Lachen und Jauchzen drang zu uns her; und – es war geblieben, wie es schon damals war: nur der Vetter Just achtete darauf in sich selber nach der richtigen Weise, wie ihm und der Welt ums Herz war.
»Verlass dich drauf, Fritz, sie will zu ihm, und weil sie Angst hat, dass es zu spät sei, schiebt sie die Schuld auf die Ruinen, die zwischen ihm und ihr liegen. Auf das alte brave Nest, Schloss Werden, gebe ich dabei gar nichts; aber ihr kommt es zupass. Sie möchte es in ihrer heutigen Ratlosigkeit um alles in der Welt nicht anders haben, als wie es jetzt daliegt. Das kommt ihr gerade recht! Das ist der Nagel, an dem sie ihren Weiberstolz am bequemsten aufhängen kann, um ihn zu – schonen! Und Kinder sind sie alle beide, soweit sie in den Jahren vorangekommen sein mögen. Wie sie heute in sich hineingraben, ist ihnen keines der goldenen Schlösser, die sie (und du auch, Fritz Langreuter!) in die berühmten italienischen Nussbüsche in Werden hingen, so lieb wie der Zorn und die verhaltene Reue von heute. Du willst wissen, was sie dir gestern gesagt hat?… Hat sie dir nicht in einem Atem von ihrem Alter, ihrer Armut und ihrem Stolze gesprochen? Sie, welche die Jüngste von uns allen ist und soviel zu verschenken hat und alles so gern hergäbe, wenn nur das Schicksal sie wie ein verweintes Kind an der Hand nehmen und führen wollte. – Hat sie nicht gesagt, dass sie alles begreift und würdigt, was ihr Freund nur in dem Gedanken an sie erarbeitet und getan hat? Dass sie mit klopfendem Herzen ihm dafür dankbar ist, hat sie wohl nicht gestanden – das umschreiben die Weiber immer am liebsten oder drücken es anders aus, zum Exempel durchs Gegenteil, und das letztere hat auch sie getan. Nämlich, dass sie um keinen Preis der Welt sich durch ihn demütigen lassen könne, hat sie gesagt. – Wenn es nicht schade wäre um jeden Tag, den sie unnützerweise dadurch verlieren, so könnte man wirklich einfach darüber lachen… und sich ärgern! Sag mal, Fritz, glaubst du nicht auch, dass der Ärger die einzige wirklich konservierende Zutat in unserem irdischen Zustand ist? Ich habe darüber nachgedacht; im höchsten Schmerz, im edelsten Zorn und Kummer schmeckt man ihn durch. Er ist, wie das Salz, das Gemeine oder Allgemeine, aber doch das, was unter allen Umständen dazu gehört. Schicksal kann man nicht spielen; ohne Ärger kommt man nicht aus – in seinen Einbildungen lebt man – warten, warten muss man – heute wie morgen – auf das, was mit einem geschieht: in das Glück kann sich kein Mensch unterwegs retten, so fallen die Besten und Edelsten in die Entsagung, um nicht dem Verdruss zu verfallen, und das ist der Fall heute mit Ewald und Irene. Wenn aber einer von uns zweien hier am Tisch sagt: ›Es schmerzt mich!‹, so könnte er dreist ebenso gut sagen: ›Ärgert mich nicht!‹ – Und jetzt siegele ruhig deinen Brief zu, du hast es wirklich sehr hübsch ausgedrückt, wie dir zumute war, als du nach längerer Abwesenheit zum ersten Mal wieder den Steinhof besuchtest.«
»Just!« klang es vom Hofe her in unser offenes Fenster.
