nachblickte. Sein Sohn kam ihm jetzt bisweilen ganz unbegreiflich vor; indessen er schien in der That wenig Zeit übrig zu haben, er verschloß hastig seinen Schreibtisch, nahm den Hut vom Tische und ging nach dem Conferenzzimmer hinüber – mit einer Miene, die den dort harrenden Beamten gerade keinen Sonnenschein verkündete. –
Im Schachte waren inzwischen die sämmtlichen Bergleute versammelt, die eben zur zweiten Schicht anfahren wollten; sie warteten auf den Obersteiger, der sich noch nicht blicken ließ. Es waren Männer jedes Alters und jedes Arbeitszweiges darunter, den die Thätigkeit in den Schachten nothwendig macht, auch die sämmtlichen Steiger dieser Abtheilung, aber sie hatten allesammt doch nur einen Mittelpunkt, Ulrich Hartmann, der inmitten der Gruppe stand, den Fuß auf die Stufen gesetzt, die Arme übereinander geschlagen, und der, obgleich er im Augenblicke nicht sprach, doch unbedingt als die Hauptperson zu gelten schien.
Eine eigentliche Besprechung konnte wohl nicht stattgefunden haben; dazu waren Zeit und Ort zu wenig geeignet, aber selbst bei diesem kurzen und zufälligen Zusammenfinden schien die Rede von Dingen gewesen zu sein, die nun einmal jetzt das Hauptthema unter den Arbeitern der Werke bildeten.
„Verlaß Dich darauf, Ulrich, sie kommen uns nicht nach auf den anderen Werken,“ sagte der junge Bergmann Lorenz, der neben Hartmann stand. „Sie meinen, es wäre ihnen noch zu früh, sie wären nicht vorbereitet genug, kurz sie haben keine Lust und wollen die Sache erst noch abwarten.“
Ulrich warf trotzig den Kopf zurück. „Meinetwegen! So gehen wir allein vor. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Eine Bewegung der Ueberraschung gab sich unter den Bergleuten kund. „Allein?“ fragten Einige. „Ohne unsere Cameraden?“ setzten die Anderen hinzu, und die Mehrzahl wiederholte mit dem Ausdrucke der Besorgniß: „Schon jetzt?“
„Jetzt, sage ich,“ bekräftigte Ulrich herrisch, indem er einen herausfordernden Blick umherwarf. „Ist etwa Einer von Euch anderer Meinung, so sage er’s!“
Es schien ein nicht unbedeutender Theil der Anwesenden anderer Meinung zu sein, gleichwohl wagte sich Keiner mit einem bestimmten Widerspruch hervor, nur Lorenz sagte in bedenklichem Tone:
„Aber Du meintest ja selbst, es wäre besser, wenn alle Werke der Umgegend auf einmal aufhörten zu arbeiten.“
„Kann ich dafür, wenn sie zaudern und zaudern, bis uns die Geduld reißt?“ fragte der junge Steiger heftig. „Wenn sie durchaus warten wollen, wir können es nicht; das wissen sie recht gut. Aber sie wollen uns voran in’s Feuer schicken, um erst zu sehen, wie uns die Geschichte ausschlägt. Echt cameradschaftlich! Nun, wir werden auch ohne sie fertig werden!“
„Und glaubst Du denn wirklich, daß er“ – Lorenz warf einen Blick nach der Richtung hin, wo das Landhaus des Chefs lag, – „daß er nachgeben wird?“
„Er muß!“ sagte Ulrich bestimmt, „oder er ruinirt sich! Grade jetzt sind ihm ein paar Speculationen verunglückt; dazu hat er alle Schulden seines Herrn Sohnes decken müssen, und das neue Haus in der Stadt wird auch wohl so an die Hunderttausend kosten; wenn ihm nun auch die Werke ein paar Monate lang still stehen, grade jetzt, wo die großen Contracte abgeschlossen sind, so ist es zu Ende mit der ganzen Herrlichkeit. Vor zwei Jahren hätte er das vielleicht noch ausgehalten, jetzt hält er es nicht mehr aus. Wir setzen alles durch, wenn mir ihm damit drohen.“
„Gebe Gott, daß wir’s nur auch wirklich durchsetzen!“ seufzte einer der Bergleute, ein schon bejahrter Mann mit einem blassen eingefallenen Gesicht und bekümmerter Miene. „Es wäre doch schrecklich, wenn wir umsonst all die Noth und Sorge auf uns nähmen, und wochenlang mit Frau und Kindern darbten, damit zuletzt alles beim Alten bleibt. Wenn wir doch lieber noch warten wollten, bis die Cameraden –“
„Ja wohl, wenn wir auf die Anderen warteten –“ ließen sich hier und da einzelne Stimmen vernehmen.
