Karl Kiesewetter

Der Occultismus des Altertums


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ganze Schöpfung verehre, in ihr Ahuramazdâ überall finde und mit sich die Geschöpfe verschiedener Art veredle, die Geister nach ihrer Hoheit, nach ihrem verschiedenen Glanz, nach ihrer mannigfaltigen Wohlthätigkeit rühme und hoch erhebe und in ihnen lebendige Muster seines ganzen Verhaltens erkenne. Die Menschen verehre und veredle er dadurch, daß er für ihr Heil in diesem und jenem Leben sorge, für sie bete und über sie wache, damit sie ihre Pflichten thun. Er nähre die Tiere, ziehe sie auf und sorge, daß alle guten Geschöpfe auf Erden sich vermehren und die Elemente rein erhalten bleiben, damit von Tag zu Tag alles in Licht und Reinheit, Lebensgenuß, Güte, Freude wachse, und er mit allem, was ihn umgiebt, von Tag zu Tag edler werde und von Finsternis zum Licht, vom Tod zum Leben, von der Materie zum Geist sich entwickle und alles mit sich emporhebe in die Nähe Ahuramazdâs, damit alles eins werde und eine Seligkeit des Lebens genieße.

      Zur Erreichung dieses Zwecks schrieb Zoroaster einen Kultus vor, dessen genaue und sorgfältige Ausübung das Mittel dazu ist.

      Zoroasters Gesetz ist der Körper des Urworts[175], das vor allen Wesen war, und ist als fortwährend schaffende göttliche Geistessprache im Zendavesta wahrhaftig aufbehalten. Das Wort war das Urwesen, durch welches alle Wesen geworden sind, was sie sind. Es ist eins mit der Lebenskraft und dem göttlichen Wesen, insofern es ganz Licht, Geist und Kraft des Lebens ist und alles belebt, sobald Ahuramazdâ haucht. Insofern Gottes Natur ganz Leben und Lebenskraft ist und weder von Anfang noch von Ende weiß, heißt Gott das Urwort, und insofern Gottes Geist dieses Wort spricht und durch dieses Sprechen außer sich andern Wesen außer sich Sein, Leben und Wirksamkeit, d. h. Licht mitteilt, heißt dieses Sprechen Gottes auch Wort, Wort der Belebung, lebendige Geistessprache Gottes. Die Sprache Gottes ist blos geistig, ein unsichtbarer Zug der göttlichen Willenskraft, der aus dem Mittelpunkt der Gottheit in die Izeds übergeht und zugleich die Kraft zu beleben und zu schaffen mit sich führt. Diese Sprache verstehen die Izeds vollkommen, denn sie ist die unmittelbare Anschauung der Dinge, das Gefühl des Willens, wie es in Gott war und das aus Gott in sie überging, was keine Menschenzunge aussprechen kann. Die Izeds und Feruers selbst reden unter sich diese Sprache innerer Empfindung und Anschauung, die Menschen aber sprechen mit dem von der Zunge gefaßten Wort miteinander, darum wissen sie auch nicht, wie Gott spricht, und was die Sprache und das Wort Gottes ist. Dieses Wort heißt auch das erste Gesetz, die höchste Weisheit, Ahuramazdâs ursprünglichstes Element, das mit dem Urlicht so zu sagen eins ist, der Ausfluß und die Seele Ahuramazdâs, denn es enthält gewissermaßen die wahren Elemente Gottes; es ist das ewige „Ich bin“, vor dem Beginn aller Dinge vorhanden, ewig die Vollkommenheit selbst, Licht, schrecklich, lebendig und schnell. Ahuramazdâ sprach es, und alle Wesen wurden. Er spricht es von Augenblick zu Augenblick, und dadurch kommt aller Überfluß, alles Gute, aller Samen des Lichts in die Welt; alle Dinge in der Welt sind nur ausgesprochene Worte Ahuramazdâs. Wie Ahuramazdâ das Wort der unbegrenzten Ewigkeit ist, so ist die ganze Welt sein Wort, und alles, was die Izeds wirken, ist ihr Wort.

      Dieses Wort wurde unter der Hülle des Gesetzes den Menschen offenbart, oder – besser gesagt: der Schöpfer aller Dinge wollte den Menschen Erkenntnis und Licht der Natur der ewigen und in jedem Augenblick neu schaffenden Gottheit geben und redete deshalb zu den Menschen in menschlicher Sprache, die sie verstehen konnten, und so wurde das Gesetz, das im Zendavesta, das himmlische, göttliche Gesetz genannt wird, das Gesetz des Lichts, der Wahrheit und des Lebens.

      Die Gottheit hat sich schon vor Zoroaster offenbart und offenbart sich nach ihm, aber Zoroaster ist ihr vornehmster Prophet.

      Der Hauptinhalt des ganzen Gesetzes besteht in den Worten: Du mußt Ahuramazdâ, den König der ganzen Welt, erkennen in Reinheit, seine Schöpfung hochschätzen, Zoroaster für den wahren Propheten Gottes halten und das Reich des Angrômainyus zerstören. Die Menschen sollen Gutes thun wie der erste der Amschaspands, weise sein in ihrem Verstand, wahrhaftig in der Rede, groß, edel und verstandvoll in ihrem Thun und Lassen.

      Die einzelnen Vorschriften des Gesetzes bezwecken Ahuramazdâs Reich im einzelnen und im ganzen zu verschönern, Licht, Leben, Wahrheit und Seligkeit überall auszubreiten, und sind entweder moralisch oder gottesdienstlich oder politisch-religiös.