»Hier sitzt er, Jule! Was soll er?«
Neben dem Brunnen stand die Alte in der Sonne, blinzte unter übergehaltener Hand vor zu uns empor und brummte:
»Jawohl sitzt er da! Als ob ich das nicht wüsste! Sowie der – andere wieder im Lande ist, geht richtig das alte Elend augenblicks wieder von frischem an; – na, ich weiß schon, Herr Langreuter, und will auch nichts Despektierliches gesagt haben. Aber, Just, im Lämmerkampe weiß kein Mensch mehr, wo er mit sich hin soll, und so haben sie sich lieber allesamt unter die Bäume gelegt und warten, dass der Meister kommt und nach ihnen sieht. Und mit der Steinfuhre für den neuen Schweinekoben sind sie am Tillenbrinke vermalhört. Da liegt die ganze Prostemahlzeit, Schiff und Geschirr im Graben, wie der Junge sagt, und bis jetzt haben sie nur die Pferde ausgespannt und sitzen und besehen sich die Angelegenheit, sagt der Junge. Nach dem Herrn Doktor aus Berlin aber sucht sich Mamsell Martin schon stundenlang die Augen aus dem Kopfe; mir flackert das Feuer in der Küche unter den Händen weg und brennt mir auf den Nägeln; und so geht denn alles wie gewöhnlich ja recht hübsch kopfunter kopfüber.«
»Da hast du es, Fritz!« meinte der Vetter ein wenig kläglich lächelnd. »Der Mensch mag sich noch so sehr abarbeiten, um ein anderer zu werden, das Durcheinander um ihn her bleibt immer dasselbe, und alle Erfahrung und der beste Wille richtet wenig dabei aus. Wie viel Zeit von seinem eigenen Tage behält man übrig für die Bedrängnisse der anderen? Jetzt geh du nur hin und erhalte der treuen Seele, der Mamsell Martin, ihre guten ängstlichen Augen, mich ruft das Schicksal zuerst nach dem Tillenbrink und dann nach dem Lämmerkamp. Das ist ganz richtig, weg läuft mir niemand dort. Sie liegen allesamt ganz behaglich und warten, bis ich komme.«
»Und durch die Abendkühle reitest du nach Werden. Das ist dein Trost, und zwar ein recht behaglicher.«
»Ja!« sagte der Vetter Just leise und innig und fasste meine Hand. »Es ist so. Und wenn mir manchmal in allem Behagen etwas melancholisch zumute wird, dass ich in meinem und meiner Eva Glück doch eigentlich nur auf die beginnende Dämmerung und Kühle des Abends angewiesen worden bin, so tröste ich mich: Wir bleiben eben länger jünger als die anderen!… Und nun, alter Freund, hänge noch ein Postskript und guten Rat über das Jungbleiben an deinen Brief. Ich trage ihn dann noch einmal so gern hinüber heute am Abend. Wenn nachher wieder die Rede auf Schloss Werden kommt, weiß man dann doch etwas genauer, was man sagen kann. Dass es mir immer lieb gewesen ist, wenn ein Wort das andere gab, das weißt du ja.«
Ich sah ihm von dem Fenster der Giebelstube aus nach, wie er über den Hof stieg. Vom Tor aus winkte er mir noch einmal zu, und ich sah ihm nach auf dem Wege nach dem Tillenbrink und seufzte:
»Der hat wohl gut reden von seiner Jugend! Sind es bloß die großen Künstler mit Stift, Feder und Meißel, die die Welt festhalten, während sie allen übrigen entgleitet? Ich meine, solch ein Lebenskünstler, solch ein Mann des Lebens wie der da, hat auch einen guten Griff. Was er fasst, lässt er so leicht nicht los, und was er weitergibt, das reicht er weit in die Zeiten hinein. Welch ein Kunstwerk hat dieser Mann aus seinem Leben gemacht – treuherzig! Und ist nicht Treuherzigkeit das erste und letzte Zeichen eines wahren Kunstwerks? Was haben wir ihm alles aufgebunden, wenn wir aus unseren Nestern im Grün zu ihm kamen. Und er glaubte alles! O, welch ein weiser Mensch steckte in jenem Jungen, der da am Wege über dem alten Broeder saß und Glauben hatte und sich wie von Schloss Werden so von Bodenwerder zum besten halten ließ und gelassen auf menschliche Schicksale wartete. Aber Glück hat er auch gehabt, und – das ist und bleibt gleichfalls in alle Zeit hinein der Trost und die Entschuldigung derer, die wie die Fliegen und der gegenwärtige Doktor der Philosophie Friedrich Langreuter aus Berlin an der geschlossenen Fensterscheibe kriechen.«
Es fand sich in dem mit Fliegen, Staub und Schimmel mehr als gebührlich gefüllten Dintenfasse des Vetters Just auch der schwarze Tropfen noch, mit dem ich das angeratene Postskriptum an meinen Brief an den Freund in Werden hängen konnte. Ich tat’s, faltete das Blatt und ließ es ungesiegelt; – Geheimnisse meinerseits