Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Quan­gel fest. »Weil ich so ei­ner Dame mal die Wahr­heit ge­sagt habe!«

      »Aber nein, um Got­tes wil­len, fas­sen Sie das bloß nicht so auf! Vor­läu­fig sind Sie erst ein­mal zur Scho­nung be­ur­laubt. Wir ho­len Sie uns wie­der …«

      Den Weg bis zum Fried­richs­hain leg­ten die bei­den Da­men schwei­gend zu­rück. Sie sind ganz mit ih­ren Ge­dan­ken be­schäf­tigt. Ver­mut­lich hät­ten sie eben zu der Quan­gel viel schär­fer sein müs­sen, sie auch an­brül­len und nie­der­don­nern müs­sen. Aber das ist ih­nen lei­der nicht ge­ge­ben – sie ge­hö­ren zu je­nen, die im­mer ku­schen, sie sind wehr­los. Und weil sie das wis­sen, wer­den sie zum Fuß­ab­tre­ter für je­den, der schrei­en kann. Wenn es nur jetzt gut­geht mit die­sem Be­such bei der ho­hen Dame, wenn sie nur (ohne die Haupt­schul­di­ge mit­zu­brin­gen) ein ei­ni­ger­ma­ßen güns­ti­ges Er­geb­nis nach Haus ho­len.

      Aber sie ha­ben Glück. Es ist jetzt doch – über all dem Te­le­fo­nie­ren, Schrei­en, Be­su­chen – ziem­lich spät am Abend ge­wor­den. Die gnä­di­ge Frau ist ge­ra­de beim An­klei­den, die gnä­di­ge Frau will in die Staats­o­per. Aber sie dür­fen auf zwei Ho­ckern in der Die­le war­ten.

      Nach ei­ner Vier­tel­stun­de wer­den sie dann von dem Mäd­chen ge­fragt, um was es sich denn ei­gent­lich han­de­le? Sie be­rich­ten es der An­ge­stell­ten mit be­dau­ern­dem Flüs­tern und be­kom­men den Be­scheid, wei­ter zu war­ten.

      Aber in Wirk­lich­keit in­ter­es­siert die gan­ze Sa­che Frau Ober­sturm­bann­füh­rer Ge­rich kaum noch. Sie hat drei Stun­den mit ih­ren Freun­din­nen te­le­fo­niert, sie hat ge­ba­det, die Staats­o­per er­war­tet sie, nach­her ein ge­müt­li­cher Abend in der Fe­mi­na – was soll da so ein Weib aus dem Volk die Dame der Ge­sell­schaft noch groß in­ter­es­sie­ren? So sagt die Claire nach ei­ner wei­te­ren Vier­tel­stun­de zu ih­rem Ernst: »Ach, geh und brüll die Wei­ber ein biss­chen zu­sam­men und schick sie weg! Ich will mir mit so was nicht den Abend ver­der­ben.«

      So geht der Ober­sturm­bann­füh­rer ein biss­chen auf die Die­le und brüllt die Be­su­che­rin­nen zu­sam­men. Er be­greift da­bei gar nicht, dass kei­ne der bei­den die ei­gent­lich Schul­di­ge ist. Das ist ihm ganz egal, er schreit sie an, und dann schmeißt er sie raus. Der Fall ist er­le­digt, end­gül­tig!

      Die bei­den ge­hen nach Haus. Die Mol­li­ge sagt: »Ei­gent­lich kann ich so ’ne Frau wie die Quan­gel manch­mal di­rekt ver­ste­hen.«

      Die Weiß­haa­ri­ge denkt an ih­ren Sohn und presst die Lip­pen fest zu­sam­men.

      Die Mol­li­ge fährt fort: »Manch­mal wün­sche ich es mir di­rekt, nichts wei­ter zu sein als eine ein­fa­che Ar­bei­te­rin, in der Mas­se zu ver­schwin­den. Man wird so er­le­digt von die­sem ewi­gen Vor­sich­tig­s­ein, die­ser nie ab­las­sen­den Angst …«

      Das Mut­ter­kreuz schüt­telt den Kopf. »Ich wür­de lie­ber nicht so re­den«, sagt sie kurz. Und sie setzt hin­zu, als die an­de­re ge­kränkt schweigt: »Je­den­falls ha­ben wir die Sa­che auch ohne die Quan­gel, so gut wie es ging, hin­ge­kriegt. Er hat aus­drück­lich ge­sagt, der Fall ist für ihn er­le­digt, und das mel­den wir nach oben wei­ter.«

      »Und dass die Quan­gel ab­ge­setzt ist!«

      »Na­tür­lich, das auch! Die will ich nie wie­der auf un­se­rer Ge­schäfts­stel­le se­hen!«

      Und sie be­ka­men sie dort auch nicht wie­der zu se­hen. Anna Quan­gel aber konn­te ih­rem Mann einen Er­folg mel­den, und so sorg­fäl­tig er sie auch aus­frag­te, es schi­en ein wirk­li­cher Er­folg zu sein. Quan­gels wa­ren bei­de ihre Äm­ter los, ohne Ri­si­ko …

      1 Paul Jo­seph Go­eb­bels war ei­ner der ein­fluss­reichs­ten Po­li­ti­ker wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und ei­ner der engs­ten Ver­trau­ten Adolf Hit­lers. <<<

      18. Die erste Karte wird geschrieben

      Der Rest der Wo­che ver­lief ohne alle be­son­de­ren Er­eig­nis­se, und so kam der Sonn­tag wie­der her­an, die­ser Sonn­tag, von dem sich Anna Quan­gel end­lich die so sehn­lich er­war­te­te und so lan­ge auf­ge­scho­be­ne Auss­pra­che mit Otto über sei­ne Plä­ne er­war­te­te. Er war erst spät auf­ge­stan­den, aber er war gu­ter Stim­mung und nicht ru­he­los. Manch­mal sah sie ihn beim Kaf­fee­trin­ken rasch von der Sei­te an, ein we­nig auf­mun­ternd, aber er schi­en das nicht zu mer­ken, er aß, lang­sam kau­end, sein Brot und rühr­te da­bei in sei­nem Kaf­fee.

      Nur schwer konn­te sich Anna ent­schlie­ßen, das Ge­schirr fort­zuräu­men. Aber dies­mal war es wirk­lich nicht an ihr, das ers­te Wort zu spre­chen. Er hat­te ihr für den Sonn­tag die­se Auss­pra­che zu­ge­sagt, und er wür­de schon sein Wort hal­ten, jede Auf­for­de­rung von ihr hät­te wie ein Drän­gen aus­ge­se­hen.

      So stand sie mit ei­nem ganz lei­sen Seuf­zer auf und trug die Tas­sen und die Tel­ler in die Kü­che. Als sie zu­rück­kam, um den Brot­korb und die Kan­ne zu ho­len, knie­te er vor ei­nem Schub­fach der Kom­mo­de und kram­te dar­in her­um. Anna Quan­gel konn­te sich nicht er­in­nern, was ei­gent­lich in die­sem Schub­fach lag. Es konn­te nur al­ter, längst ver­ges­se­ner Schraps sein. »Suchst du was Be­stimm­tes, Otto?«, frag­te sie mit ei­nem al­ten Ber­li­ner Witz.

      Aber er gab nur einen Knurr­laut von sich, so zog sie sich tief in die Kü­che zu­rück, um ab­zu­wa­schen und das Es­sen vor­zu­be­rei­ten. Er woll­te nicht. Er woll­te also wