Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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nicht rein­ge­wor­fen, Herr Kom­missar!«, be­teu­er­te Bark­hau­sen angst­voll. »Es muss von der Frau Ro­sen­thal fort­ge­fal­len sein in das Kel­ler­loch!«

      »So!«, sag­te der Kom­missar Rusch. »So ein Vo­gel bist du also! So ein Vo­gel ar­bei­tet also für mei­nen Kol­le­gen Esche­rich! Das wird mei­nen Kol­le­gen Esche­rich mäch­tig freu­en, so was zu hö­ren!«

      Aber wäh­rend der Kom­missar so ganz fried­lich vor sich hin schwätz­te, ging sein Blick zwi­schen dem Bark­hau­sen und dem Bal­dur Per­si­cke hin und her, hin und her. Dann fuhr Rusch fort: »Na, ich den­ke, du wirst nichts da­ge­gen ha­ben, uns auf ei­nem klei­nen Spa­zier­gang zu be­glei­ten? Oder?«

      »Aber nein!«, ver­si­cher­te Bark­hau­sen, zit­ter­te da­bei, und sein Ge­sicht wur­de noch fah­ler. »Aber ger­ne kom­me ich mit! Mir liegt ja am meis­ten dar­an, dass al­les rich­tig auf­ge­klärt wird, Herr Kom­missar!«

      »Na, dann ist’s ja schön!«, sag­te der Kom­missar tro­cken. Und nach ei­nem ra­schen Blick auf Per­si­cke: »Fried­rich, nimm dem Mann die Hand­fes­sel ab. Der kommt auch so mit. Oder?«

      »Ge­wiss kom­me ich mit! Ge­wiss doch, ger­ne!«, ver­si­cher­te Bark­hau­sen eif­rig. »Ich lauf nicht weg. Und wenn auch – Sie wür­den mich ja doch über­all ein­fan­gen, Herr Kom­missar!«

      »Rich­tig!«, sag­te der wie­der tro­cken. »So ’n Vo­gel wie dich fan­gen wir über­all!« Er un­ter­brach sich. »Da ist ja auch schon der Un­fall­wa­gen. Und die Po­li­zei. Da wol­len wir mal se­hen, dass wir den Kram schnell hin­ter uns brin­gen. Ich habe heu­te früh noch mehr zu tun.«

      Spä­ter, als sie dann »den Kram schnell hin­ter sich ge­bracht« hat­ten, stie­gen der Kom­missar Rusch und der jun­ge Per­si­cke noch ein­mal die Trep­pen zur Ro­sent­hal’­schen Woh­nung hin­auf. »Bloß, um das Kü­chen­fens­ter zu­zu­ma­chen!«, hat­te der Kom­missar ge­sagt.

      Auf der Trep­pe blieb der jun­ge Per­si­cke plötz­lich ste­hen. »Ist Ih­nen nicht was auf­ge­fal­len, Herr Kom­missar?«, frag­te er flüs­ternd.

      »Mir ist Ver­schie­de­nes auf­ge­fal­len«, er­wi­der­te Kom­missar Rusch. »Aber was ist denn dir zum Blei­stift auf­ge­fal­len, mein Jun­ge?«

      »Fällt Ih­nen nicht auf, wie still das Vor­der­haus ist? Ha­ben Sie nicht dar­auf ge­ach­tet, dass im Vor­der­haus kein Kopf zum Fens­ter hin­aus­ge­se­hen hat, und im Hin­ter­haus ha­ben sie doch über­all ge­guckt! Das ist doch ver­däch­tig. Die müs­sen doch was ge­merkt ha­ben, die hier im Vor­der­haus. Die wol­len nur nichts ge­merkt ha­ben. Sie müss­ten jetzt ei­gent­lich gleich Haus­su­chun­gen bei de­nen ma­chen, Herr Kom­missar!«

      »Und bei den Per­sickes wür­de ich da­mit an­fan­gen«, ant­wor­te­te der Kom­missar und stieg ru­hig wei­ter trepp­auf. »Bei de­nen hat näm­lich auch kei­ner aus dem Fens­ter ge­se­hen.«

      Bal­dur lach­te ver­le­gen auf. »Mei­ne Brü­der von der SS«, er­klär­te er dann, »die ha­ben sich bei­de ges­tern Abend so bild­schön be­sof­fen …«

      »Mein lie­ber Sohn«, fuhr der Kom­missar fort, als hät­te er nichts ge­hört. »Was ich tu, das ist mei­ne Sa­che, und was du tust, das ist dei­ne Sa­che. Ratschlä­ge von dir sind un­er­wünscht. Da­für bist du mir noch zu grün.« Er sah, im Stil­len be­lus­tigt, über die Schul­ter in das be­knif­fe­ne Ge­sicht des Jun­gen. »Jun­ge«, sag­te er dann, »wenn ich hier kei­ne Haus­su­chun­gen mehr ma­che, so nur dar­um, weil die viel zu viel Zeit ge­habt ha­ben, al­les Be­las­ten­de weg­zu­schaf­fen. Und wozu so viel Auf­stand um ’ne tote Ju­den­frau? Ich habe mit den le­ben­di­gen ge­nug zu tun.«

      Sie wa­ren un­ter­des vor der Woh­nung der Ro­sent­hals an­ge­langt. Bal­dur schloss auf. In der Kü­che wur­de das Fens­ter ge­schlos­sen und ein Stuhl wie­der auf­ge­stellt, der um­ge­fal­len war.

