Menschen zu übertragen. Ein Versuch, der scheitern muss. Unser Gehirn ist für serielle, nicht parallele Verarbeitung gedacht – jedenfalls dann, wenn wir von geistigen Aufgaben sprechen, die Konzentration erfordern, von der Benutzung höherer Hirnfunktionen wie Planung oder Kreativität.
Doch wir leiden nicht nur im kognitiven Bereich, in unserer Konzentration. Auch unser Gefühl, unser Wohlbefinden wird beeinträchtigt. Immer mehr Menschen leiden daher an einem subjektiven Gefühl der Überforderung.
Im Arbeitsleben baut sich das wie eine Welle auf. Immer mehr Informationen branden heran, überlagern und verstärken sich, bis sich die Riesenwelle Information tsunamigleich an der Küste unserer begrenzten Fähigkeiten bricht. Und das passiert nicht nur einmal, sondern eben immer öfter. Nicht wenige Menschen glauben, nur sie hätten ein Problem mit der Informationsflut, wären vielleicht weniger leistungsfähig oder von ihrer Persönlichkeit her anfällig. Doch das ist ein Irrtum. Unsere Umwelt produziert ständig Informationswellen und ab und zu auch eine Tsunami-Welle, unabhängig davon, wie unsere Persönlichkeit aussieht. Deswegen müssen wir uns kollektiv von der Vorstellung verabschieden, wir könnten diese Informationswellen abstellen oder das Meer, aus dem sie entspringen, trockenlegen. Das Meer der Information wird von nun an immer voll sein. Mit diesem Gefühl des ständigen Heranwogens der Wellen bzw. der Information müssen wir leben lernen. Wir können natürlich Dämme einziehen oder unser Haus auf Stelzen bauen. Aber an der grundlegenden Tatsache, dass potenziell immer mehr Informationen auf uns einströmen, als wir verarbeiten können, ändert das nichts. Die Informationsflut wird als Nebeneffekt einer digitalisierten, vernetzten Welt auf Jahre, wahrscheinlicher noch auf Jahrzehnte hinaus unser ständiger Begleiter sein.
Das zeigt sich besonders im Sektor der Wissensarbeit. Dort werden Aufgaben immer virtueller und kommunikationsintensiver. Da in einer technologischen Gesellschaft wie der unseren immer mehr Spezialisten agieren, die auf ihrem Gebiet Experten sind, aber auch die Grenzen ihrer Kompetenz kennen (sollten), brauchen Mehrwerte und kreative Fortschritte meist die intensive Auseinandersetzung mit anderen Spezialisten. Darin erkennt auch die Zukunftsforscherin Lynda Gratton einen entscheidenden Trend: Ihrer Einschätzung nach müssten arbeitende Menschen in der Zukunft »eingehend darüber nachdenken, welche Berufslaufbahnen mit welchen Wissensund Fachgebieten im Kommen sind. Ihre Herausforderung besteht darin, sich zu spezialisieren und sich mit der Zeit auch auf anderen Gebieten und über neue Netzwerke durch Wechsel und Wandel persönlich weiterzuentwickeln und ein meisterhaftes Können zu erwerben«.17 Mit anderen Worten: Der Generalist gehört der Vergangenheit an – jedenfalls bei den Wissensarbeitern. Gefragt ist der kommunikationsstarke und gut vernetzte Spezialist.
Wir erinnern uns: Innerhalb der Dritten Transformation haben wir es mit dem Übergang vom Denken des Einzelnen zum vernetzten Denken (»networked mind») zu tun. Diese Erweiterung unseres Arbeits- und Kommunikationsfeldes macht eine neue Palette von sozialen und technischen Fertigkeiten nötig, die bis vor ein paar Jahren, geschweige denn Jahrzehnten so noch gar nicht absehbar waren. Vieles in der Art, wie wir kommunizieren, uns informieren oder wie wir arbeiten, hat sich verändert. Die Phase des Analogen, der Bakelit-Telefone und der Zettelkästen wurde zunächst von der Phase des Digitalen abgelöst. Diese Phase hat unsere Arbeitswelt – aber nicht nur diese – mittlerweile bis in den letzten Winkel geprägt. Vom »Web 1.0«, den statischen Internetauftritten, über das »Web 2.0«, das Verwenden interaktiver Elemente bis zur kleinteiligen Produktion eigenen Inhalts (»content») durch die breite Masse der Internet-Nutzer hat sich das Digitale einen immer breiteren Weg in unsere Kommunikations- und Informationsstrukturen gefräst. Dass dabei auch Dinge umstürzen und einige Geschäftsmodelle in ihrer alten Form nicht mehr überlebensfähig bleiben, zeigen das Zeitungssterben und die Krise des Print-Journalismus während der letzten Jahre (die unter anderem die Financial Times Deutschland, die Frankfurter Rundschau und so manche komplette Zeitungsredaktion in Deutschland dahinraffte).
