Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman


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aussehen!«

      Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und ging nicht näher auf seine Bemerkung ein. Dann stellte sie ihm eine Menge Fragen zu Frau Roth, die er beantwortete, soweit die ärztliche Schweigepflicht es erlaubte. Anschließend fragte er sie nach ihrer Arbeit im Hotel aus.

      Es war für beide ein ausgesprochen interessanter Abend, und sie waren sich einig, daß sie sich bald wieder einmal privat treffen sollten, um ihr Gespräch fortzusetzen.

      »Falls Sie die Absicht haben, Frau Roth einmal zu besuchen«, meinte Marc, »sagen Sie mir doch vorher Bescheid. Ich führe Sie dann in der Kurfürstenklinik ein bißchen herum und benehme mich so, als ob sie mir gehört. Ich bin nämlich ziemlich stolz, daß ich für eine Weile dort arbeiten kann, wissen Sie?«

      »Sie hat einen sehr guten Ruf, nicht wahr?« fragt sie harmlos.

      »O ja, sie ist eines der besten Krankenhäuser des Landes. Aber das Beste daran ist diese gigantische Notaufnahme. Der Chef dort, Dr. Winter, ist unter Medizinern ein ziemlich berühmter Mann. Ihnen wird der Name nichts sagen, aber für mich ist es eine Ehre, daß ich mit ihm zusammenarbeiten kann.«

      »Wie schön für Sie«, murmelte Stefanie, die spürte, daß ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Und da sie fürchtete, sie werde über kurz oder lang aus Versehen doch noch verraten, daß sie mit dem Namen »Dr. Winter« durchaus etwas anfangen konnte, verabschiedete sie sich wenig später und ging hinüber in ihre Wohnung.

      »Bis bald!« rief er ihr im Hausflur nach.

      »Ja, bis bald, Herr Weyrich!«

      *

      »Frau Roth«, sagte Adrian am nächsten Tag ernst, »wir werden Sie jetzt auf die Innere verlegen – da hat das Personal mehr Zeit für Sie als wir hier in der Notaufnahme. Sie bleiben so lange dort, bis Sie sich besser fühlen.«

      Der Blick ihrer grünen Augen in dem eingefallenen Gesicht, das die einstige Schönheit noch ahnen ließ, war ohne Hoffnung. »Ich werde mich nie besser fühlen, Herr Doktor«, sagte sie mit ihrer Stimme, die vom vielen Whisky rauh geworden war. »Es ist ganz gleich, wie lange ich hier bleibe oder ob Sie mich sofort entlassen – an meinem Zustand wird das nichts ändern.«

      »Sie wären fast gestorben«, sagte er ruhig.

      »Von mir aus«, erwiderte sie gleichgültig. »Ich hätte nichts dagegen, abzutreten.«

      Er griff nach ihrer Hand und wunderte sich fast, daß sie es geschehen ließ, ohne sie ihm sofort wieder zu entziehen. »Warum sagen Sie das?« fragte er, während er sie nachdenklich betrachtete.

      Ihre Haare waren früher rot gewesen, das wußte er, jetzt waren sie offenbar grau. Sie färbte sie zwar, doch das künstliche Rot wirkte zu grell, und der Ansatz hätte dringend nachgefärbt werden müssen. Sie hatte nicht viele Falten, aber sie wirkte ausgezehrt mit ihren hohlen Wangen, den Schatten unter den Augen und dem bleichen Mund, der das Lachen oder Lächeln wohl schon lange verlernt hatte.

      Seine Faszination erhielt dieses Gesicht nach wie vor von den strahlend grünen Augen, denen Alkohol, Drogen und das Unglück vieler Jahre nichts von ihrer Schönheit hatten rauben können. Und noch immer wurden sie von einem dichten Wimpernkranz umrahmt, als hätte die Natur beschlossen, diesen Teil des Körpers von Alida Roth unangetastet zu lassen. Die Augen waren so jung wie alles andere an der Frau alt war.

      Ihre Hand, die nun ruhig in seiner lag, war knochig, die blauen Adern traten deutlich auf dem Handrücken hervor. »Ich sage das«, antwortete sie nach langem Schweigen auf seine Frage, »weil es die Wahrheit ist. Ich hänge nicht mehr am Leben. Es wäre eine Lüge, wenn ich etwas anderes behaupten würde.«

      »Und Sie glauben, das könnte sich nicht noch einmal ändern, Frau Roth?« fragte er.

