Elisabeth Bürstenbinder

Die beliebtesten Liebesromane & Geschichten von Elisabeth Bürstenbinder


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fragte Ulrich heftig. „War’s nicht einstimmiger Beschluß, daß es anders werden müßte, und haben wir uns nicht das Wort gegeben, zusammenzustehen, bis es anders würde?“

      „Wenn nicht bewilligt würde! Nun ist aber Alles bewilligt, so gut wie Alles, denn was Euch abgeschlagen wurde, das sind nicht die Forderungen unserer Bergleute; das hast Du erst hineingebracht, Ulrich, Du allein, und Du bist’s auch allein, der sie dabei festhält. Ohne Dich arbeiteten sie längst wieder, und wir hätten Ruhe und Frieden auf den Werken.“

      Der junge Steiger warf trotzig den Kopf zurück. „Nun ja, von mir ging’s aus, und ich rechne es mir wahrhaftig nicht zur Schande, daß ich weiter sehe und sorge, als die Anderen. Wenn sie zufrieden sind, daß ihnen das alte Elend etwas erträglicher gemacht, das Bischen Leben in den Schachten mehr gesichert wird – ich bin’s nicht zufrieden und die Muthigen unter uns sind’s auch nicht. Wir verlangen viel, das ist wahr, – wir wollen nahezu Alles, und wenn Berkow noch der Millionär wäre, für den ihn alle Welt hält, er würde sich hüten, sich so in unsere Hände zu geben. Er ist’s aber nicht mehr und auf unseren Händen, wenn sie sich jetzt für ihn rühren oder nicht rühren, steht sein ganzes Wohl oder Wehe. Du weißt nicht, Vater, wie es drüben in den Bureaus und in den Conferenzen aussieht, aber ich weiß es und ich sage Dir, er mag sich sträuben, wie er will: nachgeben muß er doch, wenn es erst von allen Seiten auf ihn losstürmt.“

      „Und ich sage Dir, er thut es nicht!“ erklärte der Schichtmeister. „Eher schließt er die Werke! Ich kenne den Arthur. Schon als kleiner Bube war er so, ganz anders wie Du. Du gingst immer mit Gewalt darauf los, wolltest mit Gewalt Alles zwingen, ob es nun eine Arbeit, oder ein Gartenzaun, oder ein Camerad war – der griff überhaupt nie gern irgend was an, und es dauerte immer lange, ehe er dazu kam; that er’s aber einmal, dann ließ er auch nicht wieder los, bis er das Ding unter sich hatte. Jetzt ist er aufgewacht, und jetzt wird er Euch Allen zeigen, was in ihm steckt. Nun er die Zügel einmal hat, reißt sie ihm Keiner aus den Händen. Der hat etwas von Deinem eigenen Starrkopf. Denk’ an mich, wenn Du ihn einmal zu fühlen bekommst!“

      Ulrich blickte finster vor sich hin; er widersprach nicht mit seiner gewohnten Heftigkeit, aber man sah es ihm an, wie der Groll in ihm wühlte, daß er nicht widersprechen konnte. Vielleicht hatte er den „Starrkopf“ schon einmal gefühlt.

      „Und wie die Sache nun auch ausfallen mag,“ fuhr der Vater fort, „meinst Du denn wirklich, daß Du noch Steiger bleiben kannst, daß sie Dich noch auf den Werken dulden nach Allem, was jetzt vorgekommen ist?“

      Der junge Mann lachte höhnisch auf. „Nein, wahrhaftig nicht, wenn’s von Denen da drüben abhängt. Die nehmen mich sicher nicht wieder zu Gnaden an! Aber von Gnade soll auch keine Rede sein, dictiren werden wir ihnen unsere Forderungen, und die erste der ganzen Knappschaft ist die, daß ich bleibe.“

      „Weißt Du das so gewiß?“

      „Vater, beschimpfe mir meine Cameraden nicht!“ brach Ulrich los. „Sie lassen mich nicht im Stich!“

      „Auch nicht, wenn die erste Forderung drüben ist, daß Du gehst? Und der Herr stellt sie, verlaß Dich darauf!“

      „Nie! das erreicht er nie! Sie wissen Alle, daß ich’s nicht für mich gethan habe; mir ging es nicht schlimm; ich brauchte nicht zu darben und ich finde überall mein Brod. Ihr Elend war es, was ich ändern wollte. – Rede mir nicht davon, Vater! Sie machen mir oft Noth genug, aber wenn es Ernst wird, dann dringe ich durch, dann läßt mich Keiner im Stich. Wo ich sie hinführe, da gehen sie mit, und wo ich stehe, da stehen sie zu mir, und wenn’s in Noth und Tod wäre!“

      „Früher – ja! Jetzt nicht mehr!“ Der alte Mann hatte sich erhoben, und jetzt erst, wo er sich dem vollen Lichte zuwendete, sah, man, wie gramvoll die Züge waren, und wie gebückt die noch vor Kurzem so kräftige Haltung war.