Die nächste Stufe der digitalen Vernetzung stellt das Arbeiten in der Cloud, die gemeinschaftliche Nutzung von Dokumenten, Terminkalendern etc., dar. Obwohl es solche Lösungen bislang innerhalb von Unternehmen gab, als Groupware oder Intranet, bewegen wir uns nun auf Lösungen in viel größerem Maßstab zu. Arbeiten in der Cloud, in der »Wolke« stellt beispielsweise an die Sicherheit der digitalen Infrastruktur in Unternehmen, aber auch auf unseren Laptops und Tablets daheim ganz neue Anforderungen.
Arbeiten in der »Wolke«: den eigenen Gedanken entfremdet?
Man darf gespannt sein, wie sich eine weitere »Auslagerung unseres Gehirns«, wie es ja bereits bei den Smartphones geschieht, auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirkt: »Das Denken wandert nach außen, heißt: Die innere Stimme wird eine äußere, und zwar in einem Umfang, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Schon heute erleben viele Menschen, die im Netz kommentieren, bloggen, in sozialen Netzwerken kommunizieren […], eine sonderbare Abkopplung von sich selbst. Aufmerksamkeit, Zeit und Konzentration reichen nicht aus, die eigenen Äußerungen gleichermaßen innerlich zu verarbeiten.«18
Werden wir also dümmer, wie es manche Publizisten und Psychologen prophezeien? Oder kreativer, weil wir uns auf ganz neue Dinge konzentrieren können und den Kopf freihaben? Eindeutig lässt sich das heute nicht beantworten, eben weil die technologische Bewegung ins Digitale und noch einmal in die Cloud so rasend schnell abläuft. Doch solange wir nichts Genaueres wissen, gibt es meiner Meinung nach keinen Grund, allzu pessimistisch zu sein. Immerhin hat sich die Welt im Großen und Ganzen doch erheblich in Richtung Fortschritt entwickelt. Wir leben trotz allem, trotz Kriegen, Hunger und Privatfernsehen in der modernsten und besten aller möglichen Welten und Zeiten.
Wie sehr die digitale Vernetzung im lokalen und globalen Maßstab bereits als Tatsache ins Bewusstsein nicht nur der Wirtschaft gedrungen ist, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Hays.19 Darin wurden knapp 700 Führungskräfte im deutschsprachigen Raum befragt. Unter anderem stellten die Autoren der Studie fest, dass 79 Prozent der Befragten eine steigende Komplexität der Arbeit registrieren, 77 Prozent eine zunehmende Beschleunigung von Abläufen, 52 Prozent eine erhöhte Mobilisierung der Arbeit und 47 Prozent der Unternehmen mit der globalen Vernetzungsdichte kämpfen. Die Verdichtung durch Kommunikation, Dokumentationswesen und Arbeitslast sorgt nicht nur für eine anspruchsvollere Arbeitsumgebung, sondern in der Folge auch dafür, dass die Forderungen an die Fähigkeiten von Mitarbeitern und Führungskräften entsprechend steigen. Zu diesem Fähigkeiten-Set werden in der Zukunft auch Medien-, Kommunikations- und Netzwerkkompetenz in vorher noch nicht dagewesener Größe gehören. Diese Fähigkeiten werden heute noch als »weiche« Fähigkeiten, als social skills belächelt. In der Zukunft einer explodierenden Kommunikation und vernetzten Arbeitsumgebungen können diese Fähigkeiten – selbstverständlich neben einer profunden Sachkenntnis – über Wohl und Wehe eines Projekts, einer Abteilung, gar eines ganzen Unternehmens entscheiden.
Sozialer Kompetenz plus Fachkenntnis gehört die Zukunft
Die Unternehmen spüren das bereits, auch wenn man es sich noch nicht allzu offen eingesteht. Dennoch grassiert die Furcht vor unbesetzten Stellen: Hays zufolge befürchten immerhin 60 Prozent der Befragten für ihr Unternehmen einen Fachkräftemangel und verschärften Wettbewerb um die besten Köpfe. 50 Prozent glauben, dass sie Engpässe beim Heranziehen eigener Nachwuchskräfte haben werden. Diese Zahlen sind insofern interessant, als das Thema hier nicht durch den redaktionellen Filter der Presse gelaufen ist, sondern Hays die aktuelle Stimmungslage direkt bei den »Entscheidern« aufgenommen hat. Die mediale Aufmerksamkeit indessen hat Vor- und Nachteile: Oft bringt ihr Fokus auch Themen auf die Tagesordnung, die sonst unter den Tisch fallen würden. Andererseits kann ein solcher Fokus sich auch zu einem Hype entwickeln, der jedes Maß übersteigt und ein Missverhältnis schafft zwischen der Wahrnehmung einer Sache und deren wirklicher Bedeutung. Mit anderen Worten: Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Natürlich ist auch die Agenda eines Unternehmenslenkers aufmerksamkeitsgesteuert. Auch er wird einer Unternehmensberatung wie Hays nicht völlig objektive Antworten liefern können. Doch immerhin bleibt der verzerrende Presse-Effekt außen vor.
Wagt man mit den Ergebnissen der Studie einen Blick in die Zukunft, stellt man fest, dass eine globalisierte Kompetenzverteilung – vor allem bei Konzernen, Non-Profit-Unternehmen und größeren Nichtregierungsorganisationen