Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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Afra zu einem Spazierritte zu satteln, und den Diener, der sich fertig machte, sie wie gewöhnlich zu begleiten, bedeutete, daß sie diesmal allein reiten wolle. Ihrem Befehl wurde natürlich, wenn auch mit einiger Befremdung, Folge geleistet, und sie ritt wirklich ohne alle Begleitung fort. Arthur wußte selbstverständlich nichts davon, sie bekam ihn jetzt womöglich noch seltener als sonst zu Gesichte, da er sich häufig auch bei Tische entschuldigen ließ, und das Leben der beiden Gatten war ja überhaupt ein so getrenntes, daß nur in den seltensten Fällen der Eine wußte, was der Andere an diesem oder jenem Tage vornahm.

      Eugenie ritt in raschem Trabe durch den Wald, ohne irgend einem menschlichen Wesen zu begegnen, es war in der That sehr einsam hier, und diese Einsamkeit, die Frische und Schönheit des Morgens verfehlten keineswegs ihren belebenden Einfluß auf die junge Frau, die mehrere Tage lang nicht über den Umkreis des Parkes hinausgekommen war. Die Werke feierten, und eine unheimliche Ruhe und Stille lag über der ganzen, sonst so rastlos thätigen Colonie; desto lebhafter ging es dagegen in dem Arbeitszimmer des jungen Chefs zu, das dieser kaum mehr verließ. Die Beamten kamen und gingen; Conferenzen wurden gehalten, Bücher und Papiere geprüft; Schäffer war fortwährend auf dem Wege zwischen der Residenz und den Gütern; dabei flogen Briefe und Depeschen hin und her, aber diese ganz angestrengte Thätigkeit hatte ein so ernstes, so düsteres Gepräge, als schwebe irgend ein Unheil in der Luft, dem man zuvorkommen oder gegen das man sich wenigstens rüsten wollte. Eugenie wußte allerdings, daß eine Differenz mit den Arbeitern bestand. Arthur selbst hatte es ihr mitgetheilt und hinzugefügt, daß die Sache von gar keiner Bedeutung sei und in Kurzem beigelegt sein werde. Sehr ruhig, sehr kühl hatte er ihr das gesagt und sie nur gebeten, auf ihren etwaigen Spazierfahrten möglichst die Dörfer zu vermeiden, in denen die Bergleute wohnten, da für den Augenblick doch eine etwas gereizte Stimmung herrsche. Die Beamten mußten jedenfalls Winke erhalten haben, die gnädige Frau nicht zu beunruhigen, denn Eugeniens Versuche, von dieser Seite irgend etwas Näheres zu erfahren, scheiterten an höflichem Ausweichen oder beruhigenden Versicherungen. Sie hatten ihr gesagt, daß durchaus nichts zu besorgen, daß die Sache überhaupt von gar keiner Tragweite sei und der Ausgleich jeden Tag zu erwarten stände, – und doch fühlte Eugenie deutlich die geleugnete Gefahr, wie sie die Veränderung fühlte, die seit dem Tode des alten Berkow mit ihrem Gatten vorgegangen war, obgleich er gerade ihr gegenüber sein Benehmen nicht geändert hatte.

      Die junge Frau war eine zu furchtlose, zu stolze Natur, um dies Ausschließen, diese sichtbare Schonung nicht als eine Art von Beleidigung zu empfinden. Freilich, sie hatte kein Recht auf Offenheit, auf Theilnahme an den Sorgen und vielleicht Gefahren ihres Mannes; was andere Frauen beanspruchen durften, lag ihr unendlich fern. Wenn das Trennungswort bereits ausgesprochen ist und man nur noch „anstandshalber“ einige Monate mit einander aushält, um der Welt möglichst wenig Stoff zum Gerede zu geben, so ist man ja auch den gegenseitigen Interessen fremd. Das sah sie ein, und hätte sie es nicht eingesehen, so würde Arthur es ihr fühlbar gemacht haben, der sich in dem Maße, wie er sich täglich kräftiger aus seiner früheren Trägheit aufraffte und sich energischer in die angestrengteste Thätigkeit warf, immer fremder und kälter von ihr zurückzog; sie dankte es ihm wahrlich, daß er ihr das Peinliche des bevorstehenden Schrittes dadurch zu erleichtern suchte, daß er sie jetzt schon als eine völlig Fremde behandelte.

      Eugenie verhehlte sich nicht, daß der Tod Berkow’s ein großes Hinderniß ihrer Wünsche aus dem Wege geräumt hatte. Er hätte schwerlich je in die Aufhebung einer Verbindung gewilligt, die sein Ehrgeiz so sehr erstrebt und die er theuer genug erkauft hatte. Sein Sohn dachte anders darin. Ihm war jene Verbindung ebenso gleichgültig, wie die Gemahlin, die er sich in seiner ehemaligen passiven Nachgiebigkeit hatte aufzwingen lassen. Er hatte ihr freiwillig die Trennung zugestanden, noch ehe sie selbst einen Versuch gemacht, dieselbe von ihm zu erreichen, und ein Schritt, der fast überall so unendlich viel Kämpfe, Thränen und Bitterkeiten kostet, der nicht selten alle Leidenschaften des Menschenherzens in ihrer ganzen Tiefe aufwühlt, vollzog sich hier so ruhig und leidenschaftslos, in einem so vollkommenen gegenseitigen Einverständniß, und mit einer solchen Kälte, Höflichkeit und Herzlosigkeit, daß es wirklich ganz bewundernswerth war.

