Robert Kraft

Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker)


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Metern eine dunkle Gestalt stehen, mehr braun als schwarz, doch das kann ich alles gar nicht deutlich unterscheiden – denn in diesem Augenblick, als ich ihn gewahre, schießt der Kerl in weitem Bogen hinab in die Tiefe, mit dem Kopfe voran, die Hände vorgehalten – und ich schreie wirklich vor Schreck laut auf; denn ich denke nicht anders, als er muß im nächsten Moment mit zerschmettertem Kopfe an Deck meines Schiffes liegen oder auch auf dem des anderen Dampfers; denn wir lagen ganz dicht zusammen, zwischen unseren Bordwänden war kaum ein Zwischenraum von einem Meter … aber nein, eben durch diese Spalte schießt der Kerl in gewaltigem Bogen hindurch, er muß das Wasser erreicht haben, aber ich höre gar keinen so lauten Schall, nur ein ganz leises Aufschlagen – schnell blicke ich über die Bordwand – richtig, dort unten kräuselt sich das Meer, aber nur ganz gering, der braune Mann ist verschwunden …

      Ich bin einfach sprachlos vor Staunen.

      Man muß sich nur solch eine Höhe von mindestens sechzehn Metern vorstellen, und die Galerien waren doch nicht etwa übereinander, jede war wenigstens zwei Meter breit – was für ein Sprung dazu gehört! – und nun gerade in diese schmale Spalte hinein, gebildet von den beiden Dampfern, nur eine Idee falsche Berechnung, und der Kopf war in Trümmern, oder auch nur das Bein, nur die Hacke brauchte die Bordwand zu streifen, jedesmal mußte es Knochensplitter geben …

      »Um Himmels willen, was war denn das?!« rief ich, immer noch tödlich erschrocken ob solch einer Verwegenheit.

      »Das war Hatschigagok, oder wie der Kerl heißt, der nimmt sein Morgenbad,« entgegnete Karlemann phlegmatisch.

      Er war ausnahmsweise so gefällig, mir weitere Mitteilungen zu machen, aber doch immer noch verschweigend, wie er eigentlich zu dem Manne gekommen war.

      Es war ein mexikanischer Indianer, der früher im Golf von Mexiko nach Perlen getaucht hatte. Den Namen Hatschigagok oder Fischmensch führte er mit Recht – besonders wenn man ihn im Wasser beobachtete, glaubte man eher einen Fisch, denn einen Menschen zu sehen.

      »Er kann tagelang im Wasser zubringen, oder überhaupt immer, sein ganzes Leben lang, braucht das Land gar nicht zu betreten.«

      »Das ist wohl nicht gut möglich.«

      »Warum denn nicht?«

      »Ich will nicht leugnen, daß es möglich sei, daß ein Mensch tagelang im Wasser aushalten kann, wenn durch die Kälte des Wassers seine Blutwärme nicht zu sehr vermindert wird, aber sein ganzes Leben lang, daß er des Landes überhaupt nicht bedarf – das ist wohl etwas zu viel behauptet.«

      »Warum denn?« wiederholte Karlemann in seiner faulen Weise.

      »Das kann nur ein Fisch.«

      »Der Wal und der Seehund sind auch keine Fische und leben dennoch ganz im Meer.«

      »Aber das ist ein Mensch.«

      »Jedoch ein Mensch, der so etwas eben kann.«

      »Na, wovon sollte er sich denn dann ernähren?«

      »Von Fischen.«

      »Die er mit den Händen fängt?« spottete ich.

      »Jawohl.«

      »Und gleich roh auffrißt?«

      »Gleich roh. Sie glauben’s nicht? Sie können ja zusehen, wie er sich Fische fängt. Läßt sich nur ein einziger Fisch im Hafen sehen, den hat er sofort, der Fisch kann ausreißen – dieser Fischmensch ist schneller, er kriegt ihn doch noch beim Schwanze – und dann frißt er ihn. Was wollen Sie denn? Der ist von New-Orleans, oder von der Halbinsel, die dort ins Meer springt, quer durchs Meer bis nach Florida geschwommen, nach Kap Sable, so gegen 600 Seemeilen. Hat dazu vierzehn Tage gebraucht, hat täglich seine elf deutschen Meilen geschwommen, hat dazwischen natürlich immer einmal geschlafen. Dazu legt er sich einfach auf den Rücken, schlägt die Beine übereinander, die Arme als Kopfkissen unter den Schädel, und so schnarcht er. Wegen Trinkwasser? Der braucht niemals zu trinken. Das Fleisch der Fische genügt ihm. Wie das möglich ist, begreif’ ich selber nicht, aber ’s ist nun einmal so. Und wegen der Haifische? Dem tut keiner was. Ingenieur Schimmel meint, er hätte eine ganz eigentümliche Hautausdünstung, überhaupt schon eine eigentümliche Haut, die schwitzt etwas aus, daß kein Wasser daran hält.«

      Wenn jetzt nicht, so mußte ich später daran glauben, als ich diesen Wundermenschen näher kennen lernte.

