»Auf die Suche? Nach wem?«
»Nach einer roten Perücke.«
»Einer roten Perücke?«
»Gewiß, der Ermordete hatte doch rotes Haar.«
»Aha, ich verstehe.«
Damit ging Krag.
Vor dem Bahnhof fand er eine Droschke und fuhr darin in die Stadt.
Vor einem Friseurgeschäft blieb er stehen und trat ein. Der Friseur kannte ihn nicht.
Krag bat ihn, ihm einige Perücken zu zeigen, die er für einen Kostümball benützen konnte, und der Friseur legte einen großen Stoß vor ihn hin.
Aber nichts davon schien dem Geschmack des Detektivs zu entsprechen.
Er erging sich des langen und breiten, wie sie ausschauen sollte. Sie müßte vor allem rot sein usw., von einer ganz bestimmten roten Farbe.
»Ich habe nämlich einen guten Freund,« sagte Krag, »der hat mir erzählt, daß er kürzlich bei Ihnen gewesen ist und sich eine rote Perücke gekauft hat. Gerade eine solche würde ich brauchen. Es handelt sich nämlich um einen kleinen Faschingsscherz. Erinnern Sie sich nicht an den Herrn?«
Der Friseur durchforschte sein Gedächtnis, aber er konnte sich absolut nicht erinnern. Die längste Zeit war niemand dagewesen, der eine rote Perücke gekauft hatte. Es war ja auch ein seltener Artikel.
Krag durchsuchte noch einmal das ganze Perückenlager; aber da er keine fand, die ihn zufriedenstellte, bat er den Friseur um Entschuldigung und ging.
Er fuhr einige Straßen weiter und blieb vor dem nächsten Friseur und Perückenmacher stehen.
Auch hier wurde seine Wißbegierde nicht befriedigt. Das Geschäft hatte seit einem Jahre keine rote Perücke verkauft.
Aber Krag ließ den Mut nicht sinken. Er fuhr durch die ganze Stadt, von einem Friseur zum anderen. Er war nicht umsonst als der ausdauerndste Detektiv von drei Königreichen bekannt.
Mehrere Stunden vergingen damit. Es wurde immer dunkler.
Krag begann schon zu fürchten, daß er seine Tätigkeit für diesen Tag einstellen mußte. Aber plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Er bittet den Kutscher, so rasch, als das Pferd nur laufen kann, in den östlichen Stadtteil zu fahren.
Es geht im hurtigen Trab nach Oslo. Hier bleibt der Wagen stehen. Krag steigt aus, bezahlt den Kutscher und trägt ihm auf, zurückzufahren.
Der Detektiv geht die Häuserreihe entlang. Vor einem kleinen zweistöckigen Haus macht er halt. Im Hofe ist ein Tabakladen und daneben eine Barbierstube. Der Detektiv tritt in den Tabakladen, wo es nach alten, schlechten Zigarren stinkt. Eine Oellampe hängt am Plafond und raucht. Ein schmaler Holzsessel steht vor dem Ladentisch.
Der Detektiv wartet ein Weilchen. Endlich öffnet sich eine Tür, die in die Barbierstube führt, und ein alter Mann, in Schürze und einer einstmals weißen Mütze zeigt sich. Das Haar hängt ihm in Strähnen über die Ohren. Er hat keine Manschetten, und der Kragen ist nichts weniger als tadellos. Er muß offenbar sehr schwache Augen haben, denn er trägt Brillen mit starken, dicken Gläsern.
Der Detektiv nimmt ruhig auf dem Sessel Platz.
»Na,« sagt er gemütlich, »wie geht das Geschäft?«
Der Mann, der den Detektiv offenbar nicht erkennt, antwortet:
»Danke, nicht glänzend. Was die Barbierstube betrifft, so hat sie jetzt eine arge Konkurrenz in dem eleganten Salon dort oben an der Ecke. Und Zigarren wollen die Leute nicht mehr rauchen. Ach nein, es geht nicht glänzend.«
»Aber Sie sind doch gewiß noch ebenso geschickt darin, die Leute zu maskieren, alter Johnson!«
Der Mann zuckte zusammen.
