zu schämen hatten mit unserem Anerbieten.“
Windeg schien die letzte Bemerkung ziemlich ungnädig aufzunehmen, vielleicht weil er sie nicht widerlegen konnte.
„Wenn wir ihm Unrecht thaten, so bin ich bereit, ihm jetzt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,“ sagte er, „ich bin es um so mehr, als wir ihm in der Scheidungsangelegenheit wirklich zum Danke verpflichtet sind. Ich hatte nicht geglaubt, daß sich das so leicht machen werde, trotz der Gleichgültigkeit, die er von jeher gegen diese Heirath zeigte.“
Curt nahm wieder die nachdenkliche Miene an, die ihm sonst gar nicht eigen war. „Ich weiß nicht, Papa, mir kommt die Sache noch gar nicht so ausgemacht vor. Berkow war keineswegs so ruhig, wie er sich den Anschein geben wollte, und Eugenie auch nicht. Die Heftigkeit, mit der er aufzuckte, als Du behauptetest, sie bestehe auf der sofortigen Trennung, hatte nichts von Gleichgültigkeit und das Gesicht, mit dem Eugenie uns verließ, noch weniger. Mir ist dabei eine ganz eigenthümliche Idee aufgestiegen.“
Der Baron lächelte mit großer Ueberlegenheit. „Du bist doch bisweilen ein rechtes Kind, Curt, trotz Deiner zwanzig Jahre und Deiner Epauletten. Meinst Du denn wirklich, der Entschluß, den die Beiden, wie sich jetzt ergiebt, längst gefaßt haben, sei ohne vorhergegangene Scenen und Auftritte entstanden? Eugenie hat jedenfalls schwer darunter gelitten, vielleicht auch Berkow. Was Du so weise bemerkt hast, ist der Nachhall früherer Stürme, weiter nichts. Gott sei Dank, wir sind jetzt beiderseitig im Klaren, und die Stürme haben ein Ende.“
„Oder sie fangen erst an!“ murmelte Curt halblaut, indem er mit dem Vater den Salon verließ.
12
Es war Abend geworden, und im Hause herrschte eine unruhige Geschäftigkeit. Noch am Nachmittage hatte Baron Windeg eine längere Unterredung mit seiner Tochter gehabt, und unmittelbar darauf erhielt das Kammermädchen die Weisung, die Toilettensachen ihrer Herrin einzupacken. Schon vorher hatte Herr Berkow selbst der Dienerschaft angekündigt, daß seine Gemahlin morgen früh ihren Vater nach der Residenz begleiten und einige Wochen dort verweilen werde, daß also die nöthigen Vorbereitungen zu treffen seien, eine Nachricht, die vom Hause aus natürlich sofort die Runde durch sämmtliche Beamtenwohnungen machte, und dort wie hier weit mehr Besorgniß als Aufsehen erregte. Es war ja sonnenklar, daß der Herr die gnädige Frau nur fortsandte, weil er gleichfalls überzeugt war, daß es nächstens auf den Werken „losgehen“ werde. Er wollte sie in der Residenz in Sicherheit wissen und hatte wahrscheinlich selbst ihren Vater veranlaßt, zu kommen und sie abzuholen.
Windeg hatte Recht, der Vorwand war so wahrscheinlich, daß es Keinem einfiel, daran zu zweifeln. Das eigenthümlich kalte Verhältniß zwischen dem jungen Ehepaar war freilich anfangs in der Colonie viel besprochen und gedeutet worden; jetzt hatte das allmählich aufgehört. Man wußte ja, daß die Heirath nicht aus Neigung geschlossen war, aber da man nie etwas von heftigen Scenen oder bitteren Auftritten hörte, die der Dienerschaft doch wohl nicht entgangen wären, da Berkow immer die Höflichkeit selbst gegen seine Gemahlin und diese die Ruhe selbst ihm gegenüber blieb, so mußten sie sich doch wohl aneinander gewöhnt haben und ganz zufrieden miteinander sein – der gewöhnliche Ausgang solcher aus Berechnung geschlossenen Ehen. Ihre etwas seltsame Art zu leben schien wirklich nur eine Sitte der großen Welt zu sein; man lebte in den vornehmen Kreisen der Residenz wohl meist auf diesem getrennten, höflich kühlen Fuße, und daß Baroneß Windeg und der Sohn des Millionärs Berkow dies auch hier taten, konnte am Ende nicht weiter befremden.
Daß diese Abreise, der ja keine Streitigkeit irgend einer Art vorangegangen war, eine Trennung in sich schloß, das ahnte Niemand, und es fiel auch nicht weiter auf, als die Herrschaften den Abend ganz getrennt zubrachten. Die beiden fremden Herren speisten allein im Eßzimmer, die gnädige Frau hatte sich, da sie nicht wohl war, den Thee in ihr Boudoir bringen lassen, rührte jedoch zur Verwunderung ihres Kammermädchens nichts davon an, und Herr Berkow endlich speiste gar nicht, sondern zog sich „Geschäfte halber“ in sein Arbeitscabinet zurück, nachdem er den Befehl gegeben, ihn unter keiner Bedingung zu stören.