      „Du hast ja selbst dem Lorenz gesagt, daß es anders geworden ist,“ fuhr er tonlos fort, „und Du weißt auch den Tag und die Stunde, wo es anders wurde. Ich brauche Dir das nicht erst zu sagen, Ulrich, aber mir – mir hat der Tag auch das Bischen Ruhe und Freude gekostet, das ich noch vom Alter hoffte. Jetzt ist’s vorbei damit, auf immer.“

      „Vater!“ schrie der junge Mann auf.

      Der Schichtmeister machte eine hastig abwehrende Bewegung. „Laß gut sein! Ich weiß ja nichts davon, will nichts davon wissen, denn wenn ich es gar noch klar und deutlich hören müßte, dann wäre es vollends aus. Ich habe genug an dem bloßen Gedanken; schon der hat mich fast um den Verstand gebracht.“

      Ulrich’s Augen flammten wieder auf, so drohend wie vorhin bei der Hindeutung seines Freundes.

      „Und wenn ich Dir nun sage, Vater, daß die Stricke gerissen sind, wenn ich Dir sage, daß meine Hand nicht dabei war –“

      „Sag’ mir lieber nichts!“ unterbrach ihn der Alte bitter. „Ich glaube Dir doch nicht, und die Anderen thun es auch nicht mehr. Du bist immer wild und gewaltthätig gewesen und hättest in der Wuth Deinen besten Freund niedergeschlagen. Probir’s, tritt unter Deine Cameraden und sage ihnen: ‚Es ist ein bloßes Unglück gewesen!‘ – es glaubt Dir Keiner!“

      „Keiner!“ wiederholte Ulrich dumpf. „Auch Du nicht, Vater?“

      Der Schichtmeister richtete das trübe Auge fest auf seinen Sohn. „Kannst Du mir hier in’s Gesicht behaupten, daß Du keine Schuld an dem Unglück hast, gar keine? daß Du –“ er kam nicht zu Ende mit der Frage, denn Ulrich hielt den Blick nicht aus, seine eben noch flammenden Augen richteten sich scheu auf den Boden; mit einer zuckenden Bewegung wendete er sich ab und – schwieg.

      Es war ein langes, banges Schweigen in dem Stübchen; man hörte nur das schwere Athmen des alten Mannes. Seine Hand zitterte, als er sich über die Stirn fuhr, und die Stimme zitterte noch mehr, als er endlich leise sagte:

      „Deine Hand war nicht dabei? Ob es nun gerade die Hand war, und wie es überhaupt gekommen ist – sie meinen ja alle, da ließe sich nichts untersuchen und nichts beweisen, Gott sei Dank, wenigstens nichts für die Gerichte. Mach’s mit Dir allein aus, Ulrich, was da unten geschehen ist, aber poche nicht mehr auf Deine Cameraden! Du hast ganz recht gesehen, seitdem fürchten sie Dich bloß noch. Sieh zu, wie lange Du es noch mit der Furcht allein zwingst!“

      Er ging. Der Sohn machte eine Bewegung, als wolle er ihm nachstürzen; dann auf einmal blieb er stehen und schlug die geballte Hand vor die Stirn. Der Laut, der sich dabei aus seiner Brust hervorarbeitete, klang fast wie ein unterdrücktes Stöhnen. –

      Es mochten wohl zehn Minuten vergangen sein, da wurde die Thür von Neuem geöffnet, und Martha trat wieder ein. Der Oheim war fort, und Ulrich lag im Lehnstuhl, das Gesicht in den Händen vergraben. Das schien sie aber nicht weiter zu befremden; sie warf nur einen Blick auf ihn, trat dann an den Tisch und begann ihre Arbeit zusammenzulegen. Ulrich hatte sich bei dem Geräusch ihrer Schritte emporgerichtet. Er stand jetzt langsam auf und kam zu ihr hinüber; sonst pflegte er sich nie viel um das Thun und Lassen des Mädchens zu kümmern, am wenigsten mit ihr darüber zu sprechen. Heute that er beides. Vielleicht war auch für diese starre, verschlossene Natur der Moment gekommen, wo sie sich nach irgend einem Wort, irgend einem Zeichen der Theilnahme sehnte, gerade jetzt, wo alles sie floh, alles vor ihr zurückwich.

      „Du und Lorenz, Ihr seid also einig?“ begann er. „Ich habe noch nicht einmal mit Dir darüber gesprochen, Martha. Mir gingen in der letzten Zeit so viel andere Dinge durch den Kopf. Ihr seid ein Brautpaar?“

      „Ja!“ war die kurze, halb abweisende Antwort.

      „Und wann wird die Hochzeit sein?“

      „Damit hat’s noch Zeit.“

      Ulrich blickte auf das Mädchen nieder, das mit fliegendem Athem und zuckenden Fingern sich mit der Arbeit beschäftigte, ohne ihn auch nur anzusehen, und ein geheimer Vorwurf schien doch in ihm aufzusteigen.

      „Du hast recht gethan, Martha,“ sagte er leise, „ganz recht! Karl ist brav und hat Dich lieb, mehr vielleicht als Andere es hätten thun können. Und doch ließest Du ihn noch einmal fortgehen ohne Bescheid,