in dieser Nacht im offenen Fenster auf dem Steinhofe, und die Kühle war sehr erfrischend und die Monddämmerung sehr wohltätig nach dem heißen, blendenden Heumondstage. Sie hatten ihr Heu wohl meistens glücklich unter Dach gebracht, aber der Duft davon durchzog noch immer angenehm, wenngleich etwas betäubend die Nacht; ich aber konnte zu keiner besseren und günstigeren Zeit als zur Zeit der Heuernte auf dem Steinhofe wieder zu Gaste sein. Es ist immer ein anderes, wenn die Wiesen in voller Pracht und Blüte stehen, mit seinen Illusionen und Herzensneigungen abzuschließen, und ein anderes ist’s, zur Zeit des Heumachens anderer seine Lebensruhe sicher und trocken unter Dach zu bringen. Was dabei meine Gemütsstimmung nicht verschlechterte, war die im Verlauf des Tages gewonnene feste Überzeugung, dass auch zwei anderen Leuten und lieben Freunden sich der Pfad sanft abwärts führend viel leichter glätten werde, als sie augenblicklich noch beide für möglich hielten.
Ich hatte dem jetzigen Herrn von Schloss Werden mein Wort gegeben, ihm in dieser Nacht sofort zu schreiben; ich wusste, dass der Mann und wilde Irländer in der Försterei zu Werden ebenfalls wenig schlief in dieser Nacht, hatte mir auch gewissenhaft einen Briefbogen zurechtgelegt und dem Vetter Just sein Dintenfass mir aus seiner Giebelstube geholt; aber – wozu eigentlich immer selber stets Wort halten in einer Welt, in der es einem selber so häufig nicht gehalten wird, sowohl vom Wetter wie vom Schicksal?… Ihrem Schicksal entgingen sie – Ewald und Irene – darum doch nicht; was ich aber brieflich mitteilen konnte an den Freund, war wenig und hatte in der Tat vollkommen Zeit bis morgen. Wie sich das stolze Herz der Frau noch sperrte und flatterte und mit den Flügeln schlug, das ließ sich doch nur schwer mit des Vetters schlechter Dinte und noch schlechterer Feder hinschreiben, und dazu hatte der Vetter selbst mich vom Schreiben abgehalten. Er war ganz meiner Meinung gewesen; aber bis über die Mitternacht hinaus hatte er bei mir gesessen und die Sache immer wieder von einer anderen Seite her beleuchtet und geredet wie der außerordentlichste Professor der Psychologie.
Der irländische Baumeister Ewald Sixtus hatte manche Nacht durchwacht, um Schloss Werden sich zu gewinnen; weshalb sollte er nicht die eine und die andere Nacht durchwachen, um zu dem Entschluss zu kommen, es wieder aufzugeben?
»Gute Nacht, Just. Dein Schreibzeug lässt du mir wohl bis morgen früh?«
»Ist denn noch Dinte drin? Wohl mehr tote Fliegen und dergleichen?« fragte der Vetter, lächelnd sich hinter dem Ohre kratzend. »Lieber Bruder, die Zeiten haben sich ganz besonders in dieser Hinsicht sehr geändert. Ich habe schon mehrmals einen reitenden Boten nach Bodenwerder schicken müssen, um mir den notwendigen Tropfen zu einer Namensunterschrift holen zu lassen.«
Ich stieß den Federstumpf durch den Schimmelüberzug und fand noch genügendes schwarzes Nass, um aller Welt Glück und Leid dreintauchen zu können und meine Ansicht, Meinung, Weisheit und guten Ratschläge dazu; der Vetter war gegangen, und ich hatte – die Feder neben den Briefbogen gelegt und mich in das Fenster.
Was konnte ich eigentlich dem Freunde in Werden schreiben?
