Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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et­was zu sa­gen: das ist die bil­li­ge Be­din­gung, un­ter der ich mich mit je­man­dem un­ter­re­de. Bei ei­nem län­ge­ren Ge­sprä­che wird auch der Wei­ses­te ein­mal zum Nar­ren Und drei­mal zum Tropf.

      Der Wan­de­rer: Dei­ne Ge­nüg­sam­keit ist nicht schmei­chel­haft für den, wel­chem du sie ein­ge­stehst.

      Der Schat­ten: Soll ich denn schmei­cheln?

      Der Wan­de­rer: Ich dach­te, der mensch­li­che Schat­ten sei sei­ne Ei­tel­keit; die­se aber wür­de nie fra­gen: "soll ich denn schmei­cheln?"

      Der Schat­ten: Die mensch­li­che Ei­tel­keit, so­weit ich sie ken­ne, fragt auch nicht an, wie ich schon zwei­mal tat, ob sie re­den dür­fe: sie re­det im­mer.

      Der Wan­de­rer: Ich mer­ke erst, wie un­ar­tig ich ge­gen dich bin, mein ge­lieb­ter Schat­ten: ich habe noch mit kei­nem Wor­te ge­sagt, wie sehr ich mich freue, dich zu hö­ren und nicht bloß zu se­hen. Du wirst es wis­sen, ich lie­be den Schat­ten, wie ich das Licht lie­be. Da­mit es Schön­heit des Ge­sichts, Deut­lich­keit der Rede, Güte und Fes­tig­keit des Cha­rak­ters gebe, ist der Schat­ten so nö­tig wie das Licht. Es sind nicht Geg­ner: sie hal­ten sich viel­mehr lie­be­voll an den Hän­den, und wenn das Licht ver­schwin­det, schlüpft ihm der Schat­ten nach.

      Der Schat­ten: Und ich has­se das­sel­be, was du has­sest, die Nacht; ich lie­be die Men­schen, weil sie Licht­jün­ger sind und freue mich des Leuch­tens, das in ih­rem Auge ist, wenn sie er­ken­nen und ent­de­cken, die un­er­müd­li­chen Er­ken­ner und Ent­de­cker. Je­ner Schat­ten, wel­chen alle Din­ge zei­gen, wenn der Son­nen­schein der Er­kennt­nis auf sie fällt, – je­ner Schat­ten bin ich auch.

      Der Wan­de­rer: Ich glau­be dich zu ver­ste­hen, ob du dich gleich et­was schat­ten­haft aus­ge­drückt hast. Aber du hat­test recht: gute Freun­de ge­ben ein­an­der hier und da ein dunkles Wort als Zei­chen des Ein­ver­ständ­nis­ses, wel­ches für je­den drit­ten ein Rät­sel sein soll. Und wir sind gute Freun­de. Des­halb ge­nug des Vor­re­dens! Ein paar hun­dert Fra­gen drücken auf mei­ne See­le, und die Zeit, da du auf sie ant­wor­ten kannst, ist viel­leicht nur kurz. Se­hen wir zu, wor­über wir in al­ler Eile und Fried­fer­tig­keit mit­ein­an­der zu­sam­men­kom­men.

      Der Schat­ten: Aber die Schat­ten sind schüch­ter­ner als die Men­schen: du wirst nie­man­dem mit­tei­len, wie wir zu­sam­men ge­spro­chen ha­ben!

      Der Wan­de­rer: Wie wir zu­sam­men ge­spro­chen ha­ben? Der Him­mel be­hü­te mich vor lang­ge­spon­ne­nen, schrift­li­chen Ge­sprä­chen! Wenn Pla­to we­ni­ger Lust am Spin­nen ge­habt hät­te, wür­den sei­ne Le­ser mehr Lust an Pla­to ha­ben. Ein Ge­spräch, das in der Wirk­lich­keit er­götzt, ist, in Schrift ver­wan­delt und ge­le­sen, ein Ge­mäl­de mit lau­ter falschen Per­spek­ti­ven: Al­les ist zu lang oder zu kurz. – Doch wer­de ich viel­leicht mit­tei­len dür­fen, wor­über wir über­ein­ge­kom­men sind?

      Der Schat­ten: Da­mit bin ich zu­frie­den; denn alle wer­den dar­in nur dei­ne An­sich­ten wie­der­er­ken­nen: des Schat­tens wird nie­mand ge­den­ken.

      Der Wan­de­rer: Vi­el­leicht irrst du, Freund! Bis jetzt hat man in mei­nen An­sich­ten mehr den Schat­ten wahr­ge­nom­men als mich.

      Der Schat­ten: Mehr den Schat­ten als das Licht? Ist es mög­lich?

