Markus Vath

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Male am Tag lügen. Oft sind das keine großen Lügen. Manchmal lügt man aus Höflichkeit, aus Takt. Vielleicht hat die Lüge sogar ihre Berechtigung. Man will den anderen nicht verletzen. Aber es gibt auch niedere Motive: den eigenen Vorteil, Intrigen, Hass. Die Alltäglichkeit der Lüge hat sich sogar im Sprachgebrauch festgebrannt. Politiker bezichtigen sich gegenseitig nicht der »Lüge«, sondern der »Unwahrheit«. Folgt man der Regel des Modells, darf man nie lügen. Unwahrscheinlich schwer, doch es gibt ja noch die beiden anderen Siebe. Will sagen: Bevor ich lüge, habe ich nicht nur die Option, die manchmal schwere Wahrheit zu sagen, sondern – überhaupt nichts.

      

Das zweite Sieb: Hat es Güte? Wir sind über das erste Sieb hinaus. Das, was wir sagen wollen, stimmt. Jedenfalls in unserer Weltsicht. Wirkt es sich aber auch positiv aus, wenn ich es sage? Ist es konstruktiv, im besten Sinne gehaltvoll? Ist es von Respekt und Liebe dem anderen gegenüber getragen? Oder dient meine Aussage nur dazu, mich auf Kosten meines Gesprächspartners besser zu fühlen, ihn zu erniedrigen, während ich mich erhöhe? Das zweite Sieb fordert, meine Haltung gegenüber anderen Menschen zu erforschen und ehrlich zu mir selbst zu sein. Wenn ich mit meinen Aussagen Zwietracht säe, ist es nach dem Modell besser, zu schweigen – auch wenn sie wahr sind.

      

Das dritte Sieb: Ist es notwendig? Hier bedeutet »notwendig« buchstäblich »die Not wenden«. Ist meine Aussage sinnvoll für eine Verbesserung der Lage? Hilft sie dem anderen weiter? Schafft sie eine tragfähigere, positivere Beziehung zwischen dem anderen und mir? Man beachte, dass das, was ich sagen will, bereits durch das Sieb der Güte gefallen ist. Einen kritischen Punkt haben Sie bereits gemeistert. Jetzt kommt es auf Ihre Beurteilung an. Auch wenn ich jemanden respektiere, ja liebe, und ich ihm auch etwas Wahres sagen will: Kann er das im Moment brauchen? Oder stülpe ich ihm vielleicht meine Weltsicht über? Dies muss man entscheiden.

      Selbstverständlich beschreibt das Modell einen Idealzustand – von dem wir in aller Regel weit entfernt sind. Viele Menschen haben heute das Gefühl, weniger zu sagen, obwohl sie mehr kommunizieren. Auch das ist eine Folge der gefühlt gesunkenen Informationsqualität. Wichtig ist der Gedanke der Informations- und Kommunikationsqualität vor allem im Bereich der Arbeit. Dort reden und verhalten wir uns zielgerichtet. Wir wollen Aufgaben lösen, zusammenarbeiten etc.

       Wir müssen fragen: Welche Qualität hat Information?

      Auch wenn wir im Privatbereich durchaus »schlechte« oder »gehaltlose« Informationen konsumieren können und daher die Frage nach einer entsprechenden Qualität unnötig oder theoretisch erscheint, spielt Informationsqualität im Berufsleben eine große Rolle.

      Die Frage lautet: Kann man Kommunikationsqualität überhaupt messen? Ist Kommunikation nicht zu vielfältig, zu individuell? Eine berechtigte Frage, zu der das Fraunhofer-Institut für Informationsund Datenverarbeitung IITB in Karlsruhe ein interessantes Papier veröffentlicht hat. Unter dem Titel »Messbarkeit der Kommunikationsqualität – Ein neues Paradigma?« entwirft Professor Hartwig Steusloff Kriterien für das Messen von »Qualitätskommunikation«.23 So sind beispielsweise qualitative informationsgebende Mitteilungen Aussagen, »bei denen der jeweilige Sprecher eindeutig kennzeichnet, dass es sich bei seiner Mitteilung um seine individuelle Meinung, seinen Wunsch, seine Gefühle, seine Einstellung etc. handelt. […] Individualisierte informationsgebende Mitteilungen hoher Qualität sollen begründet sein. Der Mitteilende fördert durch Hintergrundinformation das Verstehen seiner Mitteilung, erhöht die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz seiner Mitteilung und minimiert Missverständnisse auf Grund abweichender Interpretationen durch den / die Zuhörenden. […] Individualisierte informationsgebende Mitteilungen hoher Qualität sollen präzise Zeitangaben, eindeutige Mengenangaben und gegebenenfalls die Angabe von Fremdquellen enthalten.«24 Auch wenn das Papier noch sehr in Theorie und Abstraktion wurzelt, macht es einen Versuch, an Kommunikation objektivierbare Maßstäbe anzulegen. In fünfzehn Jahren wird es vielleicht Textprogramme geben, die E-Mails oder Artikel auf genau diese Art filtern, Informationen zusammenfassen, andere weglassen und so dem Leser entsprechend Zeit sparen.