      Afra bäumte sich plötzlich in die Höhe. Das Thier war nicht gewohnt, mit der Reitgerte angetrieben zu werden, und noch dazu so heftig, als es eben geschah; es hatte überhaupt heute viel von der Ungeduld seiner Herrin zu leiden, und wäre diese nicht eine so vollendete Meisterin in der Reitkunst gewesen, das feurige, leicht gereizte Pferd würde ihr Mühe genug gemacht haben. So zügelte sie es nach kurzer Anstrengung, aber die feinen Augenbrauen der jungen Frau blieben zusammengezogen und die Lippen fest aufeinandergepreßt, wie in innerem Zorne, ob über den Widerstand Afra’s oder über den Mangel an Widerstand von einer anderen Seite, das ließ sich nicht entscheiden.

      Sie hatte inzwischen den Pachthof erreicht, der eine halbe Stunde entfernt im Thale lag, und nun ging es bergaufwärts, freilich nicht den steilen Fußpfad hinauf, den sie damals mit Arthur hinabstieg und der reitend überhaupt nicht zu passiren war; nicht weit davon führte ein Fahrweg in langen, aber bequemen Windungen auf die ohnehin nur mäßige Höhe. Dennoch ertrug ihr Pferd, des Bergaufsteigens ungewohnt, nur unwillig die Anstrengung, und sie mußte, oben angelangt, Halt machen, um ihm die nöthige Erholung zu gönnen.

      Jetzt freilich waren die Nebelschleier verschwunden, die damals über dem Gebirge flatterten, und der helle Sonnenschein floß so leuchtend warm auf die Erde nieder, als habe es nie eine Zeit gegeben, wo sich Regen und Sturm hier um die Herrschaft stritten und die Landschaft ringsum einem grauen, gestaltlosen Nebelbilde glich. Noch lagen die Thäler duftig blau im kühlen Morgenschatten. Desto klarer standen die Berge da, all die zahllosen Kuppen, von denen eine die andere überragte, eine die andere zurückdrängte, nur ein einziges grünes Waldmeer, bis hin zu den fernen blauen Höhenzügen. Die dunklen Tannen hatten sich geschmückt mit lichtem, frischem Grün, und drinnen auf dem Waldboden, draußen auf dem felsigen Grunde, zwischen Wurzeln und Gestein, wo nur eine Ranke Platz finden oder ein Pflänzchen Wurzel fassen konnte, da blühte und duftete es auch in tausend Formen und Farben. Und dazu schäumten die Bäche in’s Thal hinab, und die Quellen rieselten, und darüber wölbte sich ein wolkenloser tiefblauer Frühlingshimmel. Das Alles war so goldig klar, so frei und groß, als müsse in diesem neu erwachten Leben der Natur nun auch jede Wunde heilen, jede Kette brechen, als könne nichts dort athmen, was nicht der Freiheit, dem Glücke verwandt war.

      Und doch war der Blick der jungen Frau so seltsam ernst; ihre Züge waren so schmerzlich gespannt, als läge für sie eine verborgene Qual in all dieser Schönheit ringsum. Sie hätte doch aufathmen müssen bei dem Gedanken an die auch ihr verheißene Freiheit, die ihr zu Theil werden sollte, noch ehe der nächste Frühling die Erde wieder grüßte. Warum konnte sie es denn nicht, warum zuckte bei dieser Vorstellung eine Empfindung durch ihre Seele, die selbst dem Schmerze verwandt war? Wirkte vielleicht die Pein jener Stunde noch nach, in welcher zuerst das Trennungswort gesprochen und angenommen wurde? Sie sehnte sich ja so heiß nach dieser Trennung, nach der Rückkehr zu den Ihrigen; sie litt so schwer unter den Ketten, die sie kaum mehr ertragen konnte; seit jenem Beisammensein hier oben konnte sie es nicht mehr! Bis dahin war sie fest und sicher gewesen in ihrer Aufopferung für den Vater, in der Resignation des aufgezwungenen Schicksals, im Haß gegen die, welche es ihr aufgezwungen, aber mit jener Stunde schien sich die ganze Natur ihrer Empfindungen geändert zu haben. Mit ihr hatte der geheime Widerstreit in ihrem Innern begonnen, der Kampf gegen ein Etwas, das dunkel und unausgesprochen im tiefsten Grunde ihrer Seele lag, und das sie nicht Herr über sich werden lassen wollte, um keinen Preis, und doch hatte nur dies Etwas sie heute Morgen hinausgetrieben und sie fast wider ihren Willen fortgezogen bis an diesen Ort, und doch war es allein schuld daran, daß die Tochter des Baron Windeg die Etiquette soweit vergaß, den Diener zurückzulassen, der sie sonst immer auf ihren Ausflügen begleitete. Sie konnte und mochte heut’ keinen Zeugen haben – und es war gut, daß sie keinen hatte, denn als sie einsam droben auf der Höhe hielt, da überkam es sie mitten in all der sonnigen Frühlingspracht wie eine leise Sehnsucht nach dem geheimnißvollen Reiz jener Stunde, wo Nebel und Wolken um sie her wogten, wo die Tannenwipfel über ihnen rauschten und der Sturm in den Schluchten und Thälern brauste, wo jene großen braunen Augen, die sich zum ersten Mal entschleiert zeigten, ihr auch die erste Ahnung davon gaben, daß aus diesem Mann vielleicht viel, vielleicht Alles hätte werden können, wenn er geliebt worden wäre und geliebt hätte,