diese Klinik verlassen habe. Versuchen Sie gar nicht erst, mich davon abzubringen. Mein Leben ist vorüber, und keiner von euch Ärzten wird daran etwas ändern.«
Im ersten Augenblick wußte er nicht, was er darauf erwidern sollte, dann entschied er sich für Offenheit. »Gut, wie Sie wollen, Frau Roth. Es ist Ihr Leben. Aber meine Aufgabe ist es jetzt, Sie auf die Innere Station zu bringen, und genau das werde ich tun.«
Einige Sekunden lang war sie verblüfft, weil sie wohl damit gerechnet hatte, auch er werde ihr jetzt ins Gewissen reden, dann zeigte sich der schwache Schimmer eines Lächelns auf ihrem Gesicht. »Jedenfalls sind Sie nicht auf den Mund gefallen«, stellte sie fest. »Also los, dann bringen Sie mich hier weg, junger Mann!«
Mit Schwung schob er das Bett auf den Gang und steuerte dann auf einen der Aufzüge zu.
*
»Ist die angekündigte Patientin immer noch nicht hier?« fragte eine von Janines Kolleginnen, als sie Janine ganz normal ihren Stationsdienst verrichten sah. »Ich denke, du sollst dich vor allem um sie kümmern.«
Janine zuckte mit den Schultern. »Ja, soll ich, aber sie ist noch nicht da. Ich habe vorhin in der Notaufnahme angerufen, aber die hatten gerade einige Schwerverletzte von einem Unfall zu behandeln – ich nehme an, deshalb hat sich alles verzögert. Und weil hier auch so viel zu tun war, konnte ich nicht weg, um sie eventuell selbst abzuholen.«
In diesem Augenblick murmelte die andere: »Wenn man vom Teufel spricht, Janine. Ich wette, der attraktive Dr. Weyrich bringt die Patientin gerade.«
Bei diesem Namen fuhr Janine herum und sah Marc Weyrich direkt auf sich zukommen. Ihre Knie wurden weich, und sie hätte sich am liebsten irgendwo festgehalten, bis dieser merkwürdige Schwindel in ihrem Kopf nachgelassen hatte. »Bis später«, hörte sie ihre Kollegin sagen, dann stand Marc Weyrich auch schon vor ihr.
»Sind Sie Dr. Gerold?« fragte Marc, der selbst hörte, wie belegt seine Stimme klang.
Janine nickte. »Ja, und Sie bringen mir also Frau Roth?«
Nun nickte Marc. Er wollte warten, bis er sicher sein konnte, daß seine Stimme wieder normal klang. Gerade hatte er noch an die schöne Rothaarige gedacht, und nun stellte sich heraus, daß ausgerechnet sie Alida Roth betreuen würde.
»Guten Tag, Frau Roth«, sagte Janine ruhig zu der Patientin, die mit geschlossenen Augen dalag. »Ich bin Dr. Janine Gerold.« Sie wartete auf eine Reaktion, doch Frau Roth hatte offenbar beschlossen, sich schlafend zu stellen.
»Wohin soll ich sie bringen?« fragte Marc.
»Ich helfe Ihnen«, sagte Janine, ergriff das Kopfende des Bettes und dirigierte es zu dem Zimmer, das bereits für die Patientin vorbereitet worden war.
Marc räusperte sich, denn noch immer fühlte er sich befangen und rang um seine sonstige Gelassenheit. Unvermittelt traf ihn ein Blick aus den grünen Augen der Patientin. Es war ein kurzer, sehr scharfer Blick, gleich darauf schlossen sich die Lider wieder. Er war versucht, Frau Roth anzusprechen, denn ganz offensichtlich schlief sie ja nicht, aber er sagte nichts, sondern fragte sich statt dessen, was ihr Blick zu bedeuten gehabt hatte. Es kam ihm fast so vor, als hätte sie seiner Stimme angehört, wie ihm zumute war.
»So«, sagte Janine und blieb stehen, »da wären wir. Hier hinein bitte.«
Vorsichtig rangierten sie das Bett durch die Tür, und nun fragte Marc die Patientin doch mit lauter Stimme: »Wo möchten Sie das Bett stehen haben, Frau Roth? Und stellen Sie sich bitte nicht schlafend, ich weiß, daß Sie wach sind.«
Ein erstaunter Blick von Janine traf ihn, die es ein wenig ungehörig fand, wie er mit einer Frau sprach, die gerade eben dem Tod entgangen war. Noch viel erstaunter aber war sie, als die Patientin die Augen öffnete und sie zum ersten Mal ansah.
