Mary Henrietta Kingsley

Reisen in Westafrika


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Mauritius, Réunion oder Madagaskar finden kann. Die Anzahl europäischer Pflanzen ist beeindruckend hoch (43 Gattungen, 27 Arten), die meisten der britischen Pflanzen sind hauptsächlich in den Hochlagen anzutreffen. Noch bemerkenswerter war die Beobachtung, dass südafrikanische Pflanzen sehr selten vorkamen und keine einzige der typischen Sorten St. Helenas nachweisbar war.

      Doch – leider! – gedeihen auf Fernando Po Kakao, Chinarindenbaum und auch Kaffee, da die Krankheit, die dem Kaffee auf dem Festland so stark zusetzt, hier kaum verbreitet ist. Und dies ist der Grund für die derzeit stattfindende großflächige Zerstörung der Wälder. Vor einigen Jahren wurde São Thomé von seinen überraschten Nachbarn dabei ertappt, wie es mit dem Kaffeeanbau gewaltige Reichtümer anhäufte, und so begannen Fernando Po und Príncipe umgehend, ebenfalls gewaltige Reichtümer anzuhäufen. Nun sind sie mithilfe an der gesamten Westküste zusammengekarrter einheimischer Arbeitertrupps schwer im Geschäft, wobei in jenen Arbeitstrupps alle Stämme mit Ausnahme der Kru vertreten sind. Denn für einen Kru ist »Panier«, wie er »Spanier« ausspricht, ein Wort von noch größerem Schrecken als »Portugiese« – und das trotz des von den Kru oft wiederholten Satzes, »Gott erschuf die Weißen und Gott erschuf die Schwarzen, aber die Portugiesen sind vom Deubel in die Welt gesetzt«.

      Außerdem erinnern sich die Kru noch gut an eine unglückliche Geschichte vor einigen Jahren, bei der es auch um den Kaffeeanbau ging: Eine Gruppe von Kru hatte sich auf zwei Jahre zur Arbeit auf der Insel São Thomé verpflichtet, und als sie eintrafen, setzten die Portugiesen sie auf den Kaffeeplantagen ein. Nun ist Landarbeit »Frauenkram«, dennoch überwanden sich die Kru, und während sie voller Hoffnung die Monde auf ihren Kalenderstöcken markierten, schworen sie sich vermutlich still und leise, den Mädchen daheim nie zu verraten, dass sie Äcker gepflügt hatten. Doch als die Monde schließlich komplett waren, hielt man sie immer wieder hin, anstatt sie samt ihrer Bezahlung nach »Wir-Land« zu schicken. Die Monate vergingen und die Kru waren noch immer auf São Thomé und pflügten noch immer die Äcker. Schließlich hielten es die heimwehkranken Männern vor Verzweiflung nicht mehr aus: Einer nach dem anderen schlichen sie davon und versuchten, einzeln oder in Paaren in kleinen offenen Kanus und nahezu ohne Proviant die Hunderte Kilometer stürmischen Atlantiks zur Küste von »Wir-Land« zu überqueren. Das Ergebnis war eine Tragödie, doch es hätte leicht noch schlimmer kommen können, denn zumindest einige wenige waren von englischen Schiffen lebend eingesammelt und in ihre Heimat gebracht worden, wo sie ihre Geschichte erzählten. Viele Kanus jedoch fand man nur leer oder mit einem toten Kru, und viele trieben kieloben und erzählten bildhaft von Hunger, Durst und Verzweiflung, die die Besatzung über Bord und zu den Haien getrieben hatten.

      Meine portugiesischen Freunde versicherten mir, es wäre ihnen nie im Traum eingefallen, die jungen Männer auf Dauer festzuhalten, man hätte lediglich warten wollen, bis neue Arbeiter eingetroffen wären, um die Arbeit auf den Plantagen zu übernehmen. Ich glaube ihnen, denn nach allem, was ich von den Portugiesen in Afrika gesehen habe, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie generell zu den Eingeborenen grausam sein sollten. Doch es überrascht mich keinesfalls, dass die armen Kru das portugiesische logo und amanhã14 für die Ewigkeit selbst hielten, denn das habe ich auch öfters getan.