„Schwätzereien und kein Ende!“ brauste Ulrich wild auf. „Ich sage Euch, daß jetzt grade die beste Zeit ist und daß wir vorgehen. Wollt Ihr mit mir gehen oder wollt Ihr nicht? Antwort!“
„So fahre doch nicht gleich so auf!“ beschwichtigte Lorenz. „Du weißt ja, daß sie alle mit Dir gehen, wenn’s einmal so weit ist. Laß sie auf den anderen Werken machen, was sie wollen! Wir sind einig, – da läßt Dich Keiner im Stich!“
„Ich wollte es auch Keinem rathen, zurück zu bleiben, wenn’s erst Ernst wird!“ sagte Ulrich, einen finster drohenden Blick nach der Ecke hinüber schleudernd, von wo der Widerspruch ausgegangen war. „Da können wir keine Feigheit gebrauchen, da muß Jeder für den Anderen einstehen, und wehe dem, der es nicht thut!“
Der junge Führer schien gerade in seiner despotischen Art den Cameraden gegenüber das rechte Mittel zu besitzen, um jeden etwa aufkeimenden Widerspruch zu ersticken. Die wenigen Opponenten, ausschließlich ältere Männer, schwiegen, während die Uebrigen, besonders die Jüngeren, sich mit lauter Zustimmung um Hartmann drängten, der jetzt ruhiger fortfuhr:
„Uebrigens ist jetzt keine Zeit, das alles zu besprechen, heut Abend wollen wir –“
„Der Obersteiger!“ unterbrachen ihn einige Stimmen, während sich Aller Blicke nach der Thür wandten.
„Auseinander!“ befahl Ulrich, und gehorsam dem Commando stob die Schaar auseinander. Jeder bemächtigte sich wieder seiner Blende, die er vorhin bei Seite gestellt hatte.
Der Obersteiger, der rasch und ziemlich unvermuthet eintrat, hatte wahrscheinlich noch die schnell gelöste Gruppe gesehen, vielleicht auch den Befehl gehört, denn er sah forschend im Kreise umher.
„Sie scheinen Ihre Cameraden ja ganz ausgezeichnet in Zucht zu haben, Hartmann!“ sagte er kalt.
„So ziemlich, Herr Obersteiger!“ gab dieser in gleichem Tone zurück.
Dem Obersteiger mochte es wohl wie den übrigen Beamten auch kein großes Geheimniß mehr sein, was die Arbeiter jetzt meist unter sich verhandelten; er zog es jedoch vor, nichts gehört und gesehen zu haben, sondern fuhr gleichgültig fort:
„Herr Berkow will mit den Ingenieuren das Hebewerk besichtigen. Sie sollen mit Lorenz im Fahrschachte bleiben, Hartmann, bis die Herren wieder zu Tage gefahren sind. Steiger Wilm kann vorläufig Ihre Leute mit zur Schicht führen, bis Sie nachkommen.“
Ulrich fügte sich schweigend der Anordnung und blieb mit Lorenz zurück, während die Uebrigen unter Leitung des Obersteigers anfuhren. Als der letzte seiner Cameraden verschwunden war, kehrte sich der junge Bergmann grollend ab.
„Feiglinge sind sie doch allesammt!“ murmelte er ingrimmig. „Das ist nicht vom Flecke zu bringen, mit seiner Unentschlossenheit und Furchtsamkeit. Sie wissen so gut wie ich, daß wir grade jetzt die Zeit benutzen müssen, und doch wollen sie nicht vorwärts, weil sie allein bleiben, weil die Anderen nicht hinter ihnen stehen. Ein Glück, daß wir gerade Berkow gegen uns haben und keinen Anderen. Wär’s ein tüchtiger Mann, der ihnen zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, sie brächten es nicht zu Stande.“
„Meinst Du denn, er wird das nicht auch thun?“ fragte Lorenz etwas mißtrauisch.
„Nein! Er ist feig, wie alle Tyrannen! Er prahlt und peinigt nur, so lange er obenauf ist, und wenn es an seine Haut oder seinen Geldsack geht, kriecht er zum Kreuze. Er hat sich so gründlich verhaßt gemacht und wird sie so in’s Aeußerste hineinhetzen, daß zuletzt Keiner zurückbleibt, und dann ist’s gut, dann haben wir ihn in der Hand.“
„Und der junge Herr? Glaubst Du, daß er sich gar nicht einmischt, wenn die Sache losgeht?“
Ein Ausdruck unverstellten Hohnes schwebte um Ulrich’s Mund, als er verächtlich entgegnete: „Der zählt nicht! Der läuft beim ersten Lärm, den es giebt, in die Stadt zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Wenn wir mit dem zu thun hätten, wären wir freilich schneller fertig; er sagt zu Allem Ja, wenn man ihm droht, ihn nicht ausschlafen zu lassen. Der Vater wird uns doch mehr zu schaffen machen.“
„Er will das Hebewerk besichtigen,“ meinte Lorenz nachdenkend. „Ob er auch