      Der Wan­de­rer: Sei ernst­haft, lie­ber Narr! Gleich mei­ne ers­te Fra­ge ver­langt Ernst. –

      Vom Baum der Er­kennt­nis. – Wahr­schein­lich­keit, aber kei­ne Wahr­heit: Freischein­lich­keit, aber kei­ne Frei­heit, – die­se bei­den Früch­te sind es, de­rent­we­gen der Baum der Er­kennt­nis nicht mit dem Baum des Le­bens ver­wech­selt wer­den kann.

      Die Ver­nunft der Welt. – Daß die Welt nicht der In­be­griff ei­ner ewi­gen Ver­nünf­tig­keit ist, läßt sich end­gül­tig da­durch be­wei­sen, daß je­nes Stück Welt, wel­ches wir ken­nen – ich mei­ne uns­re mensch­li­che Ver­nunft –, nicht all­zu ver­nünf­tig ist. Und wenn sie nicht al­le­zeit und voll­stän­dig wei­se und ra­tio­nell ist, so wird es die üb­ri­ge Welt auch nicht sein; hier gilt der Schluß a mi­no­ri ad ma­jus, a par­te ad to­tum, und zwar mit ent­schei­den­der Kraft.

      "Am An­fang war." – Die Ent­ste­hung ver­herr­li­chen – das ist der me­ta­phy­si­sche Nachtrieb, wel­cher bei der Be­trach­tung der His­to­rie wie­der aus­schlägt und durch­aus mei­nen macht, am An­fang al­ler Din­ge ste­he das Wert­volls­te und We­sent­lichs­te.

      Maß für den Wert der Wahr­heit. – Für die Höhe der Ber­ge ist die Müh­sal ih­rer Be­stei­gung durch­aus kein Maß­stab. Und in der Wis­sen­schaft soll es an­ders sein! – sa­gen uns ei­ni­ge, die für ein­ge­weiht gel­ten wol­len –, die Müh­sal um die Wahr­heit soll ge­ra­de über den Wert der Wahr­heit ent­schei­den! Die­se tol­le Moral geht von dem Ge­dan­ken aus, daß die "Wahr­hei­ten" ei­gent­lich nichts wei­ter sei­en, als Turn­ge­rät­schaf­ten, an de­nen wir uns wa­cker müde zu ar­bei­ten hät­ten, – eine Moral für Ath­le­ten und Fest­tur­ner des Geis­tes.

      Sprach­ge­brauch und Wirk­lich­keit. – Es gibt eine er­heu­chel­te Miß­ach­tung al­ler der Din­ge, wel­che tat­säch­lich die Men­schen am wich­tigs­ten neh­men, al­ler nächs­ten Din­ge. Man sagt zum Bei­spiel "man ißt nur, um zu le­ben," – eine ver­fluch­te Lü­ge, wie jene, wel­che von der Kin­der­er­zeu­gung als der ei­gent­li­chen Ab­sicht al­ler Wol­lust re­det. Um­ge­kehrt ist die Hoch­schät­zung der "wich­tigs­ten Din­ge" fast nie­mals ganz echt: die Pries­ter und Me­ta­phy­si­ker ha­ben uns zwar auf die­sen Ge­bie­ten durch­aus an einen heuch­le­risch über­trei­ben­den Sprach­ge­brauch ge­wöhnt, aber das Ge­fühl doch nicht um­ge­stimmt, wel­ches die­se wich­tigs­ten Din­ge nicht so wich­tig nimmt wie jene ver­ach­te­ten nächs­ten Din­ge. – Eine lei­di­ge Fol­ge die­ser dop­pel­ten Heu­che­lei aber ist im­mer­hin, daß man die nächs­ten Din­ge, zum Bei­spiel Es­sen, Woh­nen, Sich-Klei­den, Ver­keh­ren, nicht zum Ob­jekt des ste­ti­gen un­be­fan­ge­nen und all­ge­mei­nen Nach­den­kens und Um­bil­dens macht, son­dern, weil dies für her­ab­wür­di­gend gilt, sei­nen in­tel­lek­tu­el­len und künst­le­ri­schen Ernst da­von ab­wen­det; so daß hier die Ge­wohn­heit und die Fri­vo­li­tät über die Un­be­dacht­sa­men, na­ment­lich über die un­er­fah­re­ne Ju­gend, leich­ten Sieg ha­ben: wäh­rend an­de­rer­seits un­se­re fort­wäh­ren­den Ver­stö­ße ge­gen die ein­fachs­ten Ge­set­ze des Kör­pers und Geis­tes uns alle, Jün­ge­re und Äl­te­re, in eine be­schä­men­de Ab­hän­gig­keit und Un­frei­heit brin­gen, – ich mei­ne in jene im Grun­de über­flüs­si­ge Ab­hän­gig­keit von Ärz­ten, Leh­rern und Seel­sor­gern, de­ren Druck jetzt im­mer noch auf der gan­zen Ge­sell­schaft liegt.

      Die ir­di­sche Ge­brech­lich­keit und ihre Haup­t­ur­sa­che. – Man trifft, wenn man sich um­sieht, im­mer auf Men­schen, wel­che