Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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dir danke ich es, daß ich fern von der Heimat ruhig sein konnte um meine Kinder«, innig schmiegte sich der blonde Kopf an den weißhaarigen der alten Dame. Nesthäkchen aber durchzuckte plötzlich inmitten des Glücksüberschwalls ein scharfes Weh. Durch Muttis Blondhaar zogen sich Silberfäden – deutlich sah Annemarie es beim Schein der durch das Treppenfenster huschenden Sonnenstrahlen. Daran trug die schwere Zeit im Feindesland die Schuld – wie wollte Nesthäkchen durch seine Liebe Mutti dieselbe vergessen machen!

      Auf dem nächsten Absatz hatte Fräulein mit frohen Augen Posto gefaßt, ganz oben aber thronte Hanne, die lachte über das ganze breite Gesicht.

      »Na, Jott sei Dank, daß jnädije Frau wieder bei uns is, nu wird’s ja woll auch mit dem entsetzlichen Krieg ’n Ende haben«, sagte sie überglücklich.

      »Ja, Hanne, was ich dazu tun kann, das soll sicher geschehen«, scherzte Frau Doktor, und die Wehmut, die ihr beim Eintritt in ihr Heim nach so langer Zeit kommen wollte, schlich sich schnell beiseite.

      Draußen wehten siegesfrohe Fahnen, drinnen in dem gemütlichen Wohnzimmer saßen überselige Menschen glücklich vereint wieder beisammen. Die liebe Sonne aber glänzte mit Annemaries Augen um die Wette.

      Und Mutti erzählte.

      Dazwischen aber wanderte ihr Blick immer wieder zu ihrem blühenden Nesthäkchen, jetzt »ihrer Großen«, die nicht mehr kleiner war als sie selbst. Wie dankte sie dem da droben, daß sie endlich wieder daheim sein durfte, daß er Heimat und Haus gnädig beschirmt hatte.

      Als die Pfingstglocken durch das Land sangen, da war auch der Vater auf Urlaub heimgekehrt. Still lauschten sie innig vereint dem ehernen Klange, und jeder von ihnen empfand das, was die Mutter aussprach: »Mögen es bald die Friedensglocken sein, die Deutschland durchjubeln – das walte Gott!«

      *

      Mit diesem Wunsche nehme ich Abschied von euch, meine lieben, jungen Leserinnen. Auch mancher von euch hat der Weltkrieg wohl, gleich unserm Nesthäkchen, Opfer auferlegt, kleinere oder größere. Aber ich bin davon durchdrungen, daß auch ihr sie freudig fürs Vaterland auf euch genommen habt. Wenn das schwere Ringen zu Ende und ein siegreicher Frieden unserer teuren Heimat beschieden ist, dann erzähle ich euch, was aus Doktors Nesthäkchen wurde. Bis dahin lebt wohl!

      Nesthäkchens Backfischzeit

       Inhaltsverzeichnis

       1. Kapitel Das lustige halbe Dutzend

       2. Kapitel Die Untersekunda schippt Schnee

       3. Kapitel Doktors Nesthäkchen gründet einen Schülerrat

       4. Kapitel Versetzungszensuren

       5. Kapitel Nesthäkchens sechzehnter Geburtstag

       6. Kapitel Hamsterfahrt

       7. Kapitel Berlin auf Rädern

       8. Kapitel Zur Erntearbeit

       9. Kapitel Unvorhergesehenes

       10. Kapitel Kindermädel

       11. Kapitel Tanzstunde

       12. Kapitel Kohlennot

       13. Kapitel Die Rotbemützten

      1. Kapitel

       Das lustige halbe Dutzend

       Inhaltsverzeichnis

      Im Ofen heulte der Wind. Er ächzte und stöhnte. Mit knöcherner Hand fuhr er in den Schornstein und wirbelte die Kohlenglut ungestüm durcheinander. An den Fensterscheiben rüttelte er, daß sie ärgerlich anfingen zu klirren. Jetzt warf er gar ein paar Hände Eisschollen wie ein echter Gassenjunge gegen das Fensterglas. Dann aber gab er schnell Fersengeld. Denn innen hinter der weißgepunkteten Mullgardine tauchte ein rosiger Blondkopf auf, mit weitaufgerissenen Blauaugen in das tolle Durcheinander hinausstarrend.

