Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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Ten­ta­ti­ven und Fehl­grif­fe: sie wird Über­zeu­gung, nach­dem sie es lan­ge nicht ist, nach­dem sie es noch lan­ger kaum ist. Wie? könn­te un­ter die­sen Em­bryo­nal –For­men der Über­zeu­gung nicht auch die Lüge sein? – Mit­un­ter be­darf es bloß ei­nes Per­so­nen–Wech­sels: im Sohn wird Über­zeu­gung, was im Va­ter noch Lüge war. –Ich nen­ne Lüge: Et­was nicht sehn wol­len, das man sieht, Et­was nicht so sehn wol­len, wie man es sieht: ob die Lüge vor Zeu­gen oder ohne Zeu­gen statt hat, kommt nicht in Be­tracht. Die ge­wöhn­lichs­te Lüge ist die, mit der man sich selbst be­lügt; das Be­lü­gen And­rer ist re­la­tiv der Aus­nah­me­fall, – Nun ist dies Nicht–­sehn–wol­len, was man sieht, dies Nicht–­so–­sehn–wol­len, wie man es steht, bei­na­he die ers­te Be­din­gung für Alle, die Par­tei sind, in ir­gend wel­chem Sin­ne: der Par­tei­mensch wird mit Not­wen­dig­keit Lüg­ner. Die deut­sche Ge­schichts­schrei­bung zum Bei­spiel ist über­zeugt, daß Rom der Des­po­tis­mus war, daß die Ger­ma­nen den Geist der Frei­heit in die Welt ge­bracht ha­ben: wel­cher Un­ter­schied ist zwi­schen die­ser Über­zeu­gung und ei­ner Lüge? Darf man sich noch dar­über wun­dern, wenn, aus In­stinkt, alle Par­tei­en, auch die deut­schen His­to­ri­ker, die großen Wor­te der Moral im Mun­de ha­ben, – daß die Moral bei­na­he da­durch fort­be­steht, daß der Par­tei­mensch je­der Art je­den Au­gen­blick sie nö­thig hat? – »Dies ist uns­re Über­zeu­gung: wir be­ken­nen sie vor al­ler Welt, wir le­ben und ster­ben für sie, – Re­spekt vor Al­lem, was Über­zeu­gun­gen hat!« – der­glei­chen habe ich so­gar aus dem Mund von An­ti­se­mi­ten ge­hört. Im Ge­gent­heil, mei­ne Herrn! Ein An­ti­se­mit wird da­durch durch­aus nicht an­stän­di­ger, daß er aus Grund­satz lügt … Die Pries­ter, die in sol­chen Din­gen sei­ner sind und den Ein­wand sehr gut ver­stehn, der im Be­griff ei­ner Über­zeu­gung, das heißt ei­ner grund­sätz­li­chen, weil zweck­dien­li­chen Ver­lo­gen­heit liegt, ha­ben von den Ju­den her die Klug­heit über­kom­men, an die­ser Stel­le den Be­griff »Gott«, »Wil­le Got­tes«, »Of­fen­ba­rung Got­tes« ein­zu­schie­ben. Auch Kant, mit sei­nem ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv, war auf dem glei­chen Wege: sei­ne Ver­nunft wur­de hier­in prak­tisch. – Es giebt Fra­gen, wo über Wahr­heit und Un­wahr­heit dem Men­schen die Ent­schei­dung nicht zu­steht; alle obers­ten Fra­gen, alle obers­ten Wert­h–Pro­ble­me sind jen­seits der mensch­li­chen Ver­nunft … Die Gren­zen der Ver­nunft be­grei­fen, – das erst ist wahr­haft Phi­lo­so­phie… Wozu gab Gott dem Men­schen die Of­fen­ba­rung? Wür­de Gott et­was Über­flüs­si­ges gethan ha­ben? Der Mensch kann von sich nicht sel­ber wis­sen, was gut und böse ist, dar­um lehr­te ihn Gott sei­nen Wil­len… Moral: der Pries­ter lügt nicht, – die Fra­ge »wahr« oder »un­wahr« giebt es nicht in sol­chen Din­gen, von de­nen Pries­ter re­den; die­se Din­ge er­lau­ben gar nicht zu lü­gen. Denn um zu lü­gen, müß­te man ent­schei­den kön­nen, was hier wahr ist. Aber das kann eben der Mensch nicht; der Pries­ter ist da­mit nur das Mund­stück Got­tes. – Ein sol­cher Pries­ter-Syl­lo­gis­mus ist durch­aus nicht bloß jü­disch und christ­lich; das Recht zur Lüge und die Klug­heit der »Of­fen­ba­rung« ge­hört dem Ty­pus Pries­ter an, den dé­ca­dence-Pries­tern so gut als den Hei­dent­hums–Pries­tern (– Hei­den sind Alle, die zum Le­ben Ja sa­gen, de­nen »Gott« das Wort für das große Ja zu al­len Din­gen ist). – Das »Ge­setz«, der »Wil­le Got­tes«, das »hei­li­ge Buch«, die »In­spi­ra­ti­on« – Al­les nur Wor­te für die Be­din­gun­gen, un­ter de­nen der Pries­ter zur Macht kommt, mit de­nen er sei­ne Macht auf­recht er­hält, – die­se Be­grif­fe fin­den sich auf dem Grun­de al­ler Pries­ter–Or­ga­ni­sa­tio­nen, al­ler pries­ter­li­chen oder phi­lo­so­phisch –pries­ter­li­chen Herr­schafts­ge­bil­de. Die »hei­li­ge Lüge« – dem Con­fu­ci­us, dem Ge­setz­buch des Manu, dem Mu­ham­med, der christ­li­chen Kir­che ge­mein­sam –: sie fehlt nicht bei Plu­to, »Die Wahr­heit ist da«: dies be­deu­tet, wo nur es laut wird, der Pries­ter lügt …

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      56.

