und darum hat mich der Polizeichef hierhergeschickt, um nachzufragen, wer die beiden waren, die Ihnen am Elften abends einen Besuch abgestattet haben.«
Der Gutsbesitzer, der die Erklärung des Detektivs mit großem Interesse angehört hatte, erwiderte:
»Ein junger Herr und eine Dame, sagen Sie? Nein, das muß ein Mißverständnis sein. Ich habe in den letzten paar Monaten nie abends den Besuch eines Herrn und einer Dame gehabt. Es war wohl ein Brautpaar? Nein, wissen Sie, ich kenne überhaupt kein Brautpaar.«
Der Detektiv überlegte.
»Das ist aber doch seltsam,« sagte er, »sie fragten ausdrücklich nach dem Weg zur Villa Sand.«
»Ja, freilich, das klingt ganz mystisch,« warf der Gutsbesitzer ein.
»Sie kamen in einem Korbwägelchen gefahren.«
»In einem Korbwägelchen?«
Der Gutsbesitzer war aufgestanden.
»War das am Elften?« fragte er.
»Ganz richtig.«
»Am Abend, so gegen neun Uhr?«
Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Der Detektiv hatte den Eindruck, daß ein Gedanke ihn beschäftigt. Er hörte ihn in sich hineinmurmeln: »Lieber Gott, kann der eine so kostbare Nadel haben?«
»Wer?« fragte der Detektiv rasch und scharf.
Der Gutsbesitzer sah ihn an.
»Ich meine den Sekretär,« sagte er, »Sekretär Ström, der zum Umgangskreis meiner Familie gehört. Er war an einem Nachmittage vor ungefähr vierzehn Tagen bei mir. Gegen sechs Uhr bat er mich, ihm ein Pferd und das Korbwägelchen zu leihen. Er wollte ein bißchen spazierenfahren.«
»Allein?« fragte Krag.
»Ja, allein. Er sagte ausdrücklich, er wolle allein fahren.«
»Und wann kam er denn wieder?«
»Gegen neun Uhr, vielleicht war es auch schon halb zehn. Es war auf jeden Fall sehr dunkel geworden, und ich erinnere mich noch, daß ich ihn ein bißchen neckte, weil er gar so spät kam.«
»Aber die Dame?«
»Nein, eine Dame war nicht dabei. Er fuhr allein fort und kam allein zurück.«
»Hat er nicht erzählt, wo er gewesen ist?«
»Nein, er ist immer so eigen. Er wollte irgendwohin, sagte er nur. Aber ich verstehe nicht,« fügte der Gutsbesitzer hinzu, indem er einen Blick auf die Nadel warf, »wie mein Freund, der Sekretär, eine so kostbare Nadel besitzen kann.«
Der Detektiv stand auf.
»Das kann man ja freilich nicht wissen,« sagte er, »aber ich werde ihn auf jeden Fall fragen. Wo wohnt er denn?«
Der Gutsbesitzer gab ihm die Adresse des Sekretärs an.
Krag dachte nach.
Er wußte im Augenblick nicht, wie er die Sache anpacken sollte.
War der Sekretär derselbe, der an jenem Abend an dem Mann in dem kleinen Häuschen vorbeigefahren war? Aber die Dame? Was war aus ihr geworden? Der Sekretär kam ja allein in dem Korbwägelchen zurück.
Der Detektiv mußte gestehen, daß er immer auf neue Beweise für die Schlauheit dieses genialen Mörders stieß, je tiefer er in die Sache eindrang.
Sollte es ihm glücken, ihn zu entlarven, dann mußte er mit äußerster Behutsamkeit vorgehen. Durch einen einzigen Fehlgriff konnte er alle seine Chancen verderben.
Gleichzeitig mußte er sich doch sagen, daß jetzt nicht viele Stunden vergehen konnten, bis diese furchtbare Sache an einem entscheidenden Punkt angelangt war.
Nach einer Stunde befand der Detektiv sich wieder unten in der Stadt. Er untersuchte zuerst, wer und was dieser Sekretär Ström, von dem der Gutsbesitzer gesprochen hatte, eigentlich war.
Er war Sekretär in einem öffentlichen Amt.