      Er war eben ein Fischmensch, mehr ist kaum zu sagen. Sein Aeußeres war ganz normal, auch der Brustkasten, obgleich er fast zehn Minuten unter Wasser aushalten konnte. Nur seine Hände waren merkwürdig. Man konnte an Flossen oder eher an Schwimmhäute denken. Die Hände waren nämlich sehr groß und noch breiter, die Finger dagegen außerordentlich kurz, fast verkrüppelt.

      Hierbei will ich gleich noch etwas anderes erwähnen, was ich aber auch erst später erfuhr.

      Schillers Ballade ›Der Taucher‹ ist allgemein bekannt. Wie zu allen seinen Balladen hat Schiller auch zu dieser ein Vorbild, eine Anregung gehabt.

      Anno dazumal, so geht in Sizilien noch heute die Sage, lebte ein Schwammtaucher, der sich auf dem Lande durchaus nicht wohl fühlen konnte, der sich immer mehr gänzlich ins Meer zurückzog. Bei Sonnenschein und beim furchtbarsten Wogengang trieb er sich darin umher, fing sich Fische, die er roh verschlang, er brauchte kein Trinkwasser – und so weiter, alles wie bei dem hier, und er soll auch richtige Schwimmhäute zwischen den Fingern gehabt haben.

      Der König von Sizilien hörte von diesem menschlichen Wunder, beorderte es zu sich oder ging selbst an die Küste. Der Fischmensch mußte sich produzieren. Der König ergötzte sich, und als ihm die einfachen Kunststückchen nicht mehr genügten, verlangte er, der Fischmensch solle in den fürchterlichen Strudel tauchen, der an der Ostküste Siziliens erzeugt wird, dort, wohin die alten Griechen ihre alles verschluckende Charybdis verlegten, der auch Odysseus nur durch eine List entgehen konnte.

      Der König warf irgend etwas Kostbares hinein, vielleicht einen Beutel mit Gold, der Fischmensch tauchte hinab in den kochenden Strudel, brachte das Gold als sein Eigentum wieder herauf – der König warf noch mehr hinein – und zum zweiten Male ist der Taucher nicht wieder zum Vorschein gekommen.

      Nach dieser Sage hat Schiller seinen ›Taucher‹ gedichtet.

      Als ich dann nach Sizilien kam, habe ich davon aus vieler Munde erzählen hören, und ich glaube nicht, daß es sich hier nur um eine Sage handelt. Wenn man auch nicht mehr die Zeit angeben konnte, so war die Erinnerung an jenen Fischmenschen noch gar zu lebendig, es wurde auch gesagt, er habe nicht direkt Schwimmhäute oder gar Flossen gehabt, sondern nur sehr breite Hände mit ganz merkwürdig kurzen Fingern – alles wie hier bei unserem Hatschigagok – und, nun kommt vielleicht das Merkwürdigste, jener Sizilianer sei ein schrecklich fauler Mensch gewesen, das heißt nämlich, obgleich er doch zum Schwammtauchen am geschaffensten war, am meisten Geld hätte verdienen können, so zog er doch vor, zwecklos draußen im Meere herumzuschwimmen, lieber rohe Fische zu fressen, anstatt sich delikate Polenta zu verdienen – und das traf ganz genau auch bei unserem Hatschigagok zu!!

      »Wie sind Sie denn zu dem gekommen?«

      »Gott, das südamerikanische Schiff dort hat ihn mitgebracht – er war als Matrose darauf – aber der Kerl hält nirgends aus – zum Perlentauchen war er zu faul – dann hat ihn einmal ein Yankee engagiert, aber auch produzieren wollte er sich nicht – oder er hält eben nirgends aus – immer wieder hinaus ins Meer, so planlos herumschwimmen, das gefällt ihm am besten. Na, jetzt ist er bei mir, und bei mir wird er schon bleiben.«

      So sprach Karlemann, und der wußte sicher nichts von jenem sizilianischen Taucher, so wenig wie ich damals.

      Vor allen Dingen aber hörte ich jetzt heraus, wie mir der Junge ausweichen wollte, er wollte mir nichts weiter von diesem Dampfer mitteilen, und ich bin der letzte, der seine Nase in Dinge steckt, die ihn nichts weiter angehen.

      Doch ich fühlte mich deswegen auch nicht gekränkt, meine erst aufsteigende Eifersucht war schnell wieder besiegt.

      »Na, dann mal raus aus der Koje mit den Mißgeburten!!«

      Sie