dies Beben der Hand; gerade so hatte er ihr am ersten Abende ihres Hierseins gegenübergestanden, nur daß sie jetzt besser als damals wußte, was diese Gelassenheit barg.
Sie ritten schweigend weiter durch den sonnigen Wald; der Hufschlag der Pferde klang nur gedämpft auf dem weichen Moosboden. Auch hier überall Frühlingsduft und Frühlingsathem, auch hier der klare tiefblaue Himmel, der sich über den Tannenwipfeln wölbte, und auch hier das geheime Weh in ihrem Innern, nur daß es sich noch mächtiger, noch schmerzender regte, als dort oben auf der Höhe. Die Thiere gingen auf dem schmalen Wege Seite an Seite. Die schweren Falten von Eugeniens Reitkleid streiften die Gebüsche, und ihr Schleier flatterte mehr als einmal über Arthur’s Schulter. Bei solcher Nähe mußte sie es nothgedrungen bemerken, daß er jetzt, wo die Erhitzung des schnellen Rittes geschwunden war, unendlich bleich aussah. Freilich, er hatte niemals die frische lebensvolle Farbe der Jugend gehabt, aber das war doch jetzt eine andere Blässe als die des jungen Residenzlöwen, der die Abende in den Salons und die Nächte im Spiel durchschwärmte, um dann den Tag über abgespannt und übersättigt auf seinen Sophas zu liegen, bei geschlossenen Vorhängen, weil die müden verwöhnten Augen das Sonnenlicht nicht ertrugen. Dies bleiche Aussehen stammte wohl aus derselben Quelle, wie die finstere Sorgenfalte auf seiner Stirn, wie der ernste, ja düstere Ausdruck des Gesichtes, das sonst immer nur träge Gleichgültigkeit gezeigt. Aber Arthur Berkow gewann unendlich bei einer Veränderung, die jedem Anderen zum Nachtheil gereicht hätte. Eugenie sah jetzt erst, daß ihr Mann auf Schönheit Anspruch machen konnte; früher hatte sie es nicht sehen wollen; für sie gingen in der schlaffen Theilnahmlosigkeit seines Wesens alle anderen Vorzüge unter, und sie traten wirklich erst jetzt hervor, mit diesem Zuge von Energie, der sich so neu und ungewohnt in seinem Antlitz, in seiner ganzen Haltung zeigte, und der doch wohl längst dagewesen war, nur verwischt und untergegangen in der Blasirtheit, wie so vieles Andere. Ja wohl, die versunkene Welt fing an heraufzusteigen aus ihrer Tiefe, der nahende Sturm hatte sie wachgerufen, der allein – Eugenie fühlte fast mit einer Art von Bitterkeit, daß sie keinen Theil an diesem Erwachen hatte, daß sie das Zauberwort nicht besessen, das den Bann gelöst; er riß sich ja mit eigener Kraft empor, was bedurfte es dazu einer fremden Hand!
„Es tut mir leid, daß ich Deinen Spazierritt abkürzen mußte,“ unterbrach Arthur endlich das Schweigen, aber es geschah in jener höflich kühlen Weise, die er stets ihr gegenüber annahm; „der Tag ist herrlich!“
„Ich fürchte, Dir war ein Ritt in’s Freie nothwendiger als mir!“ In den Ton der jungen Frau mischte sich eine vielleicht unbewußte Besorgniß. „Du siehst so bleich aus, Arthur!“
„Ich bin die Arbeit nicht gewohnt!“ sagte er mit einer Art von herbem Spott. „Das kommt von der Verweichlichung! Ich kann nicht einmal leisten, was jeder meiner Beamten täglich leistet.“
„Mir scheint eher, Du treibst Deine Leistungen bis in’s äußerste Extrem,“ entgegnete Eugenie rasch. „Den Tag über verläßt Du kaum mehr Dein Arbeitszimmer, und des Nachts sehe ich dort bis an den Morgen hin Licht brennen.“
Eine schnelle Röthe flog über die Züge des jungen Mannes.
