hoffen Sie nicht etwa, mich durch lärmende Scenen einzuschüchtern! Ich und meine Beamten werden das Aeußerste thun, um jeden Conflict zu vermeiden; wird er uns dennoch aufgezwungen, so müssen wir Stellung dagegen nehmen, und im äußersten Falle werde ich mein Hausrecht brauchen. Ersparen Sie das mir und sich selber!“
Ulrich wandte sich zum Gehen; aber in dem Abschiedsblick mischten sich Haß und Wuth mit noch etwas Anderem, Tieferem, was freilich Niemand ahnte, was aber die Brust des wilden, leidenschaftlichen Mannes wie im Krampfe zusammenzog. Er hatte den „Weichling“ so lange verachtet und triumphirt in dem Gedanken, daß er auch – anderswo verachtet werden müsse. Wenn er sich dort jetzt auch so zeigte, wie eben hier, dann war es zu Ende mit der Verachtung und dieses große braune Auge, das ihn gezwungen, konnte wohl noch etwas Anderes erzwingen, als Haß und Abneigung. Die fahle Blässe, die das Antlitz des jungen Bergmannes seit jener Zurechtweisung bedeckte, war noch tiefer geworden, als er sich abwandte.
„Wir wollen sehen, wer’s am längsten aushält! Glück auf!“
Er ging, begleitet von seinen beiden Cameraden, aber man sah es an den Gesichtern der Leute, daß die eben beendigte Scene auf sie ganz anders gewirkt hatte, als auf ihren Führer. Es war ein halb scheuer, halb ehrerbietiger Blick, mit dem sie zu dem jungen Chef zurückblickten, und es lag etwas Zögerndes, Unsicheres in ihrem Wesen, als sie sich entfernten.
Arthur hatte ihnen forschend nachgeblickt und wendete sich nun zu den Beamten. „Da sind schon zwei, die ihm nur mit halbem Herzen folgen! Ich hoffe, die Mehrzahl kommt zur Besinnung, wenn man ihr Zeit läßt; für jetzt, meine Herren, müssen wir uns in die Nothwendigkeit ergeben und die Werke feiern lassen. Ich verkenne keineswegs die Gefahr, die uns hier in der Abgeschiedenheit droht von zweitausend aufgeregten Menschen, mit einem Führer wie Hartmann an der Spitze; aber ich bin entschlossen, ihr Stand zu halten und nicht eher zu weichen, bis Alles entschieden ist. Es hängt natürlich von Ihrem freien Willen ab, ob Sie mir hierin folgen werden. Da Sie fast Alle gegen meine Entscheidung waren, so werde ich Ihnen die Folgen derselben natürlich nicht aufzwingen und bereitwillig Jedem Urlaub ertheilen, der jetzt etwa eine zeitweilige Entfernung von den Werken für nothwendig hält.“
Eine allgemeine entrüstete Verneinung beantwortete diesen Vorschlag. Die sämmtlichen Beamten drängten sich mit einem fast leidenschaftlichen Eifer um ihren jungen Chef, um ihm zu versichern, daß keiner von ihnen von seinem Platze weichen würde; selbst der schüchterne Herr Wilberg schien auf einmal Löwenmuth gewonnen zu haben; so energisch stimmte er ein. Arthur athmete tief auf.
„Ich danke Ihnen, meine Herren! Am Nachmittage wollen wir das Weitere besprechen und uns über die zu nehmenden Maßregeln verständigen; für jetzt muß ich Sie verlassen. Herr Schäffer, ich erwarte Sie in einer Stunde drüben in meinem Arbeitszimmer – noch einmal meinen Dank Ihnen Allen!“
Erst als er gegangen war und die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, brachen all die Regungen des Erstaunens, des Beifalls und der Besorgniß hervor, die seine Gegenwart bisher zurückgehalten hatte.