      Die moralischen Vorschriften beziehen sich auf die Seele, ihre inneren und äußeren Wirkungen. Hier ist das Hauptgebot die größte Reinheit des inneren und äußeren Lebens, Reinheit des Gedankens, Reinheit des Worts und der That. Der Schwerpunkt liegt auf dem Innern der That.

      Die Reinheit des Gedankens, aus welcher Reinheit der Rede und der That entspringt, ist die Richtschnur, nach welcher die Handlungen bemessen und beurteilt werden müssen. Die Reinheit des Gedankens verdammt alle bösen Begierden, welche aus den Keimen Duzakhs entspringen. Jede unreine Lust hat ihren eigenen Dew, wie jede Vollkommenheit und Tugend ihren besonderen Ized. Jeder unreine Gedanke betrübt die Izeds und hindert sie dieser Seele zu dienen, er schwächt das Licht und Leben der Seele und macht, daß die Dews sich freuen und mehr Gewalt bekommen.

      Die Reinheit des Worts besteht in der Güte und Wahrheit der Rede, in der Harmonie zwischen Gedanken und Wort, Zunge und Herz. In der Bezeichnung Reinheit der Rede wird im Zendavesta alles zusammengefaßt, was in der Reinheit des Gedankens liegt, nur daß die Rede unsern Nebenmenschen versinnlicht, was im Herzen Edles, Wahres und Gutes verborgen liegt. Bekannt ist, daß die alten Schriftsteller nicht genug die Wahrheitsliebe der Perser zu rühmen wissen, und nach Herodot bedeutete die Lüge bei den Persern bürgerlichen Tod, und die Jugend wurde von früh an an die strengste Wahrheitsliebe gewöhnt. Im Zendavesta heißt es sehr oft: „Sei wahrhaftig in deinen Worten!“ und von allen Persern wird Reinheit, Edelmut, Hoheit im Denken und Wahrhaftigkeit im Reden vorzüglich verlangt. Ahuramazdâ, dessen Wort lautere Wahrheit ist, wird beständig als Muster aller Muster gepriesen, und Mithra ist der spezielle Ized der Wahrheit in der lebendigen Gemeinde; er ist der Schutzengel der Wahrheit, der Einigkeit und des Friedens. Die Lüge gilt im Zendavesta als das Häßlichste, wodurch der Mensch zum Dew wird; Angrômainyus ist der Erzlügner und Vater aller Lügen.

      Die Reinheit der That oder Gerechtigkeit ist der Tugendgeist und die Lichtabsicht der Handlungen. Wie alles zwischen Ahuramazdâs und Angrômainyus Reich, zwischen Licht und Finsternis, Reinheit und Unreinheit geteilt ist, so auch die Thaten. Die Handlungen haben Licht und Glanz, wenn der Geist des Gesetzes in ihnen lebt, wenn der sie erzeugende Trieb auf Ahuramazdâ und die Verherrlichung seiner Schöpfung durch Vermehrung des Guten gerichtet ist. Alles dagegen, was nicht hierauf abzielt, ist das Werk der Finsternis, ein Werk von Angrômainyus. Im Zendavesta wird die Reinheit der Handlungen nicht durch viele subtile Regeln bestimmt, sondern der Unterricht ist, weil die Vorschriften für Menschen aller Stände bestimmt sind, so beschaffen, daß alle bei der Befolgung des Gesetzes wissen können, wie sie aus reinen Trieben zu handeln imstande sind. „Verehre Ahuramazdâ und sein glänzendes Volk, das er im Anfang geschaffen hat, – heißt es im Zendavesta, – wähle ihr Beispiel dir zum Muster und thue den Willen Ahuramazdâs so, wie die Izeds im Himmel ihn thun, so handelst du rein.“ – Wenn die Anhänger Zoroasters beten, so müssen sie vorher in demütiger Reue ihre Sünden bekennen, wodurch das Herz erleichtert und zum Gebet gereinigt wird. Beim Spenden der Almosen, das den Parsen oft und dringend geboten wird, müssen sie beständig an Ahuramazdâ und die Izeds gedenken und betrachten, wie wohlthätig dieselben sind. Mit größter Bereitwilligkeit des Herzens soll ein Parse dem andern wohlthun, der Reiche den Armen speisen, weil auch dieser ein Verehrer Ahuramazdâs ist, weil alle im Gorotman eins zu werden hoffen, und weil Ahuramazdâ und die Amschaspands sich vorzüglich der Notleidenden annehmen. – Der König soll hauptsächlich dahin streben, daß sein Thun und Lassen rein sei, wozu gehört, daß er seinem Volk sei, was Ahuramazdâ der ganzen Welt ist, Ernährer und Vater der Armen und Betrübten, der Schützer und Helfer der Gerechten, daß er ihnen viel Freude mache und mit seiner ganzen Gewalt das Böse unterdrücke, daß er seine Macht und Würde allein als Ahuramazdâs Geschenk trage und sie nur zum Wohlthun benutze. Weiterhin wird allen Ständen die Nachahmung Ahuramazdâs und seiner Izeds anbefohlen, und jeder Stand hat einen besondern Ized, den er vorzugsweise nachahmen soll, und wenn er dies befolgt, so trägt sein Thun zur Verherrlichung und Lichtwerdung der Schöpfung Ahuramazdâs bei, was der Zweck der Lebensthätigkeit eines jeden Geschöpfs sein soll. Jede darauf hinzielende That ist rein, und je reicher jemand an reinen Thaten ist, desto ähnlicher