gnädige Frau vor, Herr Baron! Ich muß fort!“
Er eilte Arthur nach, während Windeg in den Salon zurückkehrte, wo seine Tochter ihm bereits in heftiger Erregung entgegenkam.
„Was hast Du erfahren, Papa? Das Gesicht des Unglücksboten sprach von mehr als einer bloßen Verletzung! Was ist geschehen?“
„Das Schlimmste!“ sagte der Baron erschüttert. „Wir haben den Mann eben noch so bitter angeklagt, Eugenie; jetzt ist es zu Ende mit dem Haß und der Feindschaft zwischen uns und ihm – der Tod hat sie geschlichtet!“
8
Die erste Woche mit ihrer düsteren Feierlichkeit war vorüber, aber der dumpfe Druck, der auf jedem Trauerhause liegt, war nicht gewichen und gab sich nur schwerer kund jetzt, wo die Unruhe all dieser Anordnungen, Beileidsbezeigungen und Besuche vorüber war. An Zeichen äußerer Theilnahme hatte es nicht gefehlt. Berkow’s Stellung, seine Bekanntschaft und Verbindungen in den verschiedenen Kreisen machten seinen Tod zu einem Ereigniß. Das Gefolge, dem sich natürlich die sämmtlichen Beamten und Arbeiter der Werke anschlossen, war ein endloses gewesen. Karten und Briefe bedeckten in unendlicher Anzahl den Schreibtisch des jungen Erben, dessen Gemahlin die Besuche der ganzen Umgegend empfing. Man bewies beiden alle möglichen Rücksichten, und dies um so mehr, als man ihnen gegenüber keine „Vorurtheile“ zu überwinden hatte, wie Baron Windeg es diplomatisch nannte. Zu Herzen ging dieser Verlust wohl Keinem, vielleicht nicht einmal dem einzigen Sohne des Verstorbenen, für den er doch so viel gethan; denn es ist schwer da zu lieben, wo auch nicht eine Spur von Achtung vorhanden ist. Uebrigens ließ es sich schwer entscheiden, ob Arthur Berkow durch den Tod seines Vaters wirklich tief oder nur oberflächlich berührt wurde. Wer die Fassung sah, die er Anderen gegenüber zeigte, mußte wohl das Letztere glauben, und doch war er furchtbar ernst geworden seit jener Katastrophe und fast unzugänglich für Jeden, mit dem er nicht nothgedrungen verkehren mußte. Eugeniens Ruhe konnte Niemanden befremden, der die näheren Verhältnisse kannte. Für sie, wie für ihren Vater hörte mit dem Tode des alten Berkow allerdings der Haß gegen ihn auf; von einer anderen Regung war hier nie die Rede gewesen – und dieser Standpunkt wurde leider von Vielen getheilt; denn nur zu Viele hatten Grund dazu.
Die Beamten waren zu oft durch das brutale, hochmüthige Wesen des Emporkömmlings verletzt worden, der ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nur als eine Waare betrachtete, die ihm gegen Bezahlung des Gehaltes zur unbedingten Verfügung stand, um einen Chef zu betrauern, bei dem weder Charakter, noch Persönlichkeit, noch Tüchtigkeit galt, sondern nur die möglichst vortheilbringende Verwendbarkeit in der betreffenden Stellung. Noch Schlimmeres aber gab sich bei den Arbeitern kund, eine vollständige Fühllosigkeit, die keine Regung des Mitleides, der Theilnahme aufkommen ließ. Berkow war, was man ihm auch sonst vorwerfen mochte, doch unleugbar ein industrielles Genie ersten Ranges gewesen. Er hatte sich aus Armuth und Niedrigkeit zu einer bedeutenden Höhe emporgeschwungen, hatte Schöpfungen in’s Leben gerufen, die, was die Großartigkeit betraf, sich den ersten des Landes an die Seite stellen durften; er hatte eine Stellung errungen, in der er Tausenden hätte zum Segen werden können. Er war es ihnen nicht geworden, hatte es nicht werden wollen. Da mußte denn wohl sein Andenken die Verurtheilung über sich ergehen lassen, die in diesem Aufathmen nach seinem plötzlichen Tode lag, das durch seine ganze Umgebung, durch all seine Schöpfungen ging, in diesem unausgesprochenen und doch von Allen gefühlten „Gott sei Dank!“
Ob die Erbschaft eines solchen Lebens und dessen, was es seit Jahrzehnten gesäet, wirklich so beneidenswerth war, als es den äußeren Anschein hatte, mochte dahingestellt bleiben. Jedenfalls wälzte schon diese Erbschaft an sich eine Last von Geschäften auf die Schultern des jungen Erben, der er nach dem allgemeinen Urtheil am wenigsten gewachsen war. Er hatte freilich Beamte aller Fächer, Vertreter und Bevollmächtigte genug; aber je mehr sein Vater es verstanden hatte, sie sämmtlich in Abhängigkeit von sich zu erhalten und an seine unbedingte Oberleitung zu gewöhnen, desto mehr fehlte ihnen jetzt die Hand und das Auge des Herrn, fehlte dieser Herr selber. Jetzt sollte der Sohn die Zügel in die Hand nehmen und noch ehe dies geschehen war, mußte auch er das Urtheil oder vielmehr die Verurtheilung über sich ergehen lassen, die in dem Achselzucken seiner sämmtlichen Untergebenen lag. Sie waren bereits einig darüber, daß auf ihn so gut wie gar nicht zu rechnen sei.