      – Zu­letzt kommt es dar­auf an, zu wel­chem Zweck ge­lo­gen wird. Daß im Chris­tent­hum die »hei­li­gen« Zwe­cke feh­len, ist mein Ein­wand ge­gen sei­ne Mit­tel, Nur schlech­te Zwe­cke: Ver­gif­tung, Ver­leum­dung, Ver­nei­nung des Le­bens, die Ver­ach­tung des Lei­bes, die Her­ab­wür­di­gung und Selbst­schän­dung des Men­schen durch den Be­griff Sün­de, – folg­lich sind auch sei­ne Mit­tel schlecht. – Ich lese mit ei­nem ent­ge­gen­ge­setz­ten Ge­füh­le das Ge­setz­buch des Manu, ein un­ver­gleich­lich geis­ti­ges und über­le­ge­nes Werk, das mit der Bi­bel auch nur in Ei­nem Athem nen­nen eine Sün­de wi­der den Geist wäre. Man er­räth so­fort: es hat eine wirk­li­che Phi­lo­so­phie hin­ter sich, in sich, nicht bloß ein übel­rie­chen­des Ju­dain von Rab­bi­nis­mus und Aber­glau­ben, – es giebt selbst dem ver­wöhn­tes­ten Psy­cho­lo­gen Et­was zu bei­ßen. Nicht die Haupt­sa­che zu ver­ges­sen, der Grund­un­ter­schied von je­der Art von Bi­bel: die vor­neh­men Stän­de, die Phi­lo­so­phen und die Krie­ger, hal­ten mit ihm ihre Hand über der Men­ge; vor­neh­me Wert­he über­all, ein Voll­kom­men­heits-Ge­fühl, ein Ja­sa­gen zum Le­ben, ein tri­um­phi­ren­des Wohl­ge­fühl an sich und am Le­ben, – die Son­ne liegt auf dem gan­zen Buch. – Alle die Din­ge, an de­nen das Chris­tent­hum sei­ne un­er­gründ­li­che Ge­mein­heit aus­läßt, die Zeu­gung zum Bei­spiel, das Weib, die Ehe, wer­den hier ernst, mit Ehr­furcht, mit Lie­be und Zu­trau­en be­han­delt. Wie kann man ei­gent­lich ein Buch in die Hän­de von Kin­dern und Frau­en le­gen, das je­nes nie­der­träch­ti­ge Wort ent­hält: »um der Hu­re­rei wil­len habe ein Jeg­li­cher sein eig­nes Weib und eine Jeg­li­che ih­ren eig­nen Mann… es ist bes­ser frei­en denn Brunst lei­den«? Und darf man Christ sein, so lan­ge mit dem Be­griff der im­ma­cu­la­ta con­cep­tio die Ent­ste­hung des Men­schen ver­christ­licht, das heißt be­schmutzt ist? … Ich ken­ne kein Buch, wo dem Wei­be so vie­le zar­te und gü­ti­ge Din­ge ge­sagt wür­den, wie im Ge­setz­buch des Manu; die­se al­ten Grau­bär­te und Hei­li­gen ha­ben eine Art, ge­gen Frau­en ar­tig zu sein, die viel­leicht nicht über­trof­fen ist. »Der Mund ei­ner Frau – heißt es ein­mal –, der Bu­sen ei­nes Mäd­chens, das Ge­bet ei­nes Kin­des, der Rauch des Op­fers sind im­mer rein.« Eine and­re Stel­le: »es giebt gar nichts Rei­ne­res als das Licht der Son­ne, den Schat­ten ei­ner Kuh, die Luft, das Was­ser, das Feu­er und den Athem ei­nes Mäd­chens.« Eine letz­te Stel­le – viel­leicht auch eine hei­li­ge Lüge –: »alle Öff­nun­gen des Lei­bes ober­halb des Na­bels sind rein, alle un­ter­halb sind un­rein. Nur beim Mäd­chen ist der gan­ze Kör­per rein.«

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      57.

      Man er­tappt die Un­hei­lig­keit der christ­li­chen Mit­tel in fla­gran­ti, wenn man den christ­li­chen Zweck ein­mal an dem Zweck des Manu-Ge­setz­bu­ches mißt, – wenn man die­sen größ­ten Zweck-Ge­gen­satz un­ter star­kes Licht bringt. Es bleibt dem Kri­ti­ker des Chris­tent­hums nicht er­spart, das Chris­tent­hum ver­ächt­lich zu ma­chen. – Ein sol­ches Ge­setz­buch, wie das des Manu, ent­steht wie je­des gute Ge­setz­buch: es re­sü­mirt die Er­fah­rung, Klug­heit und Ex­pe­ri­men­tal–Moral von lan­gen Jahr­hun­der­ten, es schließt ab, es schafft nichts mehr. Die Voraus­set­zung zu ei­ner Co­di­fi­ca­ti­on sei­ner Art ist die Ein­sicht, daß die Mit­tel, ei­ner lang­sam und kost­spie­lig er­wor­be­nen Wahr­heit Au­to­ri­tät zu schaf­fen, grund­ver­schie­den von de­nen sind, mit de­nen man sie be­wei­sen wür­de. Ein Ge­setz­buch er­zählt nie­mals den Nut­zen, die Grün­de, die Ca­suis­tik in der Vor­ge­schich­te ei­nes