»Ach nein,« sagte er, »damit habe ich aufgehört. Das hat sich nicht gelohnt.«
»Aber Ihre berühmten Perücken finden doch noch immer Absatz, nicht wahr?«
»Sehr selten,« erwiderte der Mann ausweichend.
Plötzlich fragte Krag:
»Es war doch kürzlich jemand hier, der eine rote Perücke gekauft hat?«
»Nein,« erwiderte der Alte nach kurzem Nachdenken.
Da beugte sich der Detektiv zu ihm vor:
»Sie erinnern sich wohl nicht genau, mein lieber, alter Johnson?«
Der Barbier sah den Detektiv durch seine Brillengläser starr an.
»Herr Jesus, sind Sie es?« sagte er; »bin ich erschrocken!«
»Na, endlich erkennen Sie mich; ich brauche Sie doch nicht erst an damals zu erinnern, wo ich Ihnen mit diesen amerikanischen Geldscheinen so glänzend geholfen habe? Wo wären Sie heute, Johnson, wenn Asbjörn Krag sich damals nicht ins Mittel gelegt hätte.«
»Pst!«
»Gut. Also, wie lange ist es her, seit Sie die rote Perücke verkauft haben?«
»Ich pflege meine Kunden nicht zu verraten.«
»Ich will es aber wissen.«
Der Detektiv erhob sich, und der alte Barbier hinter dem Ladentisch wurde noch unruhiger.
»Es wird jetzt so ungefähr drei Wochen her sein,« sagte er.
Der Detektiv bemeisterte seine Spannung und fragte ganz ruhig:
»Wie heißt der junge Mann, der die Perücke gekauft hat?«
»Es war kein junger Mann.«
»So war es wohl ein alter?«
»Nein, es war eine Dame.«
»Eine Dame!« Krag überlegte einige Minuten, er war überrascht.
»Kennen Sie sie?«
»Nein, ich habe sie nie gesehen.«
»Ein Wort von mir – und ich kann Sie noch heute ins Gefängnis bringen, Johnson.«
»Ich schwöre. Ich kenne sie nicht. Es war eine feine Dame.«
»Jung?«
»Nein, nicht so ganz jung.«
»Wie sah sie aus?«
»Wie Damen in den dreißiger Jahren auszusehen pflegen. Schlank, dunkel, mit großen, schönen Augen. Sie hatte eine weiße Federboa um den Hals und stahlblaue Handschuhe in den Händen. Sie hat die Perücke gekauft. Ich habe zwanzig Kronen dafür bekommen.«
»Und sie hat keine Adresse angegeben?«
»Nein.«
»Gut. Ich komme morgen zu Ihnen, um mir nähere Aufklärungen zu verschaffen. Aber Sie müssen meinen Besuch streng geheimhalten.«
»Kein Wort wird über meine Lippen kommen.«
»Adieu!«
Der Detektiv ging. Beim nächsten Standplatz nahm er eine Droschke zum Polizeigebäude zurück. Eine Viertelstunde später fuhr er Müllerstraße Nummer 19 vor.
Es war nun ganz dunkel geworden.
Als er aus dem Wagen ausstieg, erwartete ihn der Polizeichef auf der Vortreppe des Gebäudes. Er hatte einen Regenmantel an, denn ein Platzregen ging nieder, und die Straßen waren ganz aufgeweicht und schmutzig.
Der Polizeichef war sehr ernst.
»Gut, daß Sie kommen,« sagte er.
»Ist etwas Neues los?«
»Ja. Man hat Jaervens Leiche gefunden!«
Ein leichter Schauer schüttelte den Detektiv.
»Wo?« fragte er.
»Oben in einer der Ziegeleien. Wir wollen gleich hinfahren!«