In dem Conferenzzimmer war das ganze Beamtenpersonal versammelt, um den nunmehrigen Chef zu erwarten, der sie für diese Stunde herbeschieden hatte. Aber wer die rathlosen, verstörten und zum Theil selbst angstvollen Gesichter der Herren sah, der mußte wohl auf die Idee gerathen, daß hier mehr verhandelt werden sollte, als eine blos formelle Begrüßung und Vorstellung, jetzt, nachdem die ersten Tage der Trauer vorüber waren.
„Das war ein Schlag!“ sagte der Director eben zu Herrn Schäffer, der gleichfalls aus der Residenz eingetroffen war. „Der schlimmste, der uns überhaupt treffen konnte! Wir wußten ja längst, was sie unter einander verabredeten und planten, und das geschieht ja auch überall auf den benachbarten Werken. Man sah es kommen; man hätte seine Maßregeln danach genommen, aber jetzt schon, grade in diesem Augenblick! Das liefert uns auf Gnade und Ungnade in ihre Hände.“
„Hartmann hat seine Zeit gut gewählt!“ fiel der Oberingenieur bitter ein. „Er weiß sehr wohl, was er thut, wenn er allein vorgeht, ohne die anderen Werke. Der Chef todt, sämmtliche Geschäfte in Stockung und Verwirrung, der Erbe unfähig zu jedem energischen Eingreifen – da kommt er mit seinen Forderungen! Ich habe es Ihnen immer gesagt, dieser Hartmann ist uns ein Pfahl im Fleische. Die Leute sind gut und man kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie endlich einmal Sicherung ihres Lebens in den Schachten und das Nothwendige für dieses Leben verlangen. Sie haben lange genug unter drückenden Umständen ausgehalten, wie keine der Anderen, und sie hätten auch vernünftige Forderungen gestellt, die man bewilligen könnte. Was sie uns aber unter diesem Führer zudictiren, das übersteigt ja alle Begriffe, das ist ja eine offene Empörung gegen alles Bestehende!“
„Was wird nur der junge Herr thun?“ fragte Wilberg, der unter all den Rathlosen und Aengstlichen der Rathloseste und Aengstlichste war, ziemlich kleinlaut.
„Was er unter den augenblicklichen Umständen thun muß,“ entgegnete Herr Schäffer ernst, „die Forderungen bewilligen.“
„Erlauben Sie, das kann er nicht!“ fuhr der Oberingenieur auf. Das zerreißt alle Disciplin und macht ihn in Jahr und Tag zum ruinirten Mann. Ich wenigstens bleibe nicht auf den Werken, wo das durchgeht.“
Schäffer zuckte die Achseln. „Und doch wird ihm kaum etwas Anderes übrig bleiben. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß die Dinge bei uns keineswegs so glänzend stehen, als es den Anschein hat. Wir haben Verluste in der letzten Zeit gehabt, sehr bedeutende Verluste; wir haben nach allen Seiten hin Ausfälle decken, Opfer bringen müssen; dann war noch so manche andere Verpflichtung – genug, wir sind einzig auf den augenblicklichen Ertrag der Werke angewiesen. Feiern uns die einige Monate und können wir die für dies Jahr abgeschlossenen Contracte nicht zur Ausführung bringen, dann sind wir – am Ende.“
„Die Leute müssen irgend etwas davon in Erfahrung gebracht haben,“ meinte der Oberingenieur finster, „sonst würden sie es gar nicht wagen, so aufzutreten; aber sie wissen nur zu gut, daß das einmal Bewilligte nicht wieder zurückgenommen werden kann. Hartmann wird Alles aufbieten, es durchzusetzen, und wenn er es unter dem zwingenden Druck der Verhältnisse wirklich durchsetzt – was sagte denn Herr Arthur, als Sie ihm von diesem Stande seiner Angelegenheiten Mittheilung machten?“
Es war eigenthümlich, daß die sämmtlichen Beamten nie von „Herrn Berkow“ oder ihrem Chef sprachen, als sei es ihnen unmöglich, die Person des jungen Herrn mit diesen Bezeichnungen in Verbindung zu bringen; sie nannten ihn noch immer „Herr Arthur“ oder „der junge Herr“, wie sie ihn stets genannt hatten. Bei der letzten Frage richteten sich Aller Augen auf Schäffer.
„Gar nichts hat er gesagt,“ erwiderte Schäffer. „‚Ich danke Ihnen, Schäffer!‘ das war Alles. Er hat nur die Papiere dabehalten, die ich zur besseren Orientirung für ihn mitgenommen hatte, und sich eingeschlossen. Seitdem