»Wir haben die gleiche Augenfarbe!« entfuhr es ihr. »Sie sind der erste Mensch, Frau Roth, der die gleiche Augenfarbe hat wie ich – jedenfalls ist mir bisher noch kein anderer begegnet.«
Alida Roth betrachtete die schöne junge Ärztin, die ihren Blick voll ehrlichen Erstaunens erwiderte. Schließlich wandte sie sich an Marc und sagte: »Ich möchte ans Fenster. Es ist immer noch besser, nach draußen zu sehen, als ständig die Wände seines Gefängnisses anzustarren.«
Janines Gesicht wurde ernst. »Das ist kein Gefängnis, Frau Roth«, sagte sie mit dem Ernst der noch sehr jungen und idealistischen Ärztin. »Die Kurfürstenklinik ist das beste Krankenhaus weit und breit, das werden Sie bald merken. Wir werden alles tun, damit es Ihnen hier schnell besser geht. Und ich bin sicher, Sie werden sich wohl fühlen bei uns.«
Vor diesem Ernst kapitulierte Alida Roth, zumindest zunächst einmal. Sie verzichtete auf eine zynische Antwort, nickte sogar dem jungen Arzt, der sich nun verabschiedete, kurz zu.
Als sie allein waren, fragte Alida: »Sie wissen, warum ich hier bin?«
»Ich denke schon«, antwortete Janine. »Sie sind zusammengebrochen – weil Sie zuviel Alkohol und Drogen zu sich genommen haben.«
»Angst, die Wahrheit auszusprechen, haben Sie jedenfalls nicht«, stellte Alida fest. »Weiß dieser junge Arzt, daß Sie in ihn verliebt sind?«
Flammende Röte stieg in Janines Gesicht. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich bin zwar ein versoffenes altes Wrack«, stellte Alida fest, »aber ich habe immer noch Augen im Kopf. Er ist schüchtern und zurückhaltend. Wenn Sie ihn haben wollen, müssen Sie’s ihm schon sagen.«
»Das kann ich nicht«, murmelte Janine und bemerkte nicht einmal, daß sie damit praktisch zugab, was ihre Patientin vermutete.
»Unsinn, natürlich können Sie das – jedenfalls, wenn es Ihnen wichtig ist. Sie ahnen gar nicht, was man alles kann.«
»Auch aufhören zu trinken und Drogen zu nehmen?« fragte Janine leise.
Die grünen Augen der Älteren funkelten sie böse an. »Wir haben gerade von Ihnen geredet, nicht von mir.«
»Sie haben von mir geredet«, stellte Janine klar. »Und ich rede jetzt von Ihnen.«
Alida schwieg eine Weile, dann sagte sie – und es klang ein wenig Bewunderung durch: »So harmlos wie Sie aussehen, sind Sie jedenfalls nicht. Sie können ganz schön hartnäckig sein, was?«
»Gut, daß Sie das so schnell begriffen haben«, sagte Janine lächelnd. »Möchten Sie jetzt einen Tee, Frau Roth?«
»Sie wissen verdammt genau, was ich jetzt möchte – Tee jedenfalls ganz sicher nicht.«
»Whisky kriegen Sie hier nirgends«, versicherte Janine. »Tee, Wasser, Saft – vielleicht auch Kaffee. Das ist alles, was ich Ihnen bieten kann. Ich rate Ihnen, mein Angebot anzunehmen, sonst bekommen Sie nämlich gar nichts.«
Alida ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Janine wollte gerade wortlos das Zimmer verlassen, als die Patientin knurrte: »Dann bringen Sie mir Ihren blöden Tee, wenn es nichts Besseres gibt.«
»Gern, ich bin gleich wieder da.«
Lächelnd eilte Janine über den Flur. Die erste Runde war an sie gegangen, ganz klar. Aber leicht würde es nicht werden mit Alida Roth, das hatte sie bereits begriffen.
*
Stefanie hatte soeben ein Telefongespräch beendet und wollte gerade das nächste führen, als sich nach kurzem Klopfen die Tür zu ihrem Büro öffnete. Es war ihr Chef, der vorsichtig hereinkam. Blitzschnell dachte Stefanie nach, aber ihr fiel nicht ein, wann das schon einmal vorgekommen war. Normalerweise ließ Andreas Wingensiefen sie zu sich kommen – und dann mußte sie es in der Regel ertragen, daß er sie noch mindestens zehn Minuten warten ließ, bis er endlich die Zeit fand, sich ihr zuzuwenden. Dieses Ritual diente nur dazu, ihr klarzumachen, was für ein wichtiger Mann er war, und sie fand es jedesmal ein wenig lächerlich. Aber sie ertrug es. Wenn er es so dringend zur Selbstbestätigung brauchte…
»Herr Wingensiefen!« sagte sie nun aufrichtig erstaunt. »Wie komme ich denn zu der Ehre?«
»Ich