Draußen herrschte bereits völlige Dunkelheit, und hier drinnen warf die auf dem Schreibtisch brennende Lampe ihr Licht auf den Mann, der seit länger als einer Stunde ruhelos auf- und abwanderte, der jetzt endlich hinter geschlossenen Thüren den so lange getragenen Zwang der Gleichgültigkeit abwarf und den Sturm austoben ließ, der in ihm wühlte. Das war freilich nicht der blasirte junge Erbe mehr mit seiner apathischen Schwäche, aber auch nicht der junge Chef mehr, der mit so plötzlich erwachter Energie und Besonnenheit seinen Untergebenen zu imponiren und seinen Beamten Muth einzuflößen wußte. In diesem Antlitz stürmte die ganze Gewalt einer Leidenschaft, deren Größe er wohl selbst nicht gekannt hatte, bis zu dem Momente, wo es sich um das Verlieren handelte. Der Moment war jetzt gekommen, und jetzt forderte sie ihr Recht. Auf dieser bleichen Stirn, in diesen zuckenden Lippen und brennenden Augen stand es deutlich geschrieben, was ihm die heutige Unterredung gekostet, von der Baron Windeg meinte, er habe nicht geglaubt, daß die Sache sich so leicht machen werde.
Also jetzt war sie da, die so lang gefürchtete Stunde der Trennung, und es war gut, daß es so kam, daß ein fremder Wille hier eingriff, wo der eigene sich machtlos erwies. Wie oft während der letzten vierzehn Tage hatte Arthur daran gedacht, selbst den Vorwand zu gebrauchen, den der Baron ihm jetzt in die Hand gab, und damit die Folter dieses Zusammenlebens abzukürzen, denn diese abgemessene Kälte nach außen, welche die Gluth im Innern jeden Augenblick Lügen strafte, ließ sich nicht mehr ertragen; das ging über Menschenkräfte – und dennoch war nichts geschehen. Freilich ist es eine unbestrittene Wahrheit, daß das Unvermeidliche am besten schnell geschieht, aber nicht Jeder, der den Muth besitzt, mit fester Hand das Messer an eine vergiftete Wunde des Körpers zu setzen, hat ihn auch da, wo es sich darum handelt, eine verzehrende Leidenschaft aus dem Herzen zu reißen; mit ihr kommt unabweisbar die Furcht vor dem Verluste. Sie waren ja längst getrennt, diese Beiden, aber er sah doch wenigstens immer noch das schöne blonde Haupt mit den stolzen, jetzt so ernsten Zügen und den sprechenden dunklen Augen, hörte doch wenigstens noch diese Stimme, und dann kamen auch Momente eines blitzähnlich aufflammenden Glückes, die ganze Tage und Wochen voll Bitterkeit aufwogen, wie vorgestern im Walde, wo sie mit so sichtbarer Angst ihr Pferd an das seinige drängte, wo sie in seinen Armen bebte, als er sie herabhob – mochte es Feigheit sein, aber er hatte nicht freiwillig, nicht eher verzichten können, bis man es forderte, wie es jetzt geschah.
Die Thür wurde leise geöffnet und ein Diener erschien zögernd auf der Schwelle.
„Was giebt’s?“ fuhr Arthur auf. „Habe ich nicht befohlen –“
„Um Vergebung, Herr Berkow!“ sagte der Mann schüchtern. „Ich weiß wohl, daß Sie nicht gestört sein wollen – aber da – da die gnädige Frau selbst –“
„Wer?“
„Die gnädige Frau sind selbst hier und wünschen –“
Der Diener hatte keine Zeit zu vollenden und er war auch etwas überrascht von dem Ungestüm, mit dem sein Herr die Thür aufriß und in’s Vorzimmer eilte, wo er wirklich seine Gattin erblickte, die dort zu warten schien. In der nächsten Minute war er an ihrer Seite.
„Du läßt Dich melden? Welche überflüssige Etiquette!“
„Du wolltest Niemand sehen, wie ich höre, und Franz sagte mir, der Befehl gelte für Alle ohne Ausnahme.“
Arthur wandte sich mit finsterer Miene zu dem Bedienten, der entschuldigend sagte: „Ich wußte wirklich nicht, was ich da thun sollte. Es ist ja das erste Mal, daß die gnädige Frau hierher kommt.“
Die Worte enthielten wirklich nur eine verlegene Entschuldigung, weiter nichts, aber Eugenie wendete sich doch rasch ab und die Zurechtweisung, die ihr Gemahl bereits auf den Lippen hatte, unterblieb. Der Mann hatte im Grunde Recht; für einen so ungewöhnlichen Fall, wie das Erscheinen der gnädigen Frau in der Wohnung des Herrn war, reichten seine Instructionen nicht aus; es war in der That das erste Mal, daß sie diese Wohnung betrat. Man hatte sie bisher immer nur im Salon, im Eßzimmer