Ich wollte, ich hätte ihn einmal so allein neben mir, Auge in Auge, er sollte mir das Zittern lernen, das wir unten so oft durchmachen müssen.“
Blick und Ton des jungen Mannes waren so wild, so erfüllt von tiefstem Hasse, daß sein viel gemäßigterer Gefährte es vorzog, zu schweigen und damit für den Augenblick wenigstens dies Gespräch zu beendigen. Es trat eine längere Pause ein; Hartmann war zum Fenster getreten und blickte ungeduldig hinaus, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter fühlte und Lorenz dicht neben sich stehen sah.
„Ich wollte Dich etwas fragen, Ulrich,“ begann er stockend. „Nun, Du wirst es mir ja auch sagen, wenn ich Dich darum bitte. – Wie stehst Du mit der Martha?“
Es vergingen einige Secunden, ehe Ulrich antwortete. „Ich mit Martha! Mußt Du das wissen?“
Der junge Bergmann sah zu Boden. „Du weißt es ja, ich bin dem Mädchen schon so lange nachgegangen, sie hat mich immer noch nicht gewollt, weil sie – wohl einen Anderen wollte. Nun freilich, verdenken kann ich’s ihr nicht!“ sein Blick glitt mit einer Art von schmerzlicher Bewunderung an seinem Freunde nieder, „und wenn es wirklich wahr ist, daß Du mir im Wege stehst, dann muß ich mir die Sache wohl aus dem Kopfe schlagen. Also sage mir gerade heraus, seid Ihr einig?“
„Nein, Karl!“ sagte Ulrich dumpf. „Wir sind nicht einig, und wir werden’s auch nicht, das wissen wir jetzt beide. Ich stehe Dir nicht mehr im Wege bei dem Mädchen, und wenn Du Dein Glück noch einmal versuchen willst, ich glaube, jetzt nimmt sie Dich.“
Ein Freudenblitz schoß über die Züge des jungen Mannes hin, als er sich tief aufathmend emporrichtete.
„Meinst Du das wirklich? Nun freilich, wenn Du es sagst, muß es ja wohl wahr sein, und dann will ich’s auch versuchen, gleich heut Abend.“
Ulrich runzelte finster die Stirn. „Heut Abend? Denkst Du denn gar nicht daran, daß wir heut Abend eine Besprechung haben, und daß Du dahin gehörst und nicht auf die Freierschaft? Aber Du bist auch nicht besser als die Anderen. Jetzt, wo wir hinein wollen in den Kampf, gehen Dir Deine Liebesgeschichten im Kopfe herum, jetzt, wo Jeder froh sein sollte, der nicht Frau und Kind hat, denkst Du an’s Heirathen! Es ist nicht auszuhalten mit Euch Allen!“
„Nun, ich werde doch immer bei der Martha anfragen dürfen,“ vertheidigte sich Lorenz gekränkt. „Und wenn sie auch wirklich Ja sagt, so ist’s noch immer eine gute Weile bis zur Heirath. Freilich, Du weißt nicht, wie so Einem zu Muthe ist, der was Liebes hat, das er nicht bekommen kann, wie sich einem das Herz umkehrt, wenn man sehen muß, daß ein Anderer da ist, Tag für Tag mit ihr zusammen, der nur nach dem zu greifen braucht, wofür man sein Leben lassen möchte, und doch nicht danach greift; Du –“
„Hör’ auf, Karl!“ unterbrach ihn Ulrich mit zuckenden Lippen, indem er die geballte Hand so heftig niederfallen ließ, daß das Holzwerk dröhnte. „Geh’ zu der Martha, heirathe sie, mach’ was Du willst, aber rede mir nicht länger von solchen Geschichten! ich will, ich kann das nicht hören!“
Der junge Bergmann sah seinen Freund erstaunt an; er konnte sich diese wilde Zurückweisung nicht erklären; es war doch kein Zweifel, daß Jener das Mädchen freiwillig aufgab; es blieb ihm aber keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn in diesem Augenblick wurde draußen die scharfe Stimme Berkow’s laut, die in sehr ungnädigem Tone zu den ihn begleitenden Beamten sagte:
„Und nun bitte ich wirklich, meine Herren, davon aufzuhören! Die alte Wetterführung hat so lange vorgehalten, ohne daß ein Unglück geschehen ist, und wird es auch ferner thun. Wir brauchen keine kostspieligen Neuerungen, die Sie für nothwendig zu erklären belieben, weil es nicht aus Ihrer Tasche geht. Denken Sie, daß ich hier eine philanthropische Musteranstalt will? Die Betriebsfähigkeit will ich erhöht wissen, und die Ausgaben, die Sie dafür ansetzen, werden bewilligt werden. Das Uebrige wird gestrichen. Wenn die Bergleute in Gefahr sind, so kann ich das nicht ändern; das bringt ihr Brod eben so mit sich. Ich kann nicht Tausende fortwerfen, um ein paar Häuer und Förderleute vor einem Unglück zu sichern, das möglicher Weise einmal kommen könnte und bis jetzt noch nicht gekommen ist. Die Arbeiten in den Schachten werden auf das Allernothwendigste beschränkt, um sie betriebsfähig zu erhalten, und damit Punctum!“
Er stieß die Thür des Schachthauses auf und schien unangenehm überrascht zu sein, als er die beiden Bergleute gewahrte, die er hier wohl nicht vermuthet hatte und die seine letzten Worte gehört haben mußten. Noch unangenehmer als ihm schien ihre Gegenwart dem Oberingenieur zu sein.
