Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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und welt­ver­leum­de­ri­schen Sinn um­zu­drehn. –

      *

      25.

      Die Ge­schich­te Is­rael’s ist un­schätz­bar als ty­pi­sche Ge­schich­te al­ler Ent­na­tür­li­chung der Na­tur-Wert­he: ich deu­te fünf That­sa­chen der­sel­ben an. Ur­sprüng­lich, vor Al­lem in der Zeit des Kö­nigt­hums, stand auch Is­rael zu al­len Din­gen in der rich­ti­gen, das heißt der na­tür­li­chen Be­zie­hung. Sein Ja­veh war der Aus­druck des Macht-Be­wußt­seins, der Freu­de an sich, der Hoff­nung auf sich: in ihm er­war­te­te man Sieg und Heil, mit ihm ver­trau­te man der Na­tur, daß sie giebt, was das Volk nö­thig hat – vor Al­lem Re­gen. Ja­veh ist der Gott Is­rael’s und folg­lich Gott der Ge­rech­tig­keit: die Lo­gik je­des Volks, das in Macht ist und ein gu­tes Ge­wis­sen da­von hat. Im Fest-Cul­tus drücken sich die­se bei­den Sei­ten der Selbst­be­ja­hung ei­nes Vol­kes aus: es ist dank­bar für die großen Schick­sa­le, durch die es oben­auf kam, es ist dank­bar im Ver­hält­niß zum Jah­res­kreis­lauf und al­lem Glück in Vieh­zucht und Acker­bau. – Die­ser Zu­stand der Din­ge blieb noch lan­ge das Ide­al, auch als er auf eine trau­ri­ge Wei­se ab­ge­than war: die An­ar­chie im In­nern, der As­sy­rer von Au­ßen. Aber das Volk hielt als höchs­te Wünsch­bar­keit jene Vi­si­on ei­nes Kö­nigs fest, der ein gu­ter Sol­dat und ein stren­ger Rich­ter ist: vor Al­lem je­ner ty­pi­sche Pro­phet (das heißt Kri­ti­ker und Sa­ti­ri­ker des Au­gen­blicks) Je­saia. – Aber jede Hoff­nung blieb un­er­füllt. Der alte Gott konn­te nichts mehr von dem, was er ehe­mals konn­te. Man hät­te ihn fah­ren las­sen sol­len. Was ge­sch­ah? Man ver­än­der­te sei­nen Be­griff, – man ent­na­tür­lich­te sei­nen Be­griff: um die­sen Preis hielt man ihn fest. – Ja­veh der Gott der »Ge­rech­tig­keit«, – nicht mehr eine Ein­heit mit Is­rael, ein Aus­druck des Volks-Selbst­ge­fühls: nur noch ein Gott un­ter Be­din­gun­gen … Sein Be­griff wird ein Werk­zeug in den Hän­den pries­ter­li­cher Agi­ta­to­ren, wel­che al­les Glück nun­mehr als Lohn, al­les Un­glück als Stra­fe für Un­ge­hor­sam ge­gen Gott, für »Sün­de« in­ter­pre­ti­ren: jene ver­lo­gens­te In­ter­pre­ta­ti­ons-Ma­nier ei­ner an­geb­lich »sitt­li­chen Wel­t­ord­nung«, mit der, ein für alle Mal, der Na­tur­be­griff »Ur­sa­che« und »Wir­kung« auf den Kopf ge­stellt ist. Wenn man erst, mit Lohn und Stra­fe, die na­tür­li­che Cau­sa­li­tät aus der Welt ge­schafft hat, be­darf man ei­ner wi­der­na­tür­li­chen Cau­sa­li­tät: der gan­ze Rest von Un­na­tur folgt nun­mehr. Ein Gott, der for­dert, – an Stel­le ei­nes Got­tes, der hilft, der Rath schafft, der im Grun­de das Wort ist für jede glück­li­che In­spi­ra­ti­on des Muths und des Selbst­ver­trau­ens … Die Moral nicht mehr der Aus­druck der Le­bens- und Wachst­hums­be­din­gun­gen ei­nes Volks, nicht mehr sein un­ters­ter In­stinkt des Le­bens, son­dern ab­strakt ge­wor­den, Ge­gen­satz zum Le­ben ge­wor­den, – Moral als grund­sätz­li­che Ver­schlech­te­rung der Phan­ta­sie, als »bö­ser Blick« für alle Din­ge. Was ist jü­di­sche, was ist christ­li­che Moral? Der Zu­fall um sei­ne Un­schuld ge­bracht; das Un­glück mit dem Be­griff »Sün­de« be­schmutzt; das Wohl­be­fin­den als Ge­fahr, als »Ver­su­chung«; das phy­sio­lo­gi­sche Übel­be­fin­den mit dem Ge­wis­sens-Wurm ver­gif­tet …

      *

      26.