„Seit wann wendest Du denn den Fenstern meines Zimmers eine solche Aufmerksamkeit zu?“ fragte er mit ruhiger, aber tiefer Bitterkeit. „Ich glaubte nicht, daß sie überhaupt für Dich existirten.“
Jetzt war die Reihe des Erröthens an der jungen Frau; aber sie bemeisterte schnell die aufsteigende Gluth und erwiderte fest: „Seit ich weiß, daß die Gefahr, die Du so entschieden ableugnetest, mit jedem Tage näher kommt. Weshalb täuschtest Du mich über die Tragweite dieses Streites und über seine möglichen Folgen?“
„Ich wollte Dich nicht beunruhigen.“
Sie machte eine ungeduldige Bewegung. „Ich bin kein furchtsames Kind, das man mit so ängstlicher Schonung umgeben muß, und wenn uns irgend etwas droht –“
„Uns?“ unterbrach sie Arthur. „Verzeih, aber die Gefahr droht doch höchstens mir allein. Ich habe nie daran gedacht, Dich als Kind zu behandeln; aber ich habe es für meine Pflicht gehalten, Baroneß Windeg nicht mit Dingen zu behelligen, die ihr wohl so gleichgültig sein müssen und in Kurzem so fremd sein werden, wie der Name, den sie jetzt noch trägt.“
Der Ton der Erwiderung war eiskalt, und es war ihr eigener Ton, den sie oft genug ihm gegenüber angewendet hatte, wenn sie es für nöthig fand, ihre Herkunft und das Gezwungene ihrer Vermählung geltend zu machen. Jetzt gab man ihr selber eine Lehre damit. In den dunkeln Augen der jungen Frau blitzte etwas wie Zorn, als sie dieselben auf ihren Gatten richtete.
„Und darauf hin verweigerst Du mir also jede Auskunft über Deine Angelegenheiten?“
„Wenn Du sie wünschest – nein.“
Eugenie schien einige Secunden lang mit sich zu kämpfen. „Du hast Deinen Bergleuten ihre Forderungen verweigert?“ fragte sie endlich.
„Was davon zu bewilligen war und was die Leute aus sich selbst verlangten, habe ich bewilligt. Mit Hartmann’s extremen Forderungen ist überhaupt nicht zu rechten; sie laufen in ihren nothwendigen Consequenzen auf Zerstörung aller Disciplin, auf Anarchie hinaus und sind geradezu beleidigend. Er hätte schwerlich gewagt, sie zu stellen, wüßte er nicht, was in diesem Kampfe für mich auf dem Spiele steht.“
„Und was steht auf dem Spiele?“ fragte Eugenie in athemloser Spannung. „Dein Vermögen?“
„Mehr noch – die Existenz!“
„Und Du wirst nicht nachgeben?“
„Nein!“
Die junge Frau blickte stumm auf ihren Mann, auf diesen Mann, der vor noch nicht drei Monaten keine „Scene“ mit ihr ertragen konnte, weil sie seine „Nerven“ angriff, und der jetzt mit dieser Ruhe einem Kampfe die Stirn bot, in dem es sich um seine Existenz handelte. War er wirklich noch derselbe? Es hatte einen eisernen Klang, dieses Nein, und sie fühlte, daß er es ebenso eisern auch der wildesten Drohung entgegensetzen würde.
„Ich fürchte, Hartmann treibt den Streit bis zum Aeußersten!“ entgegnete sie. „Er haßt Dich.“
Ein verächtliches Lächeln zuckte um Arthur’s Lippen. „Das weiß ich! Diese Empfindung ist durchaus gegenseitig.“
Eugenie dachte an die wild flammenden Augen oben auf der Höhe, als sie den Namen ihres Gatten nannte, und es überkam sie auf einmal eine jähe Angst.
„Du solltest den Haß dieses Mannes nicht unterschätzen Arthur. Er ist furchtbar in seinen Leidenschaften, wie in seiner Energie.“
Arthur richtete einen langen finsteren Blick auf sie. „Kennst Du ihn so genau? Freilich, Dir ist ja dieser Blousenheld von jeher bewundernswerth erschienen! Eine wohlfeile Energie, die auf Unmöglichkeiten trotzt und eher Hunderte mit sich in’s Unglück reißt, ehe sie ein Wort der Vernunft hört! Aber auch Hartmann könnte eine Mauer finden, an der sein starrer Eisenkopf sich vergebens versucht; von mir wenigstens wird er nichts erzwingen, und müßte ich den Kampf durchfechten bis zum eigenen Untergange.“
Er hielt plötzlich sein Pferd an, und Eugenie that in demselben Moment das Gleiche. Der Waldweg durchschnitt hier eine Windung der Fahrstraße, und in derselben sahen sie gerade das, was sie vermeiden wollten, eine Schaar von Bergleuten, die hier Halt gemacht hatte und auf irgend etwas zu warten schien. Arthur runzelte die Stirn.
„Es scheint, die Begegnung soll uns nun einmal nicht erspart bleiben!“
„Wollen wir umkehren?“ fragte Eugenie leise.
„Zu spät! Sie haben uns bereits bemerkt. Ausweichen läßt sich hier nicht und die Umkehr würde Flucht sein. Es ist schlimm, daß wir gerade zu Pferde sind; das wird sie noch mehr reizen, aber wir dürfen hier keine Schwäche zeigen; wir müssen vorwärts.“
„Und doch hast Du dieses Zusammentreffen gefürchtet?“
Arthur sah sie groß an. „Ich? Nur Du solltest ihnen nicht begegnen. Jetzt läßt es sich freilich nicht vermeiden, aber wenigstens bist Du nicht mehr allein. Halte Afra fest im Zügel und bleibe dicht