Ihr Zimmer«, erklärte Adrian. »Man wird Ihnen dann auch Ihre Tochter bringen.«
»Sie haben also auch rooming in hier, das ist schön.« Die Wöchnerin lächelte. »So hatte ich es mir auch gewünscht – ich wollte mein Kind gleich von Anfang an bei mir haben. Schade nur, daß mein Mann jetzt die Geburt doch nicht miterleben konnte. Wir hatten uns so darauf gefreut.«
Adrian legte ihr die Hand auf den Arm. »Seien Sie froh, daß Sie den Unfall so glimpflich überstanden haben – und daß Ihr Kind wohlauf ist. Für ein Frühchen ist die Kleine ungemein fit, sie muß nicht mal in den Brutkasten.« Er sah die junge Frau lächelnd an. »Sind Sie sicher, daß Sie sich nicht verrechnet haben?«
»Na ja… so ganz einig waren wir uns nicht, mein behandelnder Arzt und ich. Aber natürlich hab’ ich ihm geglaubt… und nicht meiner Rechnung vertraut. Dann nämlich wäre ich schon im 9. Monat gewesen.«
»Waren Sie wohl auch.« Adrian ging zur Tür. »Wir sehen uns noch. Bis dahin.« Er verließ rasch den Bereich des Kreißsaals und ging kurz zum Umkleideraum, wo er sich erfrischte und dann einen sauberen Visitenmantel anzog.
Als er wieder in der Ambulanz erschien, herrschte doch geschäftiges Treiben, aber er konnte sich rasch davon überzeugen, daß nicht ein schwerer Fall darunter war. Es gab ein kleines Mädchen mit einem ausgekugelten Arm, einen verletzten Mopedfahrer, der aber nur Schürfwunden hatte, eine alte Dame, die auf der Straße gefallen war und von Passanten gebracht wurde, damit man sie vorsichtshalber untersuchen konnte.
»Sie kommen zurecht?« erkundigte sich Adrian bei seinem jungen Kollegen.
»Danke, ja«, erwiderte der Assistenzarzt und klebte gerade ein Pflaster auf die Stirn des Mopedfahrers.
Adrian wollte sich gerade um die alte Dame kümmern, die sich lebhaft mit Schwester Claudia unterhielt und einen recht gesunden Eindruck machte, als über Funk ein Notfall gemeldet wurde.
»Schwerer Verkehrsunfall mit zwei Verletzten«, gab der Notarzt durch. »Der Mann hat wohl eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Bein, bei der Beifahrerin sieht’s übler aus. Ich tippe auf einen schweren Wirbelsäulenschaden. Zudem hat sie mit Sicherheit eine Gehirnerschütterung und schwerste Prellungen.«
Adrian dankte und machte sich daran, Vorbereitungen für die Erstversorgung der neuen Patienten zu treffen.
Wenig später kamen sie in die Kurfürsten-Klinik – der Rennfahrer Jonas Johannson und die schwerverletzte Susanne Burgmer, deren Leben an einem seidenen Faden hing…
*
»Weißt du, wer das ist?« Schwester Walli wies auf den Mann, der gerade in Kabine 1 gebracht wurde.
»Keine Ahnung.« Adrian winkte die Sanitäter in den großen Untersuchungsraum, wo er schon alles für die Aufnahme der Patientin mit dem Wirbelsäulenschaden vorbereitet hatte.
»Das ist Jonas Johannson, der Rennfahrer.« Walli zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat er die Straßen Berlins mit einer Rennstrecke verwechselt.«
»Und die junge Frau in seiner Begleitung muß dafür büßen.« Adrian Winter ging hinüber in den Raum, in den die Sanitäter Susanne brachten. Sie wurde extrem vorsichtig gebettet, da der Schaden an der Wirbelsäule noch nicht exakt definiert war.
»Als wir sie an der Unfallstelle sprachen, konnte sie uns noch sagen, daß sie kein Gefühl in den Beinen hat«, erklärte der Notarzt. »Leider wurde sie dann ohnmächtig. Ich habe jedoch so fixiert, daß die Wirbelsäule stabilisiert wurde.«
»Danke. Ich denke, nach einer ersten Untersuchung werden wir sie in die Röhre stecken, um Genaues zu erfahren«, entgegnete Adrian.
»Dann hab’ ich ja hier nichts mehr zu tun. Bis dann, Kollege. Ich befürchte, wir sehen uns heute noch ein paarmal, draußen auf den Straßen ist der Teufel los.«
Adrian nickte nur. Er war schon ganz auf die neue Patientin konzentriert, die mit geschlossenen Augen vor ihm lag. Der Puls war flach, die Atmung kaum wahrnehmbar.
