ein. Schlagen ihre Zelte auf. Scheint so, als hätten sie einen Weg gefunden, mit was auch immer du ihnen erzählt hast, dem Finanzamt eine ordentliche Finanzspritze herauszuleiern.«
Todd lächelte und fragte: »Wirklich?«
»Ja, wirklich!«, schrie der Wachmann. »Wirklich, klar?! Wirklich!«
»Schon gut, klar. Tut mir leid«, beschwichtigte Todd. Er hatte sofort den Verdacht, diese Geschichte sei ein Ablenkungsmanöver. Das Finanzamt war erklärtermaßen überaus knauserig. Eine der simpelsten Anwendungen der Datei bestand darin, unbegrenzte Mengen an Bargeld zu erzeugen. Es war sehr viel wahrscheinlicher, dass Miller und Murphy ihr neues Büro und dessen Mitarbeiter dazu benutzten, auf irgendeine Weise das Geld, welches sie mithilfe der Datei erzeugten, zu verstecken und zu waschen. Vermutliche redeten sie sich ein, sie würden das Geld zur Finanzierung ihrer Bemühungen im Kampf gegen das Verbrechen verwenden. Früher oder später jedoch würden sie vor lauter Machtbesessenheit durchdrehen. So wie jeder, der die Datei entdeckte.
Jeder außer mir, dachte Todd. Sie haben mir den Zugang weggenommen, bevor ich die Gelegenheit dazu hatte.
»Was hat denn das alles mit dir zu tun?«, erkundigte sich Todd.
Der Wachmann entgegnete: »Ganz einfach, ich hasse diesen Ort.«
Todd sagte: »Es ist ein Gefängnis.«
»Ja, das weiß ich, aber Mann, du verstehst das nicht. Ich will hier wirklich raus.«
»Es ist ein Gefängnis und ich bin ein Gefangener. Ich verstehe den Drang, hier rauskommen zu wollen.«
»Nicht meinen«, stellte der Wachmann richtig.
»Da könntest du recht haben«, stimmte Todd zu, der mehr Beherrschung an den Tag legte als üblich.
»Dann wirst du mir helfen?«
»Helfen, wobei?«, stammelte Todd. »Beim Abhauen? Ich kann hier selber nicht raus! Du schon! Spaziere einfach den Gang runter. Falls dir eine Tür im Weg sein sollte, öffne sie. Gehe weiter, bis du draußen ankommst. Ich verstehe nicht, was du von mir willst.«
»Ich weiß, du bist ein Gefangener und ich ein Wachmann, aber ich sitze genauso in der Falle wie du.«
»Nein, tust du nicht! Du gehst jeden Abend nach Hause!«
»Ja«, bestätigte der Wachmann, »aber jeden Morgen muss ich wieder herkommen. Ich muss aus dem Haus, in mein Auto steigen, das ich noch abbezahle, muss mein Benzin verfahren, um hierher zu kommen, in dieses Gefängnis. Jeden Tag. Ihr Insassen verschwendet nie einen Gedanken daran, wie schrecklich das für uns Wachleute ist, stimmt‘s?«
»Nein«, gab Todd zu. »Du hast recht. Tun wir nicht.«
»Du wirst mir also helfen?«
Todd sagte: »Ich kapier es immer noch nicht. Du hast deinen Job. Na und? Wie kann ich dir da helfen? Brauchst du ein Empfehlungsschreiben? ›Von allen Wachleuten, die mich bewacht haben, hat er mich am besten bewacht‹?«
Der Wachmann lächelte. »Du bist tatsächlich auf der richtigen Spur. Sieh mal, du hast recht. Ich hasse meinen Job. Das Problem ist, sie werden mich nicht befördern. Das haben sie mir klargemacht. Aber ich kriege woanders keinen Job, weil ich in einem Geheimgefängnis arbeite. Das kann ich ja wohl kaum in meinen Lebenslauf schreiben, oder? Wenn ich eine Bewerbung schreibe, wird es so aussehen, als wäre ich die letzten zehn Jahre arbeitslos gewesen.«
»Verstehe. Das könnte ein Problem sein«, entgegnete Todd.
»Genau. Aber Miller und Murphy richten eine neue Dienststelle ein. Ich gehe davon aus, dass die wahrscheinlich Hilfe brauchen werden. Und mich kennen die beiden bereits, warum also sollte ich nicht für sie arbeiten?«
»Hast du diesen Gedanken den beiden gegenüber mal erwähnt?«, fragte Todd.