      Wo Steusloff sich der Qualität von Kommunikation widmet, hat der Kommunikationswissenschaftler Rudolf Stöber die sogenannte »Redundanz«, die Überflüssigkeit im Blick.25

      Ein Ziel von Kommunikation ist es, Redundanz zu reduzieren. Irgendwann sollen die Kommunikationspartner gleiche Informationen haben, auf dem gleichen Wissensstand sein. Das ist oft genug nicht der Fall, wie man beispielsweise aus der Meeting-Praxis oder aus Projektverläufen weiß. Stöber schreibt dazu: »Redundante Mitteilungen werden […] dysfunktional, wenn sie als Geschwätzigkeit die Kommunikation aufblähen, erschweren und den mit dem Geschwätz Traktierten dazu bewegen, die langweilig werdende Kommunikation ganz abzubrechen. […] Die Redundanz (3. Ordnung) liefert keinen Neuigkeitswert, beseitigt kein Unwissen und stillt keine Neugier; sie ist daher keine Information im kommunikationswissenschaftlichen Sinn.«26

      Dennoch hat für Stöber auch die Redundanz ihren – begrenzten – Platz in der Kommunikation: »Redundanzen sind mithin nicht überflüssig, sie erfüllen einen wichtigen Zweck: Aktualisierungen, symbolische Kommunikationen, Rituale, Habitualisierung der Nutzung, Routinen der Mediengestaltung, Erinnerung(en) und vieles andere wäre ohne Redundanz, ohne Wiederholungen zur Überbrückung der Zeit, undenkbar. […] Information und Redundanz bedingen sich wechselseitig und ermöglichen die Kommunikation.«27 Was lernen wir daraus im Hinblick auf die Informationsflut? Ein Mechanismus der professionellen Kommunikation in unserem Arbeitsleben sollte darauf achten, qualitativ hochwertige Informationen zu produzieren – und ebenso hochwertige Informationen an uns heranzulassen.

      Kommuniziert man im Job, sollten wir Redundanzen reduzieren, schnell zum Punkt kommen und unser Wissen abgleichen. Denn Informationen sind – wie Zeit – kostbar.

       Weg mit dem Überflüssigen – konzentrieren wir uns auf das Wesentliche

      Was passiert, wenn wir Dingen wie Redundanz und Qualität in der Kommunikation keine Beachtung schenken? Wir verlieren das Gefühl dafür, was wichtig ist. Und wenn wir nicht mehr entscheiden können, was relevant ist, können wir unser Verhalten nicht steuern. Überforderung ist das Ergebnis. Deswegen ist es wichtig, diese fatale Kettenreaktion schon am Anfang zu unterbrechen. Wir müssen wachsam bleiben, unseren Blick schärfen, damit wir stets die Informationen um uns herum bewerten können.

      So gibt es beispielsweise immer noch Menschen, die eine innere Verpflichtung fühlen, eine Zeitung von vorne bis hinten zu lesen. Oder die ein Buch nicht einfach weglegen können, obwohl sie längst das Interesse daran verloren haben. Denn ein Buch »liest man fertig«. Eine solche Haltung ist vielleicht nobel, vom Informationsmanagement her jedoch eine Katastrophe. Das kann man sich vielleicht noch im Urlaub leisten, aber nicht mehr im Arbeitsleben mit seiner Informationsdichte und dem Arbeitstrichter, durch den ständig Anforderungen nachrutschen. Ein guter Informationsmanager ist jemand, der gekonnt auf den Wellen der Informationen surft und von Zeit zu Zeit gewollt in einzelne Wellen hinabtaucht – nachdem er sich bewusst dafür entschieden hat. Diese Wellen werden an ihn durch die unterschiedlichsten Kanäle herangetragen: E-Mails, Telefonate, Dokumente etc. Das Meer der Informationen umgibt uns ständig. Deshalb müssen wir »Wellenbrecher« errichten, damit Information und Kommunikation eine Freude bleibt – und keine Last, unter der man zusammenbricht.

       Die neue Unsicherheit: Vielfältige Arbeitsformen und -biografien

      Menschen müssen arbeiten. Mit Arbeit verdient man Geld, und mit Geld kann man sich und seine Familie (hoffentlich) ernähren. Egal, ob Einzel- oder Doppelverdiener, Voll- oder Teilzeit: Arbeit ist immer noch die beste, ja einzige Sicherheit gegen Armut.

      Menschen wollen auch arbeiten. Arbeit gibt ihrem Leben Sinn, Struktur, soziale Kontakte. Viele Menschen erleben Arbeit als strukturierend, man »weiß, wofür man morgens aufsteht«. Im besten Fall ist Arbeit daher bereichernd, eine wichtige Facette im Leben des Einzelnen.

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