      Die längste Ausdehnung der Insel erstreckt sich gut 53 Kilometer in südwestlicher Richtung, die durchschnittliche Breite liegt bei 27 Kilometern. Den Hafen Clarence Port nennen die Spanier nun Santa Isabel, sie haben allen englisch benannten Plätzen spanische Namen gegeben, ohne dass irgendwer besondere Notiz davon genommen hätte. Es ist ein sehr bemerkenswerter Platz und mit Ausnahme von Gabun – Libreville15 – vielleicht der schönste Hafen an der Westküste. Libreville ist nicht ganz so ungesund wie Clarence Port, und das macht ihn im Vergleich konkurrenzfähig. Die Bucht von Clarence Port ist ein perfekter Halbkreis umsäumt von einer bis zu fünfzig Metern hohen Klippe und, um es milde zu sagen, außerordentlich heiß und stickig. Es handelt sich offensichtlich um einen teilweise im Meer versunkenen Krater, dessen überfluteter seewärtiger Rand Wassertiefen von nur etwa zehn Metern aufweist. Lediglich genau im Zentrum des Bogenschnittes bei der Fahrrinne beträgt die Wassertiefe immerhin knapp fünfundzwanzig Meter. Im Innern des Kraters ist das Wasser tiefer, an einigen Stellen bis zu achtzig Meter und außerhalb des Rings ist es ebenfalls tief, aber voller Untiefen. Oben auf der Klippe liegt die kleine baufällige Stadt Clarence auf einem Plateau, das landeinwärts in Richtung der Berge rund anderthalb Kilometer leicht abschüssig an Höhe verliert, bis der Boden wieder steigt und die Hänge der Berge beginnen. Direkt auf dem schmalen Strand schmiegen sich die Lagerhallen einiger Händler eng an die Klippen. Hier werden nach der Landung die Waren eingelagert. Es gibt auch eine kleine Pier, aber meist wird gerade irgendetwas an ihm repariert oder er ist geschlossen, weil demnächst etwas repariert werden soll. Jedenfalls stehen die Chancen, ihn zu benutzen, schlecht, und folglich müssen Sie gewöhnlich direkt am Strand anlanden. Haben Sie dies endlich geschafft, folgen Sie einem steilen, in die Flanke der Klippe geschlagenen Pfad hinauf in die Stadt. Dort haben Sie dann die mit Abstand langweiligste mir bekannte Stadt entlang der Westküste erreicht. Ich erinnere mich noch, bei meiner ersten Ankunft in Clarence die gesamte Bevölkerung in höchstem Maße alarmiert, aufgeregt und teilweise verängstigt anzutreffen. Clarence, nein ganz Fernando Po war auf dem Wege, so ausgelassen und zügellos zu werden, dass es Paris und Monte Carlo die Schamröte in Gesicht triebe: Es stand die Eröffnung des ersten Café in Clarence an, und was dort in dem Café angeblich alles passieren sollte, gebe ich besser nicht wieder.

      Ich kann allerdings berichten, dass es sich um falschen Alarm handelte. Als ich das nächste Mal Clarence erreichte, war der Ort noch genauso verschlafen und seine Straßen noch immer so von Unkraut überwuchert wie eh und je, obwohl das Café geöffnet hatte. Vermutlich hatte die Schläfrigkeit des Orts das Café angesteckt und ihm alle Ausgelassenheit genommen. Es könnte aber auch sein, dass die Einwohner einfach zu gut vor seinem bösen Einfluss geschützt waren, denn auf der Insel leben 52 Laienprediger in der Verantwortung von 54 Priestern.16 Die zwei überschüssigen hatten vermutlich die Aufgabe, dem Gouverneur auf die Finger zu schauen, auch wenn der ehrenwerte Mann dies auf meine Frage hin sehr lebhaft bestritt. Zu den Priestern kommen noch einige Missionare der Methodisten hinzu und auch ein weißer Herr, der eine neue Religion erfunden hat. Wie auch immer: In diesem Café fliegen jedenfalls die Funken wie bei einer feuchten Zündschnur.

      Verbringen Sie einen Tag am Land, und der Reiz der Stadt ist bereits verflogen – was gewöhnlich spätestens nach einer Viertelstunde geschieht – können Sie einen Städter fragen, wie Sie den Rest ihrer Zeit an Land verbringen sollten. Er wird ihnen dann raten, sich doch »die Kohle anzuschauen«. Sie sagen sich, nicht in die Tropen gereist zu sein, um eine Kohlehalde zu besichtigen, doch auch auf wiederholte Nachfragen macht man Ihnen überall denselben Vorschlag. Da man Ihnen schon beim Verlassen des Schiffes ebenfalls riet, sich »die Kohle anzusehen«, geben Sie schließlich nach und erfüllen den Auftrag. Besagte Kohle sind die Überbleibsel der Vorräte, die hier für die englischen Kriegsschiffe gelagert und bei Auflösung des Flottenstützpunkts zurückgelassen worden waren. Die Spanier hatten zunächst geplant, die Kohle zu nutzen, und eine kleine Bahn von dort nach Clarence gebaut. Doch als die Bahn fertig war, war der Elan der Spanier vorbei, und so liegt die Kohle bis heute dort. Ab und zu meint jemand, sie hätte sehr gute Qualität und könne für einen Dampfer genutzt werden. Manch einer, der sie probeweise nutzte, erklärte, sie sei in Ordnung, während andere behaupten, sie sei furchtbar schlecht. Letztlich wird es wohl darauf hinauslaufen, dass es in einigen tausend Jahren zu einem heftigen Konflikt unter Geologen kommen wird, welche Ursache die merkwürdig kleine Kohletasche auf Fernando Po haben könne. Die Wissenschaftler werden vermutlich Kontinente hin und her schieben, den Meeresspiegel erhöhen und wieder senken, und zweifellos viel mehr Aufregung und Spaß mit dieser Kohle haben als wir heute.

      Die Geschichte der englischen Besatzung auf Fernando Po wird oft falsch wiedergegeben, und immer mal wieder wird unsere Regierung für die Übergabe der Insel an die Spanier beschimpft. Die Übergabe war aber unvermeidlich, denn wir hatten die Insel 1827 von Spanien lediglich gepachtet und im beginnenden energischen Kampf gegen den Sklavenhandel als Marinehafen genutzt. Die Idee war, dass die Insel einen gesünderen und besser gelegenen Stützpunkt böte, als jeder Hafen an der Küste selbst.

      Eine bessere Lage bot Fernando Po ohne Zweifel, doch gesünder war die Insel keinesfalls, im Gegenteil: Seit 1827 hat sie sich ob ihres ungesunden