„Hartmann, was thun Sie noch hier oben?“ fragte er betreten.
„Der Obersteiger sagte uns, wir müßten die Herren in den Fahrschacht begleiten,“ antwortete Ulrich, ohne das dunkelglühende Auge von Berkow abzuwenden.
Der Oberingenieur zuckte leicht die Achseln und wandte sich zu seinem Chef mit einer Miene, in der deutlich genug zu lesen war: „dazu hätte er auch einen Andern aussuchen können“ – indessen äußerte er nichts.
„Schon gut!“ sagte Berkow kurz. „Fahrt immer an, wir kommen nach. Glück auf!“
Die beiden Bergleute gehorchten; als sie den Herren aus dem Gesichte waren, hielt Lorenz einen Augenblick inne.
„Ulrich!“
„Was willst Du?“
„Hast Du gehört?“
„Daß er nicht Tausende wegwerfen kann, um ein paar Häuer und Förderer zu sichern? Aber der Betrieb soll auf Hunderttausende erhöht werden! Nun, sicher ist am Ende Niemand hier in der Tiefe, und er fährt ja heute auch ein. Wir wollen abwarten, an wen zuerst die Reihe kommt. Mach’ fort, Karl!“ –
Es schien in der That, als ob mit dem Unwetter des gestrigen Tages sich der so lange ersehnte Frühling sein Reich erstritten habe; mit einer solchen Zauberschnelle hatte sich die Witterung über Nacht geändert. Wie spurlos verschwunden waren Nebel und Wolken, mit ihnen Wind und Kälte; die Berge lagen jetzt so klar da, umleuchtet von dem hellen Sonnenschein, umweht von der milden warmen Luft, daß man sich nun endlich der Hoffnung hingeben durfte, es sei vorbei mit dem ewigen Regen und Sturm der letzten Wochen, vorbei für eine lange sonnenhelle Frühlings- und Sommerzeit.
Eugenie war auf ihren Balcon getreten und blickte hinaus in die nun endlich entschleierte Landschaft. Ihr Auge haftete nachdenklich und träumerisch auf den Bergen drüben. Vielleicht dachte sie an die gestrige Nebelstunde dort oben auf der Höhe; vielleicht tönte noch in ihren Ohren das Rauschen und Wehen der grünen Tannenarme; aber die Erinnerungen wurden rasch und gewaltsam durch den Klang eines Posthorns unterbrochen, das in ihrer unmittelbaren Nähe ertönte; gleich darauf fuhr eine Extrapostchaise unten an der Terrasse vor, und mit einem Schrei der Freude und Ueberraschung flog die junge Frau vom Balcon zurück.
„Mein Vater!“
Es war in der That Baron Windeg, der rasch aus dem Wagen stieg und in’s Haus trat, wo ihn seine Tochter schon oben an der Treppe empfing. Es war das erste Wiedersehen zwischen ihnen seit ihrer Vermählung, und trotz der Gegenwart der beiden Diener, die herbeigestürzt kamen, den vornehmen Gast zu empfangen, schloß der Vater sein Kind so leidenschaftlich fest in die Arme wie damals am Abende ihres Hochzeittages, als sie im Reisekleide von ihm Abschied nahm. Die junge Frau machte sich endlich sanft los und zog ihn mit sich in ihr Lieblingszimmer, den kleinen blauen Salon.
„Welche Ueberraschung, Papa!“ sagte Eugenie noch strahlend vor Freude und Aufregung. „Ich hatte keine Ahnung von diesem unerwarteten Besuche.“
Der Baron ließ sich, den Arm noch immer um sie geschlungen, mit ihr auf das Sopha nieder.
„Er war auch nicht beabsichtigt, mein Kind. Eine Reise führte mich in diese Gegend, und da konnte und wollte ich nicht den Umweg von einigen Stunden scheuen, um Dich wiederzusehen.“
„Eine Reise?“ Eugenie blickte fragend in das Antlitz ihres Vaters, dessen Auge so forschend auf ihren Zügen ruhte, als wolle es darin die Geschichte dieser ganzen Wochen lesen, die sie von ihm getrennt gewesen war; aber als ihr Blick jetzt zufällig niederglitt auf seinen Hut, den er noch in der Linken hielt, schreckte sie erbleichend zusammen.