      »So!«, sag­te der Kom­missar Rusch und sah sich um. »Al­les in bes­ter But­ter!«

      Er ging vor­an in die Stu­be und setz­te sich in das Sofa, auf ge­nau die Stel­le, wo er eine Stun­de zu­vor die alte Frau Ro­sen­thal in eine völ­li­ge Ohn­macht hin­ein­ge­beu­telt hat­te. Er streck­te sich be­hag­lich und sag­te: »So, mein Sohn, und nun hole uns ein­mal eine Fla­sche Ko­gnak und zwei Glä­ser!«

      Bal­dur ging, kam dann zu­rück, schenk­te ein. Sie pros­te­ten ein­an­der zu.

      »Schön, mein Sohn«, sag­te der Kom­missar be­hag­lich und brann­te sich eine Zi­ga­ret­te an, »und nun er­zähl mir mal, was du und der Bark­hau­sen hier schon in der Woh­nung vor­ge­habt habt!«

      Er sag­te schnel­ler, als er die em­pör­te Be­we­gung des jun­gen Bal­dur Per­si­cke sah: »Über­leg dir’s gut, mein Sohn! Even­tu­ell neh­me ich so­gar einen HJ-Füh­rer mit in die Prinz-Al­brecht-Stra­ße, wenn er mich näm­lich gar zu un­ver­schämt an­sohlt. Über­leg dir’s, ob du nicht die Wahr­heit vor­ziehst. Vi­el­leicht bleibt die Wahr­heit ganz un­ter uns, wol­len mal se­hen, was du zu er­zäh­len hast.« Und da er Bal­dur schwan­ken sah: »Ich hab näm­lich auch ein paar Beo­b­ach­tun­gen ge­macht, Ob­ser­va­tio­nen nen­nen wir so was. Zum Blei­stift habe ich dei­ne Stib­belsoh­len da hin­ten auf der Bett­wä­sche ge­se­hen. In die Ecke bis­te heu­te noch gar nicht ge­kom­men. Und wo­her has­te ei­gent­lich so schnell ge­wusst, dass hier Ko­gnak ist und wo er steht? Und was denkst du, was mir der Bark­hau­sen al­les in sei­ner Angst er­zählt? Nee, habe ich das nö­tig, hier sit­zen und mich von dir an­lü­gen las­sen? Da­für bis­te mir noch zu grün!«

      Das sah der Bal­dur auch ein, und er pack­te aus.

      »So!«, sag­te der Kom­missar schließ­lich. »So. Na ja, je­der tut, was er kann. Die Dum­men Dum­mes und die Klu­gen oft noch was viel Düm­me­res. Na, mein Sohn, zum Schluss bis­te ja denn doch noch schlau ge­wor­den und hast den Va­ter Rusch nicht an­ge­lo­gen. So was soll nicht un­be­lohnt blei­ben. Was möchts­te hier denn ger­ne ha­ben?«

      Bal­durs Au­gen leuch­te­ten auf. Eben noch war er völ­lig ent­mu­tigt ge­we­sen, aber nun sah er wie­der Licht.

      »Den Ra­dio­ap­pa­rat mit dem Plat­ten­spie­ler und den Plat­ten, Herr Kom­missar!«, flüs­ter­te er gie­rig.

      »Na schön!«, sag­te der Kom­missar gnä­dig. »Ich habe dir ja ge­sagt, vor sech­se kom­me ich nicht wie­der hier­her. Sonst noch was?«

      »Vi­el­leicht ein oder zwei Hand­kof­fer mit Wä­sche!«, bat Bal­dur. »Mei­ne Mut­ter ist mäch­tig knapp mit Wä­sche!«

      »Gott, wie rüh­rend!«, spot­te­te der Kom­missar. »Was für ’n rüh­ren­der Sohn! So ’n rich­ti­ges er­grei­fen­des Mut­ter­söhn­chen! Na, mei­net­hal­ben! Da­mit ist dann aber auch Schluss! Für al­les an­de­re bist du mir ver­ant­wort­lich! Und ich habe ein ver­dammt gu­tes Ge­dächt­nis da­für, wie was steht und liegt, mich legst du so leicht nicht rein! Und wie schon be­merkt, in je­dem Zwei­fels­fall Haus­su­chung bei den Per­sickes. In je­dem Fall ge­fun­den: ein Ra­dio­ap­pa­rat mit Plat­ten­spie­ler, zwei Hand­kof­fer mit Wä­sche. Aber kei­ne Angst, Sohn, so­lan­ge du re­ell bist, bin ich’s auch.«

      Er ging zur Tür. Er sag­te noch, über die Schul­ter weg: »Üb­ri­gens, wenn die­ser Bark­hau­sen hier wie­der auf­tau­chen soll­te, es gibt kei­ne Stän­ke­rei­en mit ihm. Ich mag so was nicht, ver­stan­den?«

      »Ja­wohl, Herr Kom­missar«, ant­wor­te­te Bal­dur Per­si­cke ge­hor­sam,