in Empfang nehmen. Er lehrte sie allmählich die Namen und den Umfang seiner Weingüter und seiner Meiereien kennen. Im dritten Jahre hatte er sie so gut an seine geizigen Manipulationen gewöhnt, hatte sie ihr selbst so ganz und gar zur Gewohnheit gemacht, daß er ihr ohne Besorgnis die Schlüssel der Vorratskammern anvertraute und sie im Hause als Herrin schalten ließ.
Fünf Jahre gingen hin, ohne daß sich in dem einförmigen Dasein Eugénies und ihres Vaters irgend etwas ereignete. Dieselben Handlungen geschahen zur selben Zeit mit der Regelmäßigkeit der alten Uhr im Haus.
Die tiefe Melancholie von Mademoiselle Grandet war für niemanden ein Geheimnis; trotzdem aber ein jeder die Ursache erriet, so bestätigte doch niemals ein Wort aus ihrem Munde die Vermutungen, die alle Kreise Saumurs sich über den Herzenszustand der reichen Erbin gebildet hatten.
Ihre einzige Gesellschaft bestand aus den drei Cruchots und einigen ihrer Freunde, die sie allmählich im Hause eingeführt hatten. Sie hatten ihr das Whistspiel beigebracht und kamen alle Abende zu diesem Spiel zusammen.
Im Jahre 1827 sah ihr Vater, den allerlei Altersgebrechen befielen, sich genötigt, sie in die Geheimnisse seiner Liegenschaften einzuweihen, und er riet ihr, sich in schwierigen Fällen an Cruchot, den Notar, zu wenden, von dessen Redlichkeit er überzeugt war. Dann, gegen Ende dieses Jahres, wurde der Biedermann endlich, im Alter von zweiundachtzig Jahren, von einer Paralyse ergriffen, die schnelle Fortschritte machte. Monsieur Bergerin gab ihn verloren.
Bei dem Gedanken, daß sie bald allein in der Welt stehen würde, schloß sich Eugénie gleichsam inniger ihrem Vater an. Ihr, wie allen liebenden Frauen, war die Liebe alles, und Charles war nicht da. Wahrhaftig groß zeigte sie sich in der Pflege ihres alten Vaters, dessen Geisteskräfte nachzulassen begannen, dessen Geiz aber instinktiv derselbe blieb.
So unterschied sich der Tod dieses Mannes gar wenig von seinem Leben. Seit dem frühen Morgen ließ er sich zwischen dem Kaminplatz seines Zimmers und der Tür zu seinem Geheimkabinett, das sicher voller Gold steckte, hin und her fahren. Da saß er dann, ohne sich zu rühren; aber voll Spannung und Ängstlichkeit blickte er abwechselnd auf alle, die zu ihm kamen, und auf die eisenbeschlagene Tür. Über das geringste Geräusch, das ihm zu Ohren kam, verlangte er Aufschluß, und zum großen Erstaunen des Notars vernahm er sogar das Bellen des Hofhundes. Am Tag und zur Stunde, da es den Pachtzins in Empfang zu nehmen, mit den Winzern abzurechnen, Quittungen auszustellen galt, erwachte er aus seinem augenscheinlichen Stumpfsinn. Er lenkte dann selber seinen Rollstuhl, bis er der Tür zu seinem Geheimkabinett gegenüberstand. Seine Tochter mußte sie öffnen, und er wachte darüber, daß sie eigenhändig die Geldsäcke aufeinanderstapelte, daß sie die Tür sorgfältig abschloß. Sobald sie ihm den kostbaren Schlüssel wieder abgeliefert hatte, den er in seine Westentasche versenkte und von Zeit zu Zeit betastete, wurde er wieder ruhig und ließ sich an den gewohnten Platz zurückschieben. Sein alter Freund, der Notar, der wohl voraussah, daß die reiche Erbin, falls Charles Grandet nicht wiederkam, notgedrungen seinen Neffen, den Präsidenten, heiraten werde, verdoppelte seine Fürsorge und Aufmerksamkeiten: er kam alle Tage, um sich den Wünschen Grandets zur Verfügung zu stellen, begab sich auf seinen Befehl nach Froidfond, auf die Felder, die Wiesen, die Weingüter, verkaufte die Ernten und machte alles zu Gold und Silber, das heimlich den Säcken einverleibt wurde, die im Kabinett aufgestapelt waren.
Dann kamen die Tage der Agonie, da die eiserne Gesundheit des Geizhalses der Zerstörung zur Beute fiel. Bald wollte er, zur Seite des Kamins beim Feuer sitzen bleiben, bald wieder vor der Tür seines Kabinetts sitzen. Er zerrte alle Decken an sich, die man über ihn legte, rollte sie zusammen und sagte zu Nanon: ›Hier, schließ weg, schließe alles weg, damit man mich nicht bestiehlt.‹
Wenn es ihm möglich war, die Augen zu öffnen, in die seine ganze Lebenskraft sich konzentriert zu haben schien, so heftete er sie sofort auf die Tür des Kabinetts, darin seine Schätze ruhten und sagte zu seiner Tochter: ›Sind sie da? Sind sie da?‹ mit einer Stimme, in der eine namenlose Angst zitterte.
