auf!“ sagte der Schichtmeister, sich langsam nach ihm umwendend. „Hältst Du es nicht einmal mehr der Mühe werth, uns einen Gruß zu sagen? Ich dächte, das wenigstens könntest Du doch beibehalten!“
„Quäle mich nicht, Vater!“ stieß Ulrich ungeduldig hervor, indem er den Kopf noch weiter zurückwarf und die Hand gegen die Stirn preßte.
Der Schichtmeister zuckte die Achseln und wandte sich ab; Martha verließ ihren Platz am Fenster und setzte sich neben den Oheim, um die Arbeit wieder aufzunehmen, die sie vorhin beim Gespräch mit Lorenz hatte liegen lassen. Einige Minuten lang herrschte ein drückendes Schweigen in der Stube; endlich trat der junge Bergmann zu seinem Freunde.
„Steiger Wilms war vorhin da, um Dich zu sprechen, Ulrich; er wird in einer Stunde wiederkommen. Er ist überall herum gewesen auf den Werken der Nachbarschaft.“
Ulrich fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen quälenden Traum wegscheuchen. „Nun, wie ist’s?“ fragte er, aber die Frage klang theilnahmlos, halb mechanisch, als müsse er sich erst besinnen, wovon eigentlich die Rede sei.
„Sie schließen sich uns an!“ berichtete Lorenz. „Unser Vorgehen scheint ihnen Muth gemacht zu haben. Es bricht jetzt überall los. Die Eisenhütten oben fangen an; dann folgen die übrigen Werke, wenn ihnen nicht sofort Alles bewilligt wird – und daran ist nicht zu denken. So feiern in acht Tagen die sämmtlichen Gruben und Hütten im ganzen Bezirk.“
„Endlich!“ Ulrich fuhr wie elektrisirt in die Höhe. Fort waren auf einmal Theilnahmlosigkeit und Träumerei. Die ganze Spannkraft des Mannes war zurückgekehrt. „Endlich!“ wiederholte er tief aufathmend. „Es war auch Zeit; sie haben uns lange genug allein gelassen!“
„Weil wir allein vorgingen.“
„Mag sein! Aber wir konnten nicht warten. Die Sache lag hier anders als auf den übrigen Werken. Jeder Tag Arbeit brachte die Berkows einen Schritt vorwärts und uns einen zurück. Ist Wilms hinüber nach den Dörfern? Er muß es sofort den Cameraden mittheilen. Das wird ihnen Muth geben!“
„Thut auch Noth!“ sagte der Schichtmeister ruhig. „Es sieht nicht mehr allzufrisch aus mit dem Muthe. Seit vierzehn Tagen wird kein Fäustelschlag mehr gethan. Ihr wartet und wartet auf eine Bitte, auf eine Verhandlung wenigstens, die Eurer Meinung nach kommen muß, und drüben rührt sich nichts. Die Beamten gehen Euch aus dem Wege, und der Herr sieht wahrhaftig nicht aus, als wollte er Euch auch nur einen Daumen breit nachgeben. Ich sage Dir, Ulrich, es war hohe Zeit, daß Du Unterstützung bekamst.“
„Warum nicht gar, Vater!“ fuhr der junge Mann auf. „Wir feiern kaum zwei Wochen, und ich hab’ es ihnen vorhergesagt, daß sie sich zur Noth auf zwei Monate gefaßt machen müssen, wenn wir siegen wollen, und siegen müssen wir!“
Der Alte schüttelte den Kopf. „Zwei Monate! Das hältst Du aus, und ich und der Lorenz halten es aus, aber nicht die, welche Frau und Kinder haben.“
„Sie müssen!“ sagte Ulrich kalt. „Ich habe auch gedacht, daß wir leichter und schneller durchkommen würden. Ich habe mich eben geirrt. Wenn sie es drüben nun einmal bis zum Aeußersten treiben wollen, so wollen wir ihnen dieses Aeußerste auch bis auf den letzten Tropfen zu kosten geben.“
„Oder sie uns!“ warf Lorenz ein. „Wenn der Herr wirklich –“
Ulrich stampfte wüthend mit dem Fuße. „‚Der Herr‘! Und immer nur ‚der Herr‘! Habt Ihr denn gar keine andere Bezeichnung für diesen Berkow? Ihr habt ihn ja doch früher nicht so genannt, aber seit er’s Euch in’s Gesicht gesagt hat, was er ist und sein will, da kennt Ihr gar nichts Anderes. Ich sage Euch, wenn wir durchdringen, sind wir die Herren; dann hat er nur den Namen noch und wir haben die Macht! Er weiß recht gut, daß es darauf hinausläuft. Darum sträubt er sich eben so, und darum eben müssen die ganzen Forderungen durchgesetzt werden – um jeden Preis!“
„Versuch’s!“ sagte der Schichtmeister kurz. „Sieh’ zu, ob Du allein die Welt auf den Kopf stellst! Ich rede schon lange kein Wort mehr darein.“