      »Brrr – ist das ein Hundewetter!« Doktor Brauns Nesthäkchen schüttelte sich. »Die Mädels werden sich durch den Hagel doch nicht vom Kränzchen zurückhalten lassen? Ach wo, die sind nicht aus Marzipan. Höchstens Margot Thielen, aber die wohnt auf demselben Flur und braucht sich keinen Fuß naß zu machen. Wenn nur Veras Tante nicht Einspruch erhebt, die denkt auch immer gleich, wenn Vera mal hustet, sie hätte schon die Lungenentzündung. Himmel – ist denn die Welt ganz aus den Fugen!« Ein erneuter Hagelschauer prasselte gegen die Scheibe; die weißen Körner sprangen und hopsten so hoch, als hätten sie es auf Nesthäkchens sich gegen das Glas pressende Nasenspitze abgesehen.

      Um so gemütlicher war es drinnen. Die von einem mattlila Seidenschleier gedämpfte elektrische Lampe warf ihr Licht über den zierlich gedeckten Kaffeetisch vor dem kleinen bunten Ecksofa. Auf dem goldgelben Gedeck, das Annemarie der Mutter mit dem festen Versprechen abgebettelt, daß bestimmt kein Kaffeefleck darauf prangen würde, standen sechs goldgeränderte Tassen. Die Mitte aber nahm der umfangreiche Kuchenteller ein mit allerlei verlockenden Sachen darauf. Das mochte wohl auch die derbe Jungenhand dazu bewegen, sich nach einem zuckerbestreuten Pfannkuchen auszustrecken und denselben gleich auf einmal in den Mund verschwinden zu lassen.

      In diesem kritischen Augenblick gerade wandte sich Annemarie vom Fenster in das Zimmer zurück. Eine Sekunde stand sie entgeistert. Dann aber flog sie auf den Missetäter zu und schien nicht übel Lust zu haben, ihm den entwendeten Kuchen wieder aus dem Mund zu reißen.

      »Mutti – der Klaus maust mir meinen Kränzchenkuchen weg! Gerade einen Pfannkuchen hat er erwischt! Und die Hanne hat bloß sechs gebacken, weil sie nicht mehr Fett spendieren wollte. Ach Gott, nun bekommt eine keinen!« so jammerte Annemarie und ging trotz ihrer fast sechzehn Jahre mit kriegerisch erhobenen Fäusten auf den älteren Bruder los.

      Der verschanzte sich lachend gegen einen als Schild erhobenen Korbsessel.

      »Reg’ dich wieder ab, Annemie. Der Pfannkuchen hat deinem lieben Bruder mindestens so gut geschmeckt wie deinen Kränzchenschwestern. Und da du mit deiner Vera stets ein Herz und eine Seele bist, könnt ihr ja auch mal ein Magen sein und euch den Pfannkuchen teilen,« schlug der Primaner mit Gemütsruhe vor.

      Aber gerade diese goß Öl in das Feuer von Annemaries leicht aufflammendem Temperament.

      »Wenn es noch ein Stück Napfkuchen gewesen wäre!« Die Empörung über den gemausten Pfannkuchen überwältigte das junge Mädchen wieder. »Und mein Zimmer paffst du mir auch mit deiner alten Zigarette voll. Bei dem Sturm kann ich nicht mal ein Fenster aufmachen.« Wieder erfolgte ein energischer Vorstoß auf den Bruder.

      »Was, ihr Mädels wollt Sekundaner sein und könnt nicht mal ein bißchen Zigarettendampf vertragen? Na, warte, Annemie, ich werde daran denken, wenn du mir mal wieder Zigaretten abbettelst.« Damit blies er der hübschen Schwester eine große Rauchwolke in das Gesicht.

      Jetzt ging der Kampf