Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman


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ich kann… gar nicht genug davon kriegen.«

      *

      Adrian hatte nach Marc Weyrich sehen wollen, sehr früh an diesem Morgen, weil er wieder einmal nicht mehr hatte schlafen können. Das ging ihm oft so, wenn er sich um seine Patienten Sorgen machte. Der verletzte Wärter schlief, er hatte eine recht gute Nacht verbracht, versicherte ihm der diensthabende Arzt auf der Intensivstation.

      »Und Dr. Weyrich?«

      Der andere lächelte breit. »Gehen Sie nur hin und sehen Sie selbst!«

      Adrian war durch dieses Lächeln vorgewarnt, und so wunderte er sich fast gar nicht, als er Janine Gerold und Marc Weyrich bei offensichtlich zärtlichem Geflüster fand. In diesem Augenblick begriff er endlich, wessen »wunderschöne Augen« sein Kollege gemeint hatte – sie waren also nicht veilchenblau, wie er selbst vorschnell angenommen hatte, sondern grün!

      Er zog sich zurück, bevor sie ihn sehen konnten und beschloß, auf dem Rückweg einen kurzen Besuch bei Alida Roth zu machen.

      Diese fand er hellwach vor. »Ach, Sie kommen mir gerade recht«, rief sie, als sie Adrian sah. »Herr Dr. Winter, ich habe mich gestern entschlossen, eine Entziehungskur zu machen.«

      »Bravo!« sagte er lächelnd. »Und wer oder was hat Sie dazu bewogen?«

      »Frau Dr. Gerold«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. »Eine großartige junge Frau – couragiert und einfühlsam. Sie hat mich davon überzeugt, daß ich zu jung bin, um schon aufzugeben.«

      »Mir haben Sie das ja nicht geglaubt«, erwiderte er. »Und Herrn Dr. Weyrich auch nicht.«

      »Aber jetzt glaube ich es.«

      »Ich bin sehr froh darüber, Frau Roth. Sie werden das schaffen und vermutlich noch einiges auf die Beine stellen, womit jetzt noch keiner rechnet.«

      »Danke für Ihr Vertrauen, Herr Doktor.«

      Er blieb eine Viertelstunde bei ihr, dann ging er ins Café, um in Ruhe zu frühstücken. Als er anschließend auf die Uhr sah, fand er, daß es spät genug war, um endlich jenen Anruf zu machen, auf den er sich schon die ganze Zeit freute.

      »Hotel King’s Palace, guten Morgen.«

      »Dr. Winter, guten Morgen. Könnten Sie mich bitte mit Frau Wagner verbinden? Oder ist sie noch nicht im Hause?«

      »O doch, sie wohnt auf Zimmer einhundertunddrei, einen Augenblick bitte, ich verbinde.«

      Es klickte, und gleich darauf sagte Stefanie Wagners Stimme: »Ja?«

      »Winter hier. Habe ich Sie geweckt?«

      »O nein, ich bin schon lange wach – aber ich liege noch im Bett, muß ich gestehen. Der gestrige Tag war wohl doch anstrengender, als ich dachte.«

      »Aber es geht Ihnen nicht schlecht?« fragte er besorgt.

      »Nein, nein«, versicherte sie. »Im Gegenteil, ich fühle mich gut.«

      »Falls heute nicht wieder etwas Außergewöhnliches passiert, Frau Wagner: Würden Sie mir dann die Freude machen, mit mir essen zu gehen?«

      »Mit dem größten Vergnügen, Herr Winter.«

      »Ich hole Sie gegen acht im Hotel ab – was halten Sie davon?«

      »Das wäre wunderbar«, sagte sie leise.

      Er legte auf und ging vor sich hin summend in die Notaufnahme. Er war überarbeitet und völlig erschöpft, aber er fühlte sich großartig. Konnte es etwas Schöneres geben als diesen Tag, an dem er sich darauf freuen konnte, abends Stefanie Wagner zu sehen? Er konnte sich im Augenblick jedenfalls nichts vorstellen.

Als das Unglück geschah

      »Schon wieder neue Kundschaft«, kommentierte Dr. Bernd Schäfer lakonisch, als von draußen das Martinshorn zu hören war. Schon Sekunden später bog der Notarztwagen in die Auffahrt zur Kurfürsten-Klinik ein.

      »Dann mal los«, meinte Schwester Monika und erhob sich, um in den Aufnahmebereich der Ambulanz zu gehen.

      Seit mehr als sechs Stunden waren sie jetzt im Dienst – Dr. Adrian Winter, der Chef dieser Abteilung, sein Assistent Bernd Schäfer und die beiden Schwestern Monika und Juliane.

