Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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      9. Kapitel

       Junghelferinnenbund

       Inhaltsverzeichnis

      Draußen tobte der Krieg in Ost und West weiter. Im Lande aber war man eifrig bemüht, die Wunden, die er schlug, zu heilen und das Elend, das er mit sich brachte, zu lindern. Die begeisterte Jugend beteiligte sich nicht nur an den Liebesgaben für die Truppen und Lazarette, sondern auch an dem schönen Werk der Kriegsfürsorge.

      Die Schülerinnen des Schubertschen Lyzeums hatten sich zu einem Junghelferinnenbund zusammengeschlossen. Und die eigentliche Anregung dazu hatte Doktor Brauns Nesthäkchen gegeben, oder vielmehr sein eintägiger Pflegesohn.

      Die Geschichte von dem armen kleinen Hindenburg kannte bald die ganze sechste Klasse. Jedes der Kinder hatte ungeheures Interesse für das der Elternliebe beraubte Würmchen.

      Als Fräulein Hering in der Handarbeitsstunde, in der man Kniewärmer und Kopfschützer schon zu den Weihnachtspaketen strickte, in ihrer netten Art fragte, was die Schülerinnen nach Beendigung ihrer Strickerei gern arbeiten würden, rief es hier und da: »Jäckchen – Hemdchen – Wickeltücher.«

      Das mußte die Lehrerin natürlich in höchstes Erstaunen setzen, denn bisher war in der Klasse nur für die Soldaten gearbeitet worden.

      »Ja, was sollen denn unsere Feldgrauen bloß damit?« lachte sie.

      »Es soll ja für Annemarie Brauns Ostpreußenkind sein,« rief Hilde Rabe, die dreisteste der Klasse.

      Fräulein Hering ließ sich von Annemarie Bericht erstatten. Diese erzählte in ihrer freimütigen Art von der lebendigen Puppe, und daß dieselbe, weil sie der Großmama zuviel Radau gemacht habe, zur Portierfrau gewandert sei. »Aber ich besuche ihn täglich und sehe, wie’s ihm geht, die Portierfrau ist sehr gut zu ihm.«

      »Fünf Pfennige in die Fremdwortkasse, Hausmeister sagen wir jetzt«, ließen sich patriotische Stimmen vernehmen.

      Annemarie Braun kramte errötend fünf einzelne Pfennige aus ihrer Tasche hervor, welche Marlene Ulrich in die von ihr verwaltete Kasse warf. Fräulein Hering aber, deren Mitleid erregt war, meinte nachdenklich: »Es ist hübsch von euch, daß ihr für den kleinen Findling nähen wollt. Aber mit Hemdchen und Jäckchen allein ist es nicht getan. Der Kleine wird noch vieles andere brauchen. Ich mache euch den Vorschlag, daß die sechste Klasse die Sorge für die Erziehung des Kindes, falls die Eltern unbekannt bleiben, übernimmt. Ich selbst will den Vorsitz führen und euch die Anleitung dazu geben. Könnt ihr wohl jeden Monat fünfundzwanzig Pfennige für das arme Ostpreußenkind mitbringen?«

      »Ja – natürlich – das können wir sogar von unserem Taschengeld –« riefen die Schülerinnen begeistert durcheinander.

      »Da kommt schon eine ganz nette Summe zusammen als Beihilfe der Erziehungskosten des Kindes. So gibt es noch unzählige arme kleine Kinder, welche der Krieg zu Waisen gemacht hat. Ich werde auch in allen anderen Klassen werben. Eine jede Klasse soll die Fürsorge für solch ein kleines Waisenkind übernehmen«, überlegte die menschenfreundliche Lehrerin.

      »Wir wollen aber Annemaries Jungen – wir wollen Hindenburg behalten!« baten die Kinder.

      »Wen wollt ihr?« Fräulein Hering glaubte, nicht recht gehört zu haben.

      »Annemarie hat ihn Hindenburg genannt – – –«

      Die Lehrerin lachte von Herzen.

      »Wie bist du denn bloß auf diesen Namen gekommen, Annemarie?«

      »Es ist der schönste Name, den es gibt«, antwortete die Kleine voller Begeisterung. »Aber jetzt heißt er leider Max oder vielmehr ›Mäxeken‹.«

      Nun lachte die ganze Klasse.

      »Wie nennen wir denn unsere neue Vereinigung nun, einen Namen muß unser Bund doch haben?« überlegte Fräulein Hering mit ihren Schülerinnen gemeinsam.

      »Ostpreußenbund – Wickelkinderklub – Deutsche Mädel-Helferinnen – Deutsche Erziehungsgesellschaft –« so regneten die Vorschläge auf Fräulein Hering herunter.

      Aber Fräulein Hering fand die Namen nicht recht geeignet.

