » schlim­me Bot­schaft«, ein Dysan­ge­li­um. Es ist falsch bis zum Un­sinn, wenn man in ei­nem »Glau­ben«, etwa im Glau­ben an die Er­lö­sung durch Chris­tus das Ab­zei­chen des Chris­ten sieht: bloß die christ­li­che Prak­tik, ein Le­ben so wie Der, der am Kreu­ze starb, es leb­te, ist christ­lich… Heu­te noch ist ein sol­ches Le­ben mög­lich, für ge­wis­se Men­schen so­gar nothwen­dig: das ech­te, das ur­sprüng­li­che Chris­tent­hum wird zu al­len Zei­ten mög­lich sein… Nicht ein Glau­ben, son­dern ein Thun, ein Vie­les- nicht-thun vor Al­lem, ein andres Sein… Be­wußt­seins-Zu­stän­de, ir­gend ein Glau­ben, ein Für-wahr-hal­ten zum Bei­spiel – je­der Psy­cho­log weiß das – sind ja voll­kom­men gleich­gül­tig und fünf­ten Ran­ges ge­gen den Werth der In­stink­te: stren­ger ge­re­det, der gan­ze Be­griff geis­ti­ger Ur­säch­lich­keit ist falsch. Das Christ-sein, die Christ­lich­keit auf ein Für-wahr-hal­ten, auf eine blo­ße Be­wußt­seins-Phä­no­me­na­li­tät re­du­ci­ren heißt die Christ­lich­keit ne­gi­ren. In der That gab es gar kei­ne Chris­ten. Der »Christ«, Das, was seit zwei Jahr­tau­sen­den Christ heißt, ist bloß ein psy­cho­lo­gi­sches Selbst-Miß­ver­ständ­niß. Ge­nau­er zu­ge­sehn, herrsch­ten in ihm, trotz al­lem »Glau­ben«, bloß die In­stink­te – und was für In­stink­te! – Der »Glau­be« war zu al­len Zei­ten, bei­spiels­wei­se bei Luther, nur ein Man­tel, ein Vor­wand, ein Vor­hang, hin­ter dem die In­stink­te ihr Spiel spiel­ten –, eine klu­ge Blind­heit über die Herr­schaft ge­wis­ser In­stink­te… Der »Glau­be« – ich nann­te ihn schon die ei­gent­li­che christ­li­che Klug­heit, – man sprach im­mer vom »Glau­ben«, man that im­mer nur vom In­stink­te… In der Vor­stel­lungs­welt des Chris­ten kommt Nichts vor, was die Wirk­lich­keit auch nur an­rühr­te: da­ge­gen er­kann­ten wir im In­stinkt-Haß ge­gen jede Wirk­lich­keit das trei­ben­de, das ein­zig trei­ben­de Ele­ment in der Wur­zel des Chris­tent­hums. Was folgt dar­aus? Daß auch in psy­cho­lo­gi­cis hier der Irr­thum ra­di­kal, das heißt we­sen-be­stim­mend, das heißt Sub­stanz ist. Ein Be­griff hier weg, eine ein­zi­ge Rea­li­tät an des­sen Stel­le – und das gan­ze Chris­ten­tum rollt in’s Nichts! – Aus der Höhe ge­sehn, bleibt die­se fremd­ar­tigs­te al­ler That­sa­chen, eine durch Irr­t­hü­mer nicht nur be­ding­te, son­dern nur in schäd­li­chen, nur in le­ben- und herz­ver­gif­ten­den Irr­t­hü­mern er­fin­de­ri­sche und selbst ge­nia­le Re­li­gi­on ein Schau­spiel für Göt­ter, – für jene Gott­hei­ten, wel­che zu­gleich Phi­lo­so­phen sind, und de­nen ich zum Bei­spiel bei je­nen be­rühm­ten Zwie­ge­sprä­chen auf Na­xos be­geg­net bin. Im Au­gen­blick, wo der Ekel von ih­nen weicht (– und von uns!), wer­den sie dank­bar für das Schau­spiel des Chris­ten: das er­bärm­li­che klei­ne Gestirn, das Erde heißt, ver­dient viel­leicht al­lein um die­ses cu­rio­sen Falls wil­len einen gött­li­chen Blick, eine gött­li­che Ant­heil­nah­me … Un­ter­schät­zen wir näm­lich den Chris­ten nicht: der Christ, falsch bis zur Un­schuld, ist weit über dem Af­fen, – in Hin­sicht auf Chris­ten wird eine be­kann­te Her­kunfts-Theo­rie zur blo­ßen Ar­tig­keit …

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      40.

      – Das Ver­häng­nis; des Evan­ge­li­ums ent­schied sich mit dem Tode, – es