Dass ich sie in der heißen Sonne am Wege sitzend fand, dass sie in der Abenddämmerung an meinem Arm durch die Felder wandelte, dass sie viel und hastig, aufgeregt und verworren sprach, und ganz und gar nicht wie ein Professor der Psychologie? Dass wir bis spät in die Nacht hinein in der Gesellschaft des Vetters Just im Baumgarten saßen, und zwar sehr still? Dass ich noch eine Viertelstunde zwischen Jule Grote und Mamsell Martin auf der Bank vor dem Hause hockte und dass ich die beiden guten Alten reden ließ, ohne sie nur ein einziges Mal zu unterbrechen? Dass alles in der Welt von den verschiedensten Seiten angesehen werden kann? Dass aber, gerade weil dem so ist, alles auf Erden viel offener und sozusagen wehrloser daliegt, als der Mensch in seiner täglichen Verwirrung sich einzubilden pflegt? Dass der Mensch viel zu häufig Furcht hat? Dass es im Grunde keine Gespenster gibt – auch in und um Schloss Werden nicht? Dass die Nacht wundervoll klar und lieblich war und dass die Nachtkühle außerordentlich beruhigend auf den Menschen wirkte und dass es trotz alle, alle dem sehr leicht sei, über mittelalterliche Geschichte, und sehr schwer, über das lebendige Leben der Gegenwart zu schreiben?
Mit der letzteren Bemerkung begann ich selbstverständlich am folgenden Morgen meinen Brief und schloss ihn mit einer ganz ähnlichen.
»Ich reite wie gewöhnlich erst diesen Abend hinüber«, sagte der Vetter Just, dem ich die Lektüre gern gestattet hatte. »Offen gestanden, Fritz, ich glaube, einen expressen Boten brauchen wir nicht damit hinzuschicken. Recht hübsch, Fritze!… Und dass euch euer Abendspaziergang, ganz ohne dass ihr es merktet, dem Flusse zuführte und dass ihr erst auf den letzten Hügeln umdrehtet, nachdem ihr längere Zeit nach den Bergen gegenüber ausgeguckt hattet, – ist auch – recht hübsch, Doktor. Wenn du meinst, dass die Sendung Zeit hat bis zum Abend, so kannst du dich darauf verlassen, dass ich deine Schilderungen dem armen Teufel drüben getreulich überliefern werde. Übrigens – wenn ein Mensch auf eine prompte Korrespondenz gar keinen Anspruch hat, so ist das unser braver Freund Ewald auf Schloss Werden. Jetzt entschuldige mich freundlichst bis Mittag. Wir haben gerade heute einen ziemlich scharfen Arbeitstag vor uns. Bekümmere du dich um nichts als die Frau Irene und lass dir soviel als möglich von ihr Gesellschaft leisten. Über mittelalterliche Geschichten lässt sich wohl besser und leichter schreiben; aber in dem lebendigen Leben der Gegenwart stecken wir eben drin und haben uns durchzufühlen. Ich drücke mich wohl schlecht aus?… Aber – nimm es mir nicht übel, ich spreche nur nach, was du geschrieben hast, und in deinem Briefe an Ewald steht wirklich wenig von dem, was wir augenblicklich an uns und in uns und in der allmächtigen Schicksalswelt um uns erfahren. Dein Brief ist sehr nett und sehr freundschaftlich und sehr ausführlich – du hast den gestrigen Tag gut geschildert, und dass er zwischen den Zeilen wird lesen können, das ist noch besser; aber das beste und einfachste wäre meiner Meinung nach – sie ginge einfach zu ihm.«
Das Wort kam wie etwas so Selbstverständliches heraus, so ruhig und sozusagen gemütlich, dass ich im Anfange glaubte, mich verhört zu haben:
»Was sagtest du, Vetter?«
»Ich bin bei eurer ersten Unterhaltung gestern auf dem Feldwege nicht gegenwärtig gewesen; aber das war auch gar nicht notwendig. Wenn einer weiß, wie dem anderen in seiner Verwirrung zumute ist, dann weiß er auch, welche Worte er gebraucht, um sich Luft zu machen; vorzüglich wenn er ihm ein jedes an den rotgeweinten Augen absieht. Bei einem lachenden Gesicht ist es freilich schon schwieriger, und dass ein Menschenelend wahr ist, erkennst du viel leichter, als wie ob ein Glück und Jubel dir nur als Komödie aufgeführt werde. Lache nicht über den Bauer vom Steinhofe, der ein