Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman


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einen unterdrückten Schrei aus. An dem Lastwagen vorbei brauste eine Luxuslimousine. Viel zu schnell, viel zu unvorsichtig fuhr der Fahrer.

      Aber wer hatte jetzt noch Zeit, nach Schuld, Vorfahrtsregeln oder ähnlichem zu fragen? Jonas trat das Bremspedal durch – doch es war zu spät.

      Blech krachte ineinander. Glas splitterte. Zwei schwere Wagen waren in wenigen Augenblicken fest ineinander verkeilt.

      Und noch während Jonas laut fluchte, erstickte neben ihm Susannes Entsetzensschrei…

      *

      »Also wirklich, es scheint fast so, als hätten sich alle Schwangeren der Stadt abgesprochen, gerade heute entbinden zu wollen.« Dr. Halberstett, der Gynäkologe der Kurfürsten-Klinik, seufzte unterdrückt auf. »Eben waren es Zwillinge, jetzt warte ich auf Frau Thorberg, die mit Sicherheit per Kaiserschnitt entbinden muß, denn das Baby dreht sich einfach nicht in Geburtslage.«

      Adrian Winter zuckte mit den Schultern. »Ja, so ist das nun mal… wir können es uns nicht aussuchen. Und die Patienten wollen nun mal optimal betreut werden, da heißt es eben Überstunden machen.«

      »Witzbold!« Christian Halberstett gab dem jüngeren Freund und Kollegen einen kurzen Rippenstoß. »Weißt du überhaupt, daß ich schon länger als fünfzehn Stunden hier bin?«

      »Streber!« gab Adrian lachend zurück.

      Aber gleich darauf wurde er ernst, denn die angekündigte Patientin wurde von ihrem Mann gebracht, und schon ein Blick in ihr weißes, angespanntes und von heißer Angst erfülltes Gesicht genügte den beiden Medizinern, um zu erkennen, daß dies ein Notfall war. Frau Thorberg ging es sichtlich nicht gut.

      »Kommen Sie gleich mit«, befahl Christian Halberstett nach einer knappen Begrüßung. »Ich will Sie nochmals rasch untersuchen – und dann werden wir wohl einen Kaiserschnitt machen müssen.«

      »Aber ich wollte doch so gern die Geburt bei vollem Bewußtsein miterleben!« jammerte die junge Patientin.

      Der Gynäkologe schüttelte den Kopf. »Soweit ich es beurteilen kann, muß ich das Baby mit einer Operation holen. Und… dabei müssen Sie nun mal in Narkose gelegt werden.«

      Er sagte nicht, daß es auch eine Möglichkeit gab, die werdende Mutter nur so weit zu betäuben, daß sie den Geburtsvorgang doch miterleben konnte. Frau Thorberg war in schlechter Allgemeinverfassung, Dr. Halberstett befürchtete Komplikationen und wollte das Operationsrisiko so gering wie möglich halten.

      Adrian sah dem Kollegen, der Schwangeren und deren Mann nach, die in Richtung Aufzug gingen und zur Gynäkologie fuhren. Es war sicher keine leichte Aufgabe, die jetzt auf Christian Halberstett zukam.

      Von draußen ertönte schon wieder die Sirene eines Unfallwagens, und Adrian stand auf, um sich um den Neuzugang zu kümmern.

      »Willst du nicht noch schnell einen Schluck Kaffee trinken?« erkundigte sich Oberschwester Walli. »Ich hab’ gerade frischen gemacht.«

      »Dank dir, vielleicht später. Eben hab’ ich mir Tee gemacht.«

      »Tee… igitt! Wahrscheinlich auch noch aus dem Beutelchen!« Walli schüttelte den Kopf. »Da sag mal einer, Männer könnten sich emanzipieren. Nicht mal zum Teekochen seid ihr zu gebrauchen!«

      Adrian lachte. »Na, wenn das alles ist, was du an mir auszusetzen hast…« Er legte den Arm um seine bewährte Mitarbeiterin. »Ich wollte dir auch mal Ruhe gönnen, darum hab’ ich zum Teebeutel gegriffen. Er war heiß, das genügte mir schon.«

      Walli kam nicht zu einer Antwort, denn schon erschienen zwei Sanitäter mit einer Trage.

      »Verkehrsunfall auf dem Ku’damm«, sagte der Ältere von den beiden knapp. »So ein Raser konnte mal wieder nicht am Zebrastreifen bremsen und hat die Frau hier angefahren. Hochschwanger. Ende des achten Monats, sagt sie.«

      »Dann bringt sie bitte in Raum 3«, ordnete Adrian Winter an. »Leider ist unser Gynäkologe gerade bei einer Sectio… na ja, ich will sehen, was ich tun kann.«

      Wenig später hatte er die Patientin, die noch in der Lage war, ein paar persönliche Angaben zu machen, untersucht.

