(Marcus 9,1). – Gut gelogen, Löwe…
»Wer mir will nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn …« (Anmerkung eines Psychologen. Die christliche Moral wird durch ihre Denn’s widerlegt: ihre »Gründe« widerlegen, – so ist es christlich.) Marcus 8, 34. –
»Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Mit welcherlei Maaß ihr messet, wird euch gemessen werden« (Matthäus 7,1). – Welcher Begriff von Gerechtigkeit, von einem »gerechten« Richter!…
»Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Thun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr nur zu euren Brüdern freundlich thut, was thut ihr Sonderliches? Thun nicht die Zöllner auch also?« (Matthäus 5, 46.) – Princip der »christlichen Liebe«: sie will zuletzt gut bezahlt sein…
»Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben« (Matthäus 6, 15). – Sehr compromittirend für den genannten »Vater«…
»Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches Alles zufallen« (Matthäus 6, 33). – Solches Alles: nämlich Nahrung, Kleidung, die ganze Nothdurft des Lebens. Ein Irrthum, bescheiden ausgedrückt… Kurz vorher erscheint Gott als Schneider, wenigstens in gewissen Fällen…
»Freuet euch alsdann und hüpfet: denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel. Desgleichen thaten ihre Väter den Propheten auch« (Lucas 6,23), – Unverschämtes Gesindel! Es vergleicht sich bereits mit den Propheten …
»Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet? So Jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben: denn der Tempel Gottes ist heilig, der seid ihr« (Paulus 1. Korinther 3,16). – Dergleichen kann man nicht genug verachten …
»Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? So denn nun die Welt soll von euch gerichtet werden: seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen zu richten?« (Paulus 1. Korinther 6,2.) – Leider nicht bloß die Rede eines Irrenhäuslers … Dieser fürchterliche Betrüger fährt wörtlich fort: »Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten werden? Wie viel mehr über die zeitlichen Güter!« …
»Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht? Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen Die, so daran glauben …; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daß er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da Nichts ist, daß er zu Nichte mache, was Etwas ist. Auf daß sich vor ihm kein Fleisch rühme« (Paulus 1. Korinther 1,20 ff.). – Um diese Stelle, ein Zeugniß allerersten Ranges für die Psychologie jeder Tschandala-Moral, zu verstehn, lese man die erste Abhandlung meiner Genealogie der Moral: in ihr wurde zum ersten Mal der Gegensatz einer vornehmen und einer aus ressentiment und ohnmächtiger Rache gebornen Tschandala-Moral an’s Licht gestellt. Paulus war der größte aller Apostel der Rache …
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46.
– Was folgt daraus? Daß man gut thut, Handschuhe anzuziehn, wenn man das neue Testament liest. Die Nähe von so viel Unreinlichkeit zwingt beinahe dazu. Wir würden uns »erste Christen« so wenig wie polnische Juden zum Umgang wählen: nicht daß man gegen sie auch nur einen Einwand nöthig hätte … Sie riechen beide nicht gut. – Ich habe vergebens im neuen Testamente auch nur nach Einem sympathischen Zuge ausgespäht; Nichts ist darin, was frei, gütig, offenherzig, rechtschaffen wäre. Die Menschlichkeit hat hier noch nicht ihren ersten Anfang gemacht, – die Instinkte der Reinlichkeit fehlen … Es giebt nur schlechte Instinkte im neuen Testament, es giebt keinen Muth selbst zu diesen schlechten Instinkten. Alles ist Feigheit, Alles ist Augen-schließen und Selbstbetrug darin. Jedes Buch wird reinlich, wenn man eben das neue Testament gelesen hat: ich las, um ein Beispiel zu geben, mit Entzücken unmittelbar nach Paulus jenen anmuthigsten, übermüthigsten Spötter Petronius, von dem man sagen könnte, was Domenico Boccaccio über Cesare Borgia an den Herzog von Parma schrieb: »è tutto festo« – unsterblich gesund, unsterblich heiter und wohlgerathen … Diese kleinen Mucker verrechnen sich nämlich in der Hauptsache. Sie greifen an, aber Alles, was von ihnen angegriffen wird, ist damit ausgezeichnet. Wen ein »erster Christ« angreift, den besudelt er nicht … Umgekehrt: es ist eine Ehre, »erste Christen« gegen sich zu haben. Man liest das neue Testament nicht ohne eine Vorliebe für Das, was darin mißhandelt wird, – nicht zu reden von der »Weisheit dieser Welt«, welche ein frecher Windmacher »durch thörichte Predigt« umsonst zu Schanden zu machen sucht … Aber selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten haben ihren Vortheil von einer solchen Gegnerschaft: sie müssen schon etwas werth gewesen sein, um auf eine so unanständige Weise gehaßt zu werden. Heuchelei – das wäre ein Vorwurf, den »erste Christen« machen dürften! – Zuletzt waren es die Privilegirten: dies genügt, der Tschandala-Haß braucht keine Gründe mehr. Der »erste Christ« – ich fürchte, auch der »letzte Christ«, den ich vielleicht noch erleben werde – ist Rebell gegen alles Privilegirte aus unterstem Instinkte, – er lebt, er kämpft immer für » gleiche Rechte« … Genauer zugesehn, hat er keine Wahl. Will man, für seine Person, ein »Auserwählter Gottes« sein– oder ein »Tempel Gottes«, oder ein »Richter der Engel« –, so ist jedes andre Princip der Auswahl, zum Beispiel nach Rechtschaffenheit, nach Geist, nach Männlichkeit und Stolz, nach Schönheit und Freiheit des Herzens, einfach »Welt«, – das Böse an sich … Moral: jedes Wort im Munde eines »ersten Christen« ist eine Lüge, jede Handlung, die er thut, eine Instinkt-Falschheit, – alle seine Werthe, alle seine Ziele sind schädlich, aber wen er haßt, was er haßt, das hat Werth … Der Christ, der Priester–Christ in Sonderheit, ist ein Kriterium für Werthe – – Habe ich noch zu sagen, daß im ganzen neuen Testament bloß eine einzige Figur vorkommt, die man ehren muß? Pilatus, der römische Statthalter. Einen Judenhandel ernst zu nehmen – dazu überredet er sich nicht. Ein Jude mehr oder weniger – was liegt daran? … Der vornehme Hohn eines Römers, vor dem ein unverschämter Mißbrauch mit dem Wort »Wahrheit« getrieben wird, hat das neue Testament mit dem einzigen Wort bereichert, das Werth hat, – das seine Kritik, seine Vernichtung selbst ist: »was ist Wahrheit!« …
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47.
– Das ist es nicht, was uns abscheidet, daß wir keinen Gott wiederfinden,