Lorenz nahm seinen Hut vom Fensterriegel und schickte sich zum Gehen an. „Du mußt am besten wissen, wie weit wir damit kommen. Du bist ja unser Führer.“
Ulrich’s Gesicht verfinsterte sich. „Ja, ich bin’s, aber ich habe es mir leichter gedacht, Euch zusammenzuhalten. Ihr macht mir das Ding schwer genug!“
Der junge Bergmann fuhr gekränkt auf. „Wir? Du kannst doch gewiß nicht über uns klagen; es gehorcht Dir ja Alles auf’s Wort.“
„Gehorchen!“ Ulrich streifte mit einem düster forschenden Blick das Gesicht seines Freundes. „Ja, daran fehlt es nicht und darüber klage ich auch nicht, aber es ist anders geworden zwischen uns, auch zwischen uns Beiden, Karl, ganz anders. Ihr seid Alle so fremd jetzt, so kalt und scheu, und manchmal kommt es mir vor, als fürchtetet Ihr mich nur noch und – weiter nichts.“
„Nein, nein, Ulrich!“ Lorenz erhob sich mit einer Heftigkeit gegen den Vorwurf, die beinahe vermuthen ließ, er habe das Rechte getroffen. „Wir vertrauen Dir ganz, Dir allein. Was Du auch gethan hast, Du hast es für uns gethan, nicht für Dich; das wissen sie Alle; das vergißt Dir Keiner!“
„Was Du auch gethan hast, Du hast es für uns gethan!“ das klang harmlos genug und konnte auch so gemeint sein, und dennoch schien ein verborgener Sinn in den Worten zu liegen, und Ulrich schien ihn herauszufühlen, denn er heftete das Auge mit durchbohrendem Ausdruck auf den Sprechenden. Dieser wich dem Blicke aus und sah zu Boden.
Ich muß fort! sagte er hastig. „Ich werde Dir den Wilms herüberschicken. Du bleibst doch hier, daß er Dich sicher findet?“
Ulrich gab keine Antwort. Die glühende Erregung der letzten Minuten war auf einmal wieder der tiefen Blässe gewichen, die sein Antlitz beim Eintreten gezeigt; er neigte nur bejahend den Kopf und wendete sich zum Fenster.
Der junge Bergmann verabschiedete sich von dem Schichtmeister und verließ die Stube; Martha stand auf und ging mit ihm hinaus. Das Mädchen hatte während der ganzen Unterredung kein einziges Wort gesprochen, aber unverwandt die Männer beobachtet. Sie blieb ziemlich lange draußen; indeß das konnte den Zurückbleibenden nicht auffallen. Sie wußten ja, daß ein angehendes Brautpaar manches miteinander zu flüstern hat, und sie schienen sich auch überhaupt nicht viel darum zu kümmern.
Vater und Sohn waren allein, aber das Schweigen, das jetzt zwischen ihnen herrschte, war vielleicht noch beängstigender, als vorhin bei Ulrich’s Eintritt. Dieser stand noch am Fenster, die Stirne gegen die Scheiben gedrückt, und starrte hinaus, ohne irgend etwas zu sehen. Der Schichtmeister hatte seinen Platz nicht verlassen; er saß noch immer am Tische, den Kopf in die Hand gestützt; aber das Gesicht des alten Mannes war seltsam verändert seit den letzten Wochen. Gram- und sorgenvoll war es geworden; die Furchen, die das Alter hinein gegraben, hatten sich noch vertieft, und das Auge blickte so matt und trübe, als sei all die frühere Rüstigkeit und Schlagfertigkeit, mit der er dem Sohne so manche derbe Strafpredigt gehalten, auf immer dahin. Still und gedrückt saß er da und machte keinen Versuch, das Gespräch wieder anzuknüpfen.
Dieses Schweigen wurde endlich für Ulrich unerträglich, und er wandte sich mit einer hastigen Bewegung um.
„Und Du sagst gar nichts, Vater, zu der Nachricht, die Wilms uns bringt? Ist Dir’s denn wirklich ganz gleich, ob wir siegen oder unterliegen?“
Der Schichtmeister hob langsam den Kopf in die Höhe. „Gleich ist mir’s nicht, aber freuen kann ich mich auch nicht, wenn Ihr nun wirklich mit Drohungen und Gewalt losbrecht. Wollen erst abwarten, wen es zuletzt trifft, die Herren oder uns! Freilich, Du fragst nichts danach, Du hast Deinen Willen durchgesetzt! Bist ja jetzt Herr und Gebieter auf den ganzen Werken. Zu Dir kommt Alles; vor Dir bückt sich Alles; Dir gehorcht Alles auf’s Wort – das war es ja, was Du von Anfang an gewollt hast, worauf das Ganze eigentlich angelegt war.“
„Vater!“ fuhr der junge Mann auf.
„Laß nur, laß!“ sagte der Schichtmeister abwehrend, „Du wirst mir’s nicht eingestehen