und schloss mit dem Bemerken, er sei im ersten Augenblick dem Jungen nachgelaufen, nur weil er ihn habe fliehen sehen. Dann gab er der Hoffnung Ausdruck, man möge mit Oliver so gelinde verfahren, wie es das Gesetz nur irgend zuließe, falls es sich herausstellte, dass Oliver nicht selbst der Dieb sei, sondern nur mit Dieben in Verbindung stünde.
»Er hat sich bereits ernstlich beschädigt«, schloss der alte Herr, »und ich fürchte, glauben zu dürfen, dass ihm nicht sehr wohl zumute ist.«
»Das können Sie freilich glauben«, rief Mr. Fang grinsend. »Hallo, lass jetzt den Firlefanz, Bursche, es nützt dir hier nichts. Wie heißt du?«
Oliver wollte antworten, aber die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er war leichenblass, und alles drehte sich um ihn.
»Wie heißt du, Schuft, erbärmlicher?« fragte Mr. Fang. »Polizeidiener, wie heißt der Bursche?«
Der Angeredete, ein dicker alter Mann mit einer gestreiften Weste, beugte sich über Oliver und wiederholte die Frage. Da er aber merkte, dass der arme Junge vor Entsetzen die Frage kaum verstand, und er fürchtete, der Kommissär würde nur umso wütender werden, wenn er nicht bald eine Antwort bekäme, erging er sich in allerlei Mutmaßungen.
»Er sagt, er heiße Tom White, Euer Gnaden«, sagte er endlich.
»Er kann wohl nicht deutlich genug sprechen, dass man’s hören kann, was?« rief Mr. Fang. »Also gut, wo wohnt er?«
»Wo er gerade kann, Euer Gnaden«, antwortete der Diener, trotzdem Oliver kein Wort gesprochen hatte.
»Hat er Eltern?«
»Er sagt, sie wären gestorben, wie er noch klein war, Euer Gnaden«, antwortete der Mann mit der gestreiften Weste, indem er sich auch diese Worte wieder erfand.
Als das Verhör einen Moment stockte, hob Oliver mit flehendem Blick den Kopf und bat matt um einen Schluck Wasser.
»Unsinn«, rief Mr. Fang. »Dass du dich nicht etwa unterstehst, mir da Lügen vorzureden.«
»Ich glaube wirklich, er ist krank, Euer Gnaden«, wendete der Gerichtsdiener ein.
»Das weiß ich besser, schweigen Sie«, sagte Mr. Fang.
»Geben Sie acht auf ihn, Gerichtsdiener«, warnte der alte Herr, »er wird gleich umfallen.«
»Weg da, Gerichtsdiener«, schrie der Kommissär. »Soll der Bursche nur umfallen, wenn’s ihm Spaß macht.«
Oliver jedoch machte von dieser freundlichen Erlaubnis wirklich Gebrauch und fiel sofort ohnmächtig zu Boden. Die in der Amtsstube befindlichen Unterbeamten sahen einander an, aber keiner wagte die Hand zu rühren.
»Ich habs gleich gesehen, dass er sich verstellt«, triumphierte der Kommissär, als ob er jetzt einen unbestreitbaren Beweis in der Hand hätte. »Lasst ihn nur liegen, er wirds schon satt kriegen.«
»Wie gedenken Sie in diesem Fall zu verfahren?« fragte der Schreiber mit leiser Stimme.
»Summarisch, ganz summarisch«, entgegnete der Kommissär. »Drei Monate Zwangsarbeit. Hinaus mit ihm.«
Die Türe wurde geöffnet, und man schickte sich bereits an, den bewusstlosen Oliver in seine Zelle zu tragen, als ein ältlicher Herr von anständigem, wenn auch ärmlichem Äußern in einem abgenützten schwarzen Anzug hastig in die Polizeistube stürzte und zum Pult des Kommissärs eilte.
»Warten Sie, bitte, warten Sie, führen Sie ihn nicht ab, um Gottes willen, warten Sie einen Augenblick«, rief der neuangekommene Herr vor Eile noch ganz atemlos.
Der Kommissär war nicht wenig empört, schon wieder einen ungebetenen Gast und noch dazu in so unehrerbietiger Weise eintreten zu sehen.
»Was soll das heißen?« rief er. »Werft den Kerl hinaus. Ich will hier meine Ruhe haben.«
»Ich will aber sprechen«, rief der Mann, »und lasse mich nicht abweisen. Ich habe alles mitangesehen. Ich bin der Besitzer des Buchladens. Ich bitte mich zu vereidigen. Ich muss hier sprechen. Mr. Fang, Sie müssen mich anhören. Sie dürfen mir die Aussage nicht verweigern, Mr. Fang.«
Der Buchhändler war vollständig im Recht, und sein Begehren konnte nicht abgeschlagen werden. Die Sache fing an, zu ernsthaft zu scheinen, um einfach übers Knie gebrochen zu werden.
»Also vereidigen Sie den Menschen«, brummte der Kommissär ungnädig. »Nun, was haben Sie vorzubringen?«
»Folgendes«, begann der Buchhändler. »Also ich sah drei Jungen, zwei andere und diesen hier, und sie schlenderten meinem Laden gegenüber auf der anderen Seite der Straße entlang, während dieser Gentleman hier ein Buch durchblätterte. Die beiden anderen Burschen haben den Diebstahl begangen. Ich habe gesehen, wie sie ihn ausführten, und habe auch bemerkt, dass dieser Junge hier darüber ganz entsetzt war.«
»Warum sind Sie nicht früher hergekommen?« fragte der Kommissär nach einer Pause.
»Ich hatte niemand, der inzwischen auf meinen Laden aufgepasst hätte«, entschuldigte sich der Buchhändler. »Alle Leute sind doch wie besessen diesem Jungen hier nachgelaufen, um ihn einzufangen. Erst vor fünf Minuten konnt ich jemand auftreiben, und den ganzen Weg bis hierher bin ich in einemfort gelaufen.«
»Dieser Herr hier las in einem Buch, nicht wahr?« fragte Mr. Fang nach einer zweiten Pause.
»Ja«, erwiderte der Buchhändler, »in demselben, das er jetzt hier in der Hand hat.«
»Was? In dem Buch?« fragte der Kommissär. »Ist das Buch schon bezahlt?«
»Nein, noch nicht«, antwortete der Buchhändler lächelnd.
»O Gott, das hab ich ja ganz und gar vergessen«, rief der alte Herr harmlos.
»Ein netter Mensch, der einen armen Jungen des Diebstahls anklagt«, sagte Mr. Fang und bemühte sich, höhnisch ein menschenfreundliches Gesicht aufzusetzen. »Ich neige der Ansicht zu, Sir, Sie haben unter höchst verdächtigen Umständen sich dieses Buch angeeignet. Seien Sie froh, dass der Eigentümer desselben nicht gegen Sie Anklage erhebt. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, mein Lieber, sonst kanns Ihnen das nächste Mal schlimm gehen. Der Junge ist freigesprochen. Gerichtsdiener, räumen Sie die Kanzlei.«
»Ja zum Teufel noch mal«, rief der alte Herr, dessen lang unterdrückter Zorn jetzt hervorbrach. »Donner und Doria, ich will Ihnen -«
»Räumen Sie die Kanzlei«, rief der Kommissär. »Gerichtsdiener, die Kanzlei geräumt.«
Ehe noch Mr. Brownlow etwas sagen konnte, wurde er, das Buch