Zunächst bemühte sich Dr. Winter, den Allgemeinzustand der neuen Patientin zu stabilisieren. Dann versorgte er die zum Glück nicht allzu wesentlichen Schnittwunden am linken Arm und an der Schulter. Die Platzwunde an der Schläfe hatte zwar stark geblutet, war aber harmlos. Alles in allem waren die äußerlichen Verletzungen nicht allzu gravierend. Besorgniserregend hingegen war die vermutete Wirbelsäulenverletzung. Aber über deren Schwere mußte die Computertomographie Aufschluß geben.
Die Patientin kam nicht zu sich, auch nicht, als sie in die Röhre geschoben wurde, in der von ihrem ganzen Körper detailgenaue Schichtaufnahmen gemacht wurden.
Es dauerte eine Weile, bis Dr. Winter das Ergebnis der Untersuchung vor sich hatte.
»Das ist ja…« Dr. Winter schüttelte immer wieder den Kopf, kontrollierte die Auswertung, sah nochmals hin… und meinte schließlich zu Schwester Claudia, die hinter ihn getreten war: »Nun sieh dir das an! Da denken wir, daß die junge Frau eine Rückenmarkverletzung infolge eines Unfalls hat – und was sehe ich? Einen Tumor!«
»Aber das ist doch Wahnsinn«, meinte Schwester Claudia. »Davon muß sie doch was gespürt haben. Sie muß Beschwerden gehabt haben. Vielleicht war sie sogar schon in Behandlung – oder sogar schon gelähmt. Was wissen wir schon von ihr!«
Dr. Winter nickte nachdenklich. »Der Notarzt sagte, sie wäre kurz bei Besinnung gewesen, als er sie am Unfallort untersucht hätte. Und da hat sie angeblich gesagt, daß sie ihre Beine nicht mehr spürt.« Er stützte den Kopf in beide Hände und dachte nach. »Kann es denn wirklich sein, daß sich der Tumor erst jetzt bemerkbar macht? Gleich nach dem Unfall?«
»Ziemlich unwahrscheinlich, oder?« fragte Schwester Claudia. »Es sei denn, irgendwas hat sich verschoben. Oder… sieh mal hier!« Sie wies auf eine kleine dunkle Stelle. »Was ist das?«
Adrian sah sich das CT-Bild genauer an. »Könnte ein kleiner Bluterguß sein«, meinte er dann. »Und vielleicht …« Erregt sah er Schwester Claudia an. »Das könnte es sein! Der Bluterguß! Vorher war er nicht da, aber jetzt, infolge des Unfalls, hat sich dieses kleine Blutgerinnsel ergeben und drückt auf die Wirbelsäule, beeinträchtigt vielleicht den Tumor… Das wäre eine Erklärung!«
Schwester Claudia, die stets Besonnene, nickte. »Wenn du mal mit dem anderen Unfallopfer redest, erfährst du vielleicht mehr von der jungen Frau«, schlug sie vor. »Soll ich mich mal nach dem Zustand des Rennfahrers erkundigen?«
»Sei so gut«, bat Dr. Winter. »Er war ja nicht schwer verletzt. Wenn er nicht gerade infolge
der Beruhigungsspritze schläft, möchte ich mit ihm reden.«
Eine Viertelstunde später bereits konnte er an das Bett des verletzten Rennfahrers treten. Jonas lag selbstverständlich in einem Einzelzimmer, das sogar einen Balkon hatte, von dem aus man einen schönen Blick in den kleinen Klinikgarten hatte.
»Hallo, Doc.« Der blonde junge Mann sah Adrian Winter mit wachen Augen entgegen. »Wie sieht’s aus? Wie schwer sind meine Verletzungen?«
Adrian trat näher und gab Jonas die Hand. »Guten Tag, Herr Johannson. Ich heiße Dr. Winter und bin Chef der Unfallabteilung«, stellte er sich erst einmal vor. »Soviel ich jetzt schon sagen kann, haben Sie ungeheures Glück gehabt. Sie sind nur leicht verletzt und werden sicher schon in einer Woche die Klinik wieder verlassen können.«
»Ein Glück.« Der Rennfahrer atmete sichtlich auf. »Ich muß nämlich zum Training nach Budapest. Wenn ich das versäume…«
»Ich verstehe.« Adrian ließ sich nicht anmerken, wie befremdlich er es fand, daß der Mann sich gar nicht nach seiner Beifahrerin erkundigte. »Morgen werden wir Sie genauer durchchecken«, kündigte er an. »Jetzt habe ich eine ganz andere Frage. Sie betrifft Ihre Beifahrerin.«
»Ach ja, Susanne.« Jonas versuchte sich ein wenig aufzurichten. »Wie geht es ihr denn?«
»Leider nicht so gut wie Ihnen«, antwortete Adrian aufrichtig. »Sie ist immer noch bewußtlos. Hat wohl eine schwere