      Der Got­tes­be­griff ge­fälscht; der Moral­be­griff ge­fälscht: – die jü­di­sche Pries­ter­schaft blieb da­bei nicht stehn. Man konn­te die gan­ze Ge­schich­te Is­rael’s nicht brau­chen: fort mit ihr! – Die­se Pries­ter ha­ben je­nes Wun­der­werk von Fäl­schung zu Stan­de ge­bracht, als de­ren Do­ku­ment uns ein gu­ter Theil der Bi­bel vor­liegt: sie ha­ben ihre eig­ne Volks-Ver­gan­gen­heit mit ei­nem Hohn ohne Glei­chen ge­gen jede Über­lie­fe­rung, ge­gen jede his­to­ri­sche Rea­li­tät, in’s Re­li­gi­öse über­setzt, das heißt, aus ihr einen stu­pi­den Heils-Mecha­nis­mus von Schuld ge­gen Ja­veh und Stra­fe, von Fröm­mig­keit ge­gen Ja­veh und Lohn ge­macht. Wir wür­den die­sen schmach­volls­ten Akt der Ge­schichts-Fäl­schung viel schmerz­haf­ter emp­fin­den, wenn uns nicht die kirch­li­che Ge­schichts-In­ter­pre­ta­ti­on von Jahr­tau­sen­den fast stumpf für die For­de­run­gen der Recht­schaf­fen­heit in his­to­ri­cis ge­macht hät­te. Und der Kir­che se­kun­dir­ten die Phi­lo­so­phen: die Lüge der »sitt­li­chen Wel­t­ord­nung« geht durch die gan­ze Ent­wick­lung selbst der neue­ren Phi­lo­so­phie. Was be­deu­tet »sitt­li­che Wel­t­ord­nung«? Daß es, ein für alle Mal, einen Wil­len Got­tes giebt, was der Mensch zu thun, was er zu las­sen habe; daß der Werth ei­nes Vol­kes, ei­nes Ein­zel­nen sich dar­nach be­mes­se, wie sehr oder wie we­nig dem Wil­len Got­tes ge­horcht wird; daß in den Schick­sa­len ei­nes Vol­kes, ei­nes Ein­zel­nen sich der Wil­le Got­tes als herr­schend, das heißt als stra­fend und be­loh­nend, je nach dem Gra­de des Ge­hor­sams, be­weist. – Die Rea­li­tät an Stel­le die­ser er­bar­mungs­wür­di­gen Lüge heißt: eine pa­ra­si­ti­sche Art Mensch, die nur auf Kos­ten al­ler ge­sun­den Bil­dun­gen des Le­bens ge­deiht, der Pries­ter, miß­braucht den Na­men Got­tes: er nennt einen Zu­stand der Ge­sell­schaft, in dem der Pries­ter den Werth der Din­ge be­stimmt, »das Reich Got­tes«; er nennt die Mit­tel, ver­mö­ge de­ren ein sol­cher Zu­stand er­reicht oder auf­recht er­hal­ten wird, »den Wil­len Got­tes«; er mißt, mit ei­nem kalt­blü­ti­gen Cy­nis­mus, die Völ­ker, die Zei­ten, die Ein­zel­nen dar­nach ab, ob sie der Pries­ter-Über­macht nütz­ten oder wi­der­streb­ten. Man sehe sie am Werk: un­ter den Hän­den der jü­di­schen Pries­ter wur­de die große Zeit in der Ge­schich­te Is­rael’s eine Ver­falls-Zeit, das Exil, das lan­ge Un­glück ver­wan­del­te sich in eine ewi­ge Stra­fe für die große Zeit – eine Zeit, in der der Pries­ter noch nichts war. Sie ha­ben aus den mäch­ti­gen, sehr frei ge­rat­he­nen Ge­stal­ten der Ge­schich­te Is­rael’s, je nach Be­dürf­niß, arm­se­li­ge Du­cker und Mu­cker oder »Gott­lo­se« ge­macht, sie ha­ben die Psy­cho­lo­gie je­des großen Er­eig­nis­ses auf die Idio­ten-For­mel »Ge­hor­sam oder Un­ge­hor­sam ge­gen Gott« ver­ein­facht. – Ein Schritt wei­ter: der »Wil­le Got­tes« (das heißt die Er­hal­tungs-Be­din­gun­gen für die Macht des Pries­ters) muß be­kannt sein, – zu die­sem Zwe­cke be­darf es ei­ner »Of­fen­ba­rung«. Auf deutsch: eine große lit­te­ra­ri­sche Fäl­schung wird nö­thig, eine »hei­li­ge Schrift« wird ent­deckt, – un­ter al­lem hie­ra­ti­schen Pomp, mit Buß­ta­gen und Jam­mer­ge­schrei über die lan­ge »Sün­de« wird sie öf­fent­lich ge­macht. Der »Wil­le Got­tes« stand längst fest: das gan­ze Un­heil liegt dar­in, daß man sich der »hei­li­gen Schrift« ent­frem­det hat … Mo­ses schon war der »Wil­le Got­tes« of­fen­bart … Was war ge­schehn? Der Pries­ter hat­te, mit Stren­ge, mit Pe­dan­te­rie, bis auf die großen und klei­nen Steu­ern, die man ihm zu zah­len hat­te (– die schmack­haf­tes­ten Stücke vom Fleisch nicht zu ver­ges­sen: denn der Pries­ter ist ein Beefs­teak-Fres­ser), ein für alle Mal for­mu­lirt, was er ha­ben will, »was der Wil­le Got­tes ist« … Von nun an sind alle Din­ge des Le­bens so ge­ord­net, daß der Pries­ter über­all un­ent­behr­lich ist; in al­len na­tür­li­chen Vor­komm­nis­sen des Le­bens, bei der Ge­burt, der Ehe, der Krank­heit, dem Tode, gar nicht vom »Op­fer« (der Mahl­zeit) zu re­den, er­scheint der hei­li­ge Pa­ra­sit, um sie zu ent­na­tür­li­chen, – in sei­ner Spra­che: zu »hei­li­gen« … Denn dies muß man be­grei­fen: jede na­tür­li­che Sit­te, jede na­tür­li­che In­sti­tu­ti­on (Staat, Ge­richts­ord­nung, Ehe, Kran­ken- und Ar­men­pfle­ge), jede vom In­stinkt des Le­bens ein­ge­geb­ne For­de­rung, kurz Al­les, was sei­nen