      »Wir wollen uns ›Junghelferinnenbund‹ nennen«, schlug sie vor. Und dabei blieb es.

      Der »Junghelferinnenbund« nahm es mit seiner Aufgabe kolossal ernst. Eine jede bettelte daheim der Mutter an Kleinkinderwäsche ab, was sie nur erhielt. Und da die meisten keine so kleinen Geschwister mehr hatten, kam eine stattliche Zahl von Hemdchen, Jäckchen, Mützchen, Windeln und Steckkissen zusammen. Der kleine Ostpreußenflüchtling hätte danach eine Kinderaussteuer gehabt wie ein kleiner Prinz.

      Dagegen aber erhob Fräulein Hering, die verständige Vorsitzende des Junghelferinnenbundes, aus verschiedenen Gründen Einspruch. Erstens hatte man die Pflicht, das Kind von Anfang an einfach und bescheiden zu erziehen. Zweitens gab es noch so unendlich viele ebenso hilfsbedürftige kleine Menschenkinder. Und drittens sollten ihre jungen Schülerinnen selbst für den kleinen Pflegling die Hände regen und ihren Fleiß ihm zugute kommen lassen. Das war entschieden wertvoller für die Entwicklung der jungen Seelen, als wenn gleich alles in Hülle und Fülle vorhanden war.

      So erhielt der kleine »Max«, wie er jetzt endgültig hieß, nur einen Teil der Wäsche. Das übrige ging in die Findelhäuser, in die Kleinkinderkrippen und vor allem an das Ostpreußenkomitee, wo es so unendlich viel Not zu lindern gab.

      Eine Handarbeitsstunde in der Woche gehörte dem Junghelferinnenbund. Die zweite nach wie vor der Verfertigung von Liebesgaben für die tapferen Krieger. Denn die durften keinesfalls zu kurz kommen.

      Doktors Nesthäkchen war, was Handfertigkeit anbelangte, ein ziemlich ungeschicktes, kleines Mädel. Es wurde dem Wildfang alles viel schwerer als der weiblichen Margot, die jedes Ding ganz besonders zierlich und sauber ausführte. Aber Annemarie gab sich rührende Mühe, es der Freundin möglichst gleich zu tun. Nicht aus Ehrgeiz – nein, es war ja für »unsere Krieger«.

      Wenn sie trotzdem öfters Schiffbruch mit ihren Wollerzeugnissen erlitt, so lag das sicherlich nicht an ihrem Eifer, nur an ihrer – Huschligkeit. Das erste Paar warmer Handschuhe, das Nesthäkchen zustande brachte, hatte zusammen nur neun Finger. Einen hatte es vergessen. Aber Annemarie hatte sofort einen Trost bei der Hand: »Es gibt sicherlich Soldaten, denen ein Finger abgeschossen worden ist. Die wollen doch auch Handschuhe tragen. Und ihr arbeitet bloß immer für die Gesunden!« So wies sie die Neckereien der Freundinnen mit Gemütsruhe ab.

      Die Einlegesohlen, welche die Kinder mit einer Zwischensohle von Zeitungspapier für den Winterfeldzug gegen Rußland verfertigten, da sie besonders gut wärmten, zeigten bei Annemarie Braun Berg und Tal. Selbst Fräulein Hering, deren Liebling Annemarie war, konnte sich der Äußerung nicht enthalten: »Der arme Soldat, der auf deinen Sohlen herumlaufen muß, Annemarie! Der bekommt nach dem ersten Marsch Hühneraugen!«

      Annemarie lachte mit der Klasse um die Wette, sowas nahm sie durchaus nicht übel.

      Ihren Kniewärmer hatte sie oben und unten zusammengehäkelt, damit er nur recht schön warm sein sollte. Wenn die deutschen Soldaten auch überall vorwärtsstürmten und vor keinem Hindernis zurückschreckten, das sollte ihnen doch wohl schwer werden, sich zu Nesthäkchens Kniewärmern den Eingang zu erkämpfen. Da hieß es denn auftrennen und besser machen. Das tat das kleine Fräulein höchst ungern.

      Für den Kopfschützer aber, den sie Onkel Heinrich sandte, bekam sie eine Feldpostkarte mit einem drolligen Gedicht. In diesem dankte Onkel Heinrich ihr innig, daß sie doch immerhin noch soviel Platz in dem Kopfschützer gelassen habe, daß er nicht ganz erstickt sei. Nur das Gehirn sei ihm auf einer Seite etwas eingedrückt worden. Das Gedicht, das Annemarie der jubelnden Klasse vorlas, schloß:

      »Sollt’s ein Kopfschützer auch sein,

       ich trag’ ihn als Strumpf am Bein.«

      Dagegen schrieb Vater, den