      Sie lachte kurz auf. Es klang bitter. »Glauben Sie an Wunder, Herr Doktor?«

      »Ich habe schon gelegentlich eins erlebt«, antwortete er ruhig. »Im medizinischen Bereich, wohlgemerkt.«

      »Wundersame Heilungen?« fragte sie voller Spott. »Lahme, die wieder gehen und Blinde, die wieder sehen konnten?«

      Er schien ihren Spott gar nicht wahrzunehmen. »Ja, so ähnlich«, sagte er langsam. »Man darf das nur nicht so wörtlich nehmen. Aber manchmal überleben Menschen, obwohl sie eigentlich keinerlei Chancen haben. Für mich ist das jedesmal ein Wunder.«

      »Ich überlebe nicht«, sagte sie mit großer Festigkeit in ihrer dunklen Stimme. »Mein Leben ist vorbei, es hat mir nichts mehr zu bieten. Ich habe alles verloren, was ich geliebt habe – einen Neuanfang wird es für mich nicht mehr geben. Mir liegt nichts daran.«

      »Und deshalb trinken Sie?« fragte er. »Und nehmen Kokain?«

      »Das geht Sie nichts an«, erklärte sie abweisend, und nun entzog sie ihm endlich ihre Hand, um ihm zu zeigen, daß er zu weit gegangen war.

      »Oh, doch«, entgegnete er durchaus freundlich. »Es geht mich sehr wohl etwas an. Sie sind unsere Patientin, Frau Roth, Ihr Leben ist uns anvertraut, und ich werde um Ihr Leben kämpfen.«

      »Da bin ich aber gespannt, wie Sie das machen wollen, Herr Doktor!« spottete sie. »Auf meine Mithilfe dürfen Sie dabei nicht zählen.«

      Er sah, daß es keinen Sinn hatte, im Augenblick noch länger mit ihr zu reden, und so sagte er nur: »Wir werden sehen, Frau Roth. Jedenfalls bringe ich Sie jetzt auf die Innere Station, wo man Sie bereits erwartet – und ich werde in den nächsten Tagen regelmäßig nach Ihnen sehen.«

      »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte sie, auf einmal unendlich müde. »Kümmern Sie sich lieber um die Patienten, die noch eine Zukunft haben. Das ist wichtiger.«

      An dieser Stelle wurde sie von Schwester Monika unterbrochen. »Adrian, du mußt kommen, dringend. Ein schwerer Unfall – vier Schwerverletzte.«

      »Gehen Sie, Herr Doktor!« sagte Alida Roth mit traurigem Lächeln. »Tun Sie etwas für die Menschen, die an ihrem Leben hängen!«

      »Darüber sprechen wir noch«, gab er zurück, dann rannte er hinter Schwester Monika her zu den Behandlungskabinen, in die gerade die Unfallopfer gebracht wurden.

      *

      Eine Stunde später war die Lage in der Notaufnahme wieder weitgehend unter Kontrolle – und nun fiel Adrian die Patientin Alida Roth wieder ein. »Herr Weyrich, darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«

      »Mich? Ja, klar«, antwortete Marc, der die ganze Zeit neben Adrian gestanden und um das Leben eines zehnjährigen Mädchens gekämpft hatte. Jetzt schien es, als hätten sie diesen Kampf gewonnen.

      »Bringen Sie Frau Roth auf die Innere – sie wird dort erwartet. Ich wollte das eigentlich selbst machen, aber ich möchte jetzt nicht von hier weg. Und Frau Dr. Martensen ist auch unabkömmlich.«

      »Wenn Sie auf mich verzichten können, mache ich das gern«, sagte Marc.

      Adrian gab ihm rasch noch einige Informationen, dann zog sich der junge Arzt zurück und machte sich auf den Weg zu Alida Roth, die die Augen geschlossen hielt und nicht zu merken schien, daß jemand den Raum betrat.

      »Frau Roth?«, fragte Marc leise. »Ich bin’s, Dr. Weyrich. Ich bringe Sie jetzt auf die Innere Station – Herr Dr. Winter muß sich noch um ein verletztes Kind kümmern.«

      Unvermittelt sah sie ihn an, und der Blick dieser strahlend grünen Augen ging ihm durch und durch. Auf einmal ahnte er, wie sie vor zwanzig oder dreißig Jahren ausgesehen haben mußte. So ähnlich, dachte er, wie diese schöne rothaarige Ärztin im Praktikum, der er manchmal

      im Krankenhaus-Restaurant begegnete....

      Aber den Gedanken verdrängte er gleich wieder, denn er wollte sich nicht in eine Kollegin verlieben, da er wußte, daß das in der Regel eine Menge Komplikationen nach sich zog. Außerdem würde er nicht in Berlin bleiben, sondern nach Heidelberg zurückkehren, und eine Liebe auf Distanz war nichts für ihn. Er wollte sich mit einer festen Beziehung noch Zeit lassen, bis er in seinem Beruf sicher Fuß gefaßt hatte.