„Mir zittern alle Glieder!“ sagte Herr Wilberg, indem er sich, ohne an die Gegenwart seiner Vorgesetzten zu denken, auf einen Stuhl niederließ, aber der vorhergehende Auftritt schien alle Etiquettenrücksichten aufgehoben zu haben. „Gott im Himmel, war das eine Scene! Ich dachte, der wilde Mensch, der Hartmann, würde sich auf ihn stürzen, aber dieser Blick, diese Art zu reden – wer hätte das in dem Herrn gesucht!“
„Er war zu scharf, viel zu scharf!“ tadelte Schäffer, aber selbst in diesem Tadel und in seinem bedenklichen Kopfschütteln lag ein ganz anderer Ausdruck, als der war, mit dem er vorhin von Arthur gesprochen. „Er sprach, als hätte er noch immer über Millionen zu gebieten und als wäre der Betrieb der Werke nicht eine Lebensfrage für ihn. Sein Vater hätte trotz seines Hochmuthes hier unbedingt nachgegeben, denn es wäre geschäftlich seine einzige Rettung gewesen, und Rücksichten auf seine Stellung und Würde kannte er nicht. Der Sohn scheint freilich anders geartet, aber diese Sprache, die noch vor einem Jahre am Platz gewesen wäre, ist es jetzt nicht mehr. Er hätte vorsichtiger, unbestimmter in seinen Ausdrücken sein müssen, damit ihm die Möglichkeit eines Rückzuges offen geblieben wäre, für den Fall, daß –“
„Zum Kukuk mit Ihren Rücksichten und Bedenklichkeiten!“ fiel der Oberingenieur heftig ein. „Entschuldigen Sie, Herr Schäffer, daß ich grob werde, aber man sieht es, daß Ihre Thätigkeit nur in den Bureaux lag, und Sie niemals Arbeitermassen geleitet haben. Gerade das Richtige hat er getroffen, imponirt hat er ihnen, und das ist in solchem Falle Alles. Ein gütliches Zureden hätte ihnen für Schwäche, eine vornehme Ruhe für Hochmuth gegolten. Ihre eigene Sprache des Entweder – Oder muß man mit ihnen reden, und unser Herr versteht es wie Keiner; das haben Sie an Hartmann gesehen.“
„Ich fürchte nur, er unterschätzt trotz alledem den Kampf, der uns bevorsteht,“ sagte der Director ernst. „Unsere Leute allein hätten sich mit diesen Zugeständnissen zufrieden gegeben, mit diesem Führer an der Spitze thun sie es nicht. Er wird keinen Ausgleich zulassen, und sie folgen ihm blindlings. Aber der Herr hat Recht, er ist bis an die Grenze des Möglichen gegangen, weiter gehen hieße, sich selbst, seine Stellung und uns Alle preisgeben!“
Sie sprachen jetzt auf einmal Alle von ‚dem Herrn‘, als ob sich das von selbst verstände. In einer einzigen Stunde hatte sich Arthur den Titel erobert; jetzt schien gar keine andere Bezeichnung für den jungen Chef zu existiren. Er mußte sich doch wohl als Herr gezeigt haben. –
Die drei Abgesandten hatten das Haus verlassen und schritten nach den Werken hinüber. Ulrich sprach kein Wort, aber Lorenz sagte halblaut:
„Du meintest neulich, wenn uns Einer zu rechter Zeit die Zähne wiese und zu rechter Zeit gute Worte gäbe, dann – höre Ulrich, ich glaube, der da oben versteht’s!“
Ulrich antwortete nicht, er warf einen Blick nach den Fenstern hinauf, und es lagerte auf seiner Stirn wie eine Wetterwolke.
„Das also war hinter den Augen, die immer so schläfrig aussahen, als taugten sie zu nichts auf der Welt als zum Schlafen!“ murmelte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen. ‚So lange ich hier stehe, bin ich der Herr dieser Werke!‘ Ich glaube wahrhaftig, er hat das Zeug dazu!“
Sie begegneten jetzt einer Gruppe von Bergleuten, speciell Ulrich’s Leuten, die nicht mit angefahren waren und die drei Abgesandten mit stürmischen Fragen umringten.
„Laßt’s Euch von Ulrich erzählen!“ meinte Lorenz trocken. „Ich glaube, wir sind da an den Unrechten gekommen; er denkt nicht an Nachgeben.“
„Nicht?“ Die Bergleute schienen sämmtlich enttäuscht. Sie hatten wohl auf einen andern Bescheid gerechnet. Es wurden einzelne Rufe und Drohungen gegen den jungen Chef laut, dessen Name dabei mehrere Male mit offenbarer Verachtung genannt wurde.
„Schweigt still!“ herrschte ihnen Ulrich zu. „Ihr kennt ihn nicht, so wie wir ihn eben sahen. Ich glaubte, wir würden leichtes Spiel haben, nun der Vater aus dem Wege ist. In dem Sohne haben wir uns Alle geirrt. Der hat etwas, was kein Mensch dem Weichling zugetraut, einen Willen! Ich sage Euch, der wird uns noch zu schaffen machen!“
Es war noch ziemlich früh am Vormittage, noch dufteten und funkelten Berge und Wälder in der thauigen Frische des Frühlingsmorgens, als Eugenie Berkow allein, ohne jede Begleitung, den Waldweg entlang ritt. Sie war eine vorzügliche Reiterin und liebte dies Vergnügen leidenschaftlich, und dennoch hatte sie sich ihm hier auf dem Lande weit seltener als sonst hingegeben. Anfangs verbot das Wetter jeden Ausflug in’s Freie, später fehlte ihr die Lust dazu, der Hauptgrund aber war wohl der, daß ihr schönes Reitpferd ein Geschenk ihres Gemahls noch aus seiner Bräutigamszeit her war, und daß sie nun einmal gewohnt war, ihre Abneigung gegen den Geber auf Alles zu übertragen, was direct von ihm kam. Nur mit Widerwillen hatte sie bei der Trauung die kostbaren Diamanten ihres Brautschmuckes angelegt, die seitdem nicht wieder ihre Etuis verließen; nur halb gezwungen bewegte sie sich in der verschwenderischen Pracht, die sie seit ihrer Vermählung umgab, und auch das herrliche Thier, das eine fabelhafte Summe gekostet hatte, und das, als sie das erste Mal an der Seite ihres Verlobten darauf erschien, die Bewunderung der ganzen Residenz herausforderte, wurde von seiner Herrin auffallend vernachlässigt