      Juliane, eine kühle Blondine, war erst seit wenigen Wochen an der Kurfürsten-Klinik, doch alle mochten die ruhige und kompetente Kollegin gern.

      Daß Juliane manchmal recht traurig dreinblickte, dafür hatten alle Verständnis, denn inzwischen hatte sich herumgesprochen, daß die junge Frau einen schweren Schicksalsschlag erlitten hatte. Ihr Mann, ein bekannter Archäologe, war seit einem halben Jahr im Amazonasgebiet verschollen. Es gab nicht das geringste Lebenszeichen von ihm – wenn man von einer Mappe mit Aufzeichnungen absah, die ein deutscher Missionar in einer kleinen Siedlung gleich am Fluß gefunden hatte.

      Mehrere Suchtrupps waren losgeschickt worden, doch es gab nicht die geringste Spur des Mannes, der sich von seiner kleinen Expedition abgesondert hatte, um drei Tage lang mit einem Eingeborenen zu einer angeblichen Kultstätte der Amazonas-Indianer zu fahren.

      Sein Expeditionskollege Oliver Kuhnert hatte ihm dringend von diesem Alleingang abgeraten, doch Harald Steffens, ein besessener Forscher, war nicht von seinem Vorhaben abzuhalten gewesen.

      Und nun wartete seine junge Frau Juliane schon seit einem halben Jahr auf ein Lebenszeichen von ihm!

      Seit knapp drei Monaten lebte die aparte Blondine mit ihrem vierjährigen Töchterchen Tanja in Berlin. Hier wohnten ihre Eltern, die sich tagsüber um das kleine Mädchen kümmerten, während Juliane als Krankenschwester an der Kurfürsten-Klinik arbeitete.

      Sie war eine sehr gute Pflegerin, das bewies sie auch jetzt wieder, wo ein Mann eingeliefert wurde, der bei einem Unfall in einer Fabrik schwer verwundet worden war. Eine Explosion hatte ihm drei Finger seiner linken Hand abgetrennt, außerdem hatte er Verbrennungen im Gesicht und am Hals erlitten.

      »Sieht nicht gut aus«, kommentierte Dr. Schäfer, der den Kranken einer ersten Untersuchung unterzog. »Die drei gebrochenen Rippen sind harmlos, die Brandwunden zum Glück nicht so tief. Aber der Arterienriß am Arm macht mir Sorgen. Und natürlich die weggerissenen Finger.«

      »Die hat der Notarzt zum Glück mitgebracht.« Schwester Juliane wies auf eine Plastiktüte, in der die drei gekühlten Fingerglieder lagen.

      »Kann mal jemand oben im OP 1 anrufen und nachfragen, wie lange Adrian Winter noch braucht mit seiner Magenoperation?« Dr. Schäfer sah sich nach Schwester Monika um, die schon den Hörer am Ohr hielt. »Sag ihm bitte, daß ich mir das hier allein nicht zutraue. Und ob sich so schnell ein Gefäßchirurg auftreiben läßt…« Er machte eine vage Handbewegung.

      »Soll ich mal bei Dr. Rollert daheim anrufen? Vielleicht haben wir Glück«, schlug Schwester Monika vor. Dr. Rollert war ein stattbekannter Spezialist auf dem Gebiet der Gefäßchirurgie, und die Kollegen der Kurfürsten-Klinik hatten schon häufiger mit ihm zusammengearbeitet.

      »Das wär zu schön, um wahr zu sein«, gab Dr. Schäfer zurück und untersuchte bereits die große Wunde am Arm, die der Notarzt nur notdürftig verbunden hatte.

      Wenige Minuten später kam Monika mit der Nachricht zurück, daß Dr. Rollert auf einem Fachkongress in Wien war.

      »Und was ist mit Adrian?« wollte Dr. Schäfer wissen.

      »Der kommt jeden Moment«, erwiderte Schwester Juliane, und wie aufs Stichwort betrat Adrian Winter auch schon den Raum.

      Die beiden Ärzte brauchten nicht viel zu reden, beiden war klar, daß es ihnen nur mit sehr viel Glück gelingen würde, die Finger wieder anzunähen. Da sie nicht gerade abgetrennt, sondern durch die Explosion abgerissen worden waren, gab es keine glatten Wundränder.

      »Na, wir werden unser Bestes tun«, meinte Adrian. »Was macht die Arterie?«

      »Die ist genäht, alles in Ordnung«, erklärte sein Assistenzarzt. »Das