Der Detektiv erfuhr ferner, daß Ström vor zwei Jahren von einem Aufenthalt im Auslande heimgekehrt war. Zweiundzwanzig Jahre alt, war er nach Berlin gereist. Hier daheim, hatte er damals eine kleine Geschichte gehabt, die seine Reise notwendig machte. Sobald er heimkam, erhielt er durch einflußreiche Freunde eine Anstellung in diesem öffentlichen Amt. Er stand in dem Ruf, recht pflichtgetreu und sehr begabt zu sein, er beschäftigte sich sogar mit nationalökonomischen Abhandlungen, und es hieß, daß er im Auslande viele interessante Beziehungen angeknüpft hatte. Was Krag von allen Mitteilungen über den Sekretär am wichtigsten erschien, war dies: Ström stand seit einiger Zeit in Verbindung mit einer bekannten Varietédame, die augenblicklich das Christiania, das sich amüsiert, auf den Kopf stellte. Man hatte ihn oft in ihrer Gesellschaft im Café soupieren sehen; sie hatten zusammen Ausflüge gemacht und, im ganzen genommen, den Leuten viel Stoff zum Klatsch gegeben.
Der Sekretär bewohnte eine hübsche Junggesellenwohnung in der Parkstraße; eine Witwe führte ihm das Haus.
Bevor Krag sich in die Wohnung des Sekretärs begab, warf er einen Blick in den Telephonkatalog, aber der Name des Sekretärs stand nicht darin.
Der Detektiv überlegte einige Augenblicke: Er entwarf seinen Plan.
Dann fuhr er nach Hause, in seine Privatwohnung und öffnete den großen, grünen Schrank, der die verschiedensten Umkleidungseffekten enthielt, und zog eine Tracht heraus, so ähnlich wie die, welche die Telephonarbeiter tragen – blauen Kittel mit einem Lederriemen um den Leib und verschiedene Werkzeuge, die man in den Riemen stecken konnte.
Krag wartete noch eine halbe Stunde, um ganz sicher zu sein, daß der Sekretär sich in sein Kontor begeben hatte. Dann warf er noch eine Rolle Kupferdraht über die Schulter und wanderte von dannen.
Er fand mit Leichtigkeit die Hausnummer und ging durch den Haupteingang hinein. Der Sekretär sollte im dritten Stock wohnen.
Auf der Stiege begegnete er ihm selbst.
Er erkannte ihn sofort nach der Beschreibung.
Krag dachte bei sich, daß der Mann doch nicht so besonders pflichtgetreu sein konnte; es war jetzt weit über die Kontorzeit.
Der Sekretär war sehr elegant gekleidet. Er trug ein Pincenez. Der Detektiv sah ihm einen Augenblick in die Augen und stutzte: Selten hatte er so kalte und fühllose Augen gesehen. Es waren Steinaugen. Der Polizist konnte sich nicht eines gewissen Schauders erwehren, als er an ihm vorbeiging.
Im dritten Stockwerk klingelte er. Das Namenschild des Sekretärs hing an der Tür.
Eine ältere, schwarz gekleidete Dame machte auf, und Krag drängte sich rasch an ihr vorbei in die Wohnung, indem er sagte:
»Es ist wegen des Telephons ...«
Die Dame war sehr erstaunt.
»Wir haben ja gar kein Telephon hier im Hause,« sagte sie.
Krag antwortete ganz ruhig:
»Deshalb komme ich ja eben. Der Herr Sekretär hat ein Telephon bestellt. Er will so einen eleganten, kleinen Tischapparat haben. Ich habe ihn eben jetzt im Stiegenhaus gesprochen.«
Die Frau war sichtlich etwas verwirrt.
»Er hat mir aber nicht das mindeste davon gesagt,« murmelte sie.
»Nein?« erwiderte Krag vollständig gleichgültig, indem er eine Tür öffnete. »Ist dies sein Zimmer?«
»Nein, das ist der Salon. Dort drinnen ist sein Arbeitszimmer. Da will er wohl das Telephon haben?«
»Natürlich,« erwiderte der verkleidete Detektiv und ging in das Arbeitszimmer. Seine Augen wanderten ruhelos suchend hin und her.
Die Frau folgte ihm. Sie war offenbar von recht redseliger Natur und begann sich nun darüber zu verbreiten, wie angenehm es doch sei, daß sie jetzt ein Telephon bekämen.
Krag konstatierte,