»Ja.«
»Und nachdem du gerade mit mir sprichst, gehe ich davon aus, es lief nicht so gut.«
»Sie haben gesagt, sie würden darüber nachdenken.«
»Was normalerweise so viel heißt wie nein.«
»Ja«, stimmte der Wachmann zu. »Aber ich dachte mir, wenn du mir erzählst, was du ihnen verraten hast und was das Finanzministerium derartig begeistert hat, dann könnte ich damit vielleicht einen Job bekommen. Du weißt schon, sie mit meiner Tatkraft beeindrucken.«
»Oder sie erpressen, mit der Drohung, damit zu einer anderen Behörde zu gehen. Oder an die Presse.«
Der Wachmann zuckte mit den Schultern. »Klar, vielleicht, kommt drauf an, was es ist, und wie vernünftig sie sein wollen.«
»Schön und gut«, meinte Todd. »Aber, warum sollte ich dir helfen?«
Der Wachmann lächelte. »Tja, das ist es ja. Wenn du es nicht tust, heißt das, ich bleibe hier, hier bei dir. Nur dass du, wie du selber gesagt hast, ein Gefangener bist. Ich bin ein Wachmann. Du hast nicht viele Möglichkeiten, mir das Leben zu versauen. Aber ich habe viele Möglichkeiten, dir das Leben zu versauen.«
Ich saß sieben Jahre in Einzelhaft, dachte Todd. Was will er tun, das noch schlimmer wäre? Die Klimaanlage verstellen?
Todd äußerte das nicht laut. Stattdessen täuschte er einen ängstlichen Blick vor und sagte: »Ich habe schon verstanden.« Todd wusste, dass dies seine Chance war. Dieser Mann war mit der Absicht hergekommen, Todd zu seiner Marionette zu machen. Ihm war nicht klar, dass man die Schnüre auch von der anderen Seite ziehen konnte. In vielerlei Hinsicht saß der Puppenspieler am kürzeren Hebel. Während die Marionette tanzt und den Applaus erntet, macht der Puppenspieler die ganze Arbeit.
»Na gut, schön. Aber ich kann dir nicht sagen, was es ist. Du würdest es mir nicht glauben. Ich muss es dir irgendwie vorführen«, sagte Todd und hob den Zeigefinger. »Geh und schau, ob der Computer an ist.«
Der Wachmann ging um die Ecke, wo Todd ihn nicht mehr sehen konnte.
Todd wusste, am Ende des zehn Meter langen Ganges, hinter einem verschlossenen Tor, befanden sich ein Computer, eine Art Schreibtisch und ein Stuhl. Er lauschte, während der Wachmann dorthin lief. Einige Sekunden herrschte Stille, dann machte der Wachmann kehrt und kam zurück. Als er Todds Zelle erreichte, meldete er: »Ja, der ist an.«
Damit hatte Todd gerechnet. Seit sie die Datei gefunden hatten, hatten alle Angst davor, sie im Notfall nicht noch einmal aufspüren zu können. Murphy hatte jeden einzelnen ihrer Schritte dokumentiert, sodass er sie ohne Todds Hilfe erneut durchführen konnte. Dennoch ließ er für alle Fälle den Computer mit der geöffneten Datei laufen. Natürlich bestand so die Gefahr, dass jemand den Computer fand und an der Datei herumpfuschte. Aber der Rechner befand sich hinter einer Reihe verschlossener Tore, im Inneren eines streng geheimen Hochsicherheitsgefängnisses, isoliert in einem Gang, in der Nähe eines Gefangenen, den die Wachen mieden. Darum schätzten sie dieses Risiko als ziemlich gering ein.
»Gut«, sagte Todd. »Was ist auf dem Bildschirm zu sehen?«
Der Wachmann ging zurück zur Ecke, spähte den Gang hinunter und rief: »Ein Haufen Wörter und Zahlen.«
»Ja«, sagte Todd, »schon klar. Welche genau? Schau nach meinem Namen. Todd Douglas. Scrolle ein Stück nach oben, wenn nötig, aber verändere nichts.«
Miller und Murphy waren sehr interessiert daran gewesen zu sehen, welchen Einfluss der Dateieintrag einer Person auf dessen physische Erscheinung hat, waren aber zu feige gewesen, sich ihre eigenen Einträge anzusehen. Es war sehr viel sicherer, in Todds Eintrag herumzustochern. Nun zahlte sich ihre Feigheit, wie es bei Feigheit so oft der Fall war, ausgerechnet für die Person aus, der sie als letztes hätten helfen wollen.
Der Wachmann nickte und ging um die Ecke. Todd durchsuchte seine Zelle, so schnell er konnte, ohne Lärm zu machen, nach einem ganz bestimmten Buch. Es war das Lösungsbuch für ein Computer-Rollenspiel. Rasch hatte er es gefunden und schlug den Abschnitt auf, in dem sich die Karten der unterschiedlichen Level und Schauplätze des Spieles