      »Tja, Frau Thorberg«, sagte er und lächelte aufmunternd, »ich denke, daß sich Ihre kleine Tochter nicht länger zurückzuhalten läßt. Durch den Unfall ist der Geburtsvorgang frühzeitig ausgelöst worden.«

      »Aber… es ist doch noch zu früh!« Voller Angst sah ihn die aparte blonde Frau an.

      Dr. Winter drückte ihr die Hand. »Kein Problem. So ein Frühchen ist oft ungemein zäh. Und wenn Sie sagen, daß Sie schon Ende des achten Monats sind…«

      »Mein Mutterpaß ist in der Handtasche.« Sie sah sich suchend um. »Wo sind denn meine Sachen?«

      »Ich sehe draußen nach. Wahrscheinlich haben die Sanitäter sie einer meiner Kolleginnen gegeben«, meinte Schwester Walli und verließ rasch den Untersuchungsraum.

      Wenig später kam sie zurück, eine dunkelblaue Tasche in der Hand.

      »Ja, das ist meine«, bestätigte die Patientin und wollte sich aufrichten, um nach der Tasche zu greifen. Doch im nächsten Moment sank sie mit einem Wehlaut zurück. Eine Wehe überrollte sie mit solcher Macht, daß sich ihr Tränen in die Augen drängten.

      Adrian nickte Walli zu. »Sieh nach«, forderte er.

      Die Pflegerin kam der Aufforderung nach und öffnete die Tasche, die ein bekanntes Designer-Label trug. In der Brieftasche fand sich, neben Ausweispapieren und Führerschein, auch der Mutterpaß.

      Adrian Winter studierte ihn sorgfältig und atmete insgeheim auf. Frau Thorberg hatte ganz offensichtlich eine Bilderbuch-Schwangerschaft hinter sich, es gab keine Anzeichen dafür, daß es während der Geburt zu Komplikationen kommen könnte.

      Als die Wehe verebbt war, beugte sich der Arzt zu der jungen Frau und lächelte sie an. »Na, dann wollen wir mal zusehen, daß die junge Dame nicht länger warten muß. Sie will heute schon ans Licht dieser schönen Welt.«

      »Sie meinen… gleich?« Renate Thorberg biß sich auf die Lippen.

      »Gleich jetzt.« Adrian wandte sich zu Schwester Walli um. »Bring Frau Thorberg bitte hoch in den Kreißsaal. Ich komme gleich nach, muß nur erst zusehen, daß ich für hier Ersatz auftreibe. Ist der junge Dr. Ewald im Haus?«

      Karsten Ewald war erst seit vier Wochen an der Kurfürsten-Klinik. Ein junger blonder und recht schüchterner Mann, der aber das Zeug zu einem exzellenten Chirurgen hatte. Ihm fehlte zwar noch Praxis, aber Adrian war sich sicher, daß er dem jungen Kollegen die Notaufnahme für eine halbe Stunde anvertrauen konnte.

      Er selbst leitete die Entbindung von Frau Thorberg, und auch die Geburt verlief lehrbuchmäßig, der Arzt brauchte kaum einzuschreiten, er mußte nur einen kleinen Dammschnitt legen, dann hatte ein kleines Mädchen es leichter, den Weg ins Leben zu finden.

      Renate Thorberg horchte zufrieden auf den ersten Schrei, den ihr Kind tat. Sie warf einen erschöpften, aber glücklichen Blick zu dem Säugling, den Adrian Winter ihr kurz auf den Bauch legte.

      »Gratuliere. Es ist ein wunderschönes kleines Mädchen«, sagte der Arzt, und wie immer, wenn er die Gelegenheit hatte, einem Baby auf die Welt zu helfen, war er von dem Wunder der Menschwerdung wieder angerührt.

      »Ist mein Baby gesund?« fragte die junge Mutter mit schwerer Stimme.

      »Es ist ein Prachtkind«, versicherte der Arzt. »Sie hat schwarzes Haar, wie Sie sehen, und wirkt hundertprozentig gesund. Aber das wird gleich noch der Kinderarzt abklären. Ich selbst muß wieder hinunter in die Ambulanz, aber ein Kollege wird gleich die notwendigen Untersuchungen vornehmen. Ich bin aber sicher, daß er nichts finden wird, das zur Besorgnis Anlaß gibt.«

      Schwester Ingeborg, die erfahrene Säuglingsschwester, nahm der Mutter das Baby wieder fort, um es zu baden und zu wickeln.

      Auch die junge Mutter wurde frisch gemacht, und eine Schwester streifte ihr ein frisches