›Ja, mein Vater.‹
›Hüte das Gold! . . . Bring mir etwas Gold her!‹
Eugénie breitete auf einem Tisch einen Haufen Goldstücke aus, und da saß er nun stundenlang, den Blick auf das Gold geheftet, wie ein Kind, wenn es zu sehen beginnt, mit blödem Ausdruck irgendeinen Gegenstand anstarrt; und ein gedankenloses Lächeln, wie bei einem Kinde, spielte um seine Lippen. ›Das stärkt mich!‹ sagte er dann mit glückseligem Ausdruck.
Als der Pfarrer kam, um ihm die letzte Ölung zu erteilen, belebten sich seine schon stundenlang fast blinden Augen beim Anblick des Kreuzes, der Kerzen, des silbernen Weinkessels, den er starr anstierte, und sein Nasengewächs wackelte zum letztenmal. Als der Priester das vergoldete Kruzifix an seine Lippen brachte, damit er das Bild Christi küsse, machte er eine wütende Anstrengung, um es an sich zu reißen, und das kostete ihm das Leben. Er rief Eugénie, die er nicht gewahrte, obgleich sie vor ihm kniete und seine schon erkaltete Hand mit ihren Tränen badete.
»Mein Vater, segnen Sie mich«, bat sie.
»Hab acht auf alles! Dort drüben wirst du mir Rechenschaft ablegen müssen«, sagte er und bewies mit diesem letzten Ausspruch, daß das Christentum auch die Religion der Geizhalse ist. –
Eugénie Grandet sah sich also allein auf der Welt und in diesem Hause; sie hatte nun außer Nanon niemanden mehr, dem sie einen Blick zuwerfen konnte mit dem Bewußtsein, verstanden und begriffen zu werden – Nanon, das einzige Wesen, das sie um ihrer selbst willen liebte und mit der sie über ihre Kümmernisse reden konnte. Die Große Nanon war für Eugénie so etwas wie die Vorsehung; sie war eigentlich nicht mehr Magd, sondern Freundin.
Nach dem Tode ihres Vaters erfuhr Eugénie durch Notar Cruchot, daß sie dreihunderttausend Francs Jahresrente aus ihrem Grundbesitz im Kreise Saumur besaß; ferner sechs Millionen, angelegt zu drei Prozent in Sechzigfrancspapieren, die jetzt auf siebenundsiebzig Francs standen; ferner zwei Millionen in Gold und hunderttausend Francs in Talern, ungerechnet der Außenstände. Man veranschlagte ihren Gesamtbesitz auf siebzehn Millionen.
›Wo bleibt nur mein Cousin?‹ fragte sie sich.
Am Tage, da Monsieur Cruchot seiner Klientin eine klare und sachliche Aufstellung der Erbschaft überreichte, blieb Eugénie allein mit Nanon im großen Saal zur Seite des Kamins – in diesem Saal; wo alles Erinnerungen weckte, angefangen vom erhöhten Fenstersitz ihrer Mutter bis herab zum Weinglas, aus dem ihr Cousin getrunken hatte.
»Nanon, wir sind allein!«
»Ja, Mademoiselle; und wenn ich wüßte, wo er ist, der hübsche liebe Monsieur, ich würde hingehen und ihn wieder holen.«
»Das Meer liegt zwischen uns«, erwiderte Eugénie.
Während die arme Erbin also in Gemeinschaft mit ihrer alten Magd klagend in diesem kalten, düstern Haus saß, das ihr die Welt bedeutete, war von Nantes bis Orleans von nichts anderem die Rede als von den siebzehn Millionen der Mademoiselle Grandet.
Eine ihrer ersten selbständigen Handlungen war, der alten Nanon eine lebenslängliche Rente von zwölfhundert Francs auszusetzen; da sie bereits sechshundert Francs besaß, so wurde sie nun eine reiche Partie. In weniger als einem Monat trat sie unter dem Schutze des Antoine Cornoiller, der zum Oberaufseher der Ländereien von Mademoiselle Grandet ernannt wurde, in den Stand der Ehe. Madame Cornoiller hatte vor ihren Altersgenossinnen ungeheure Vorzüge. Obgleich sie neunundfünfzig Jahre zählte, sah sie nicht älter aus als vierzig. Ihre derben Züge hatten den Stürmen der Zeit widerstanden. Dank ihres klösterlichen Lebens konnte ihre eiserne Gesundheit, ihre blühende Farbe dem Greisentum spotten. Vielleicht hatte sie nie so gut ausgesehen als an ihrem Hochzeitstage. Sie genoß die Segnungen ihrer Häßlichkeit und erschien groß, dick und stark; auf ihrem unverwüstlichen Gesicht lag ein Ausdruck des Glücks, der manchen Mann das Schicksal Cornoillers beneiden ließ.
»Sie hat eine frische Farbe«, sagte der Tuchhändler. »Sie ist fähig und kriegt noch Kinder«, sagte der Gewürzkrämer; »sie hat sich konserviert, als hätte sie – mit Respekt zu vermelden – in Lauge gelegen.« – »Sie ist reich, und der Bursche Cornoiller macht einen guten Fang«, sagte ein anderer Nachbar.
Als Nanon aus dem alten Hause trat, sah sie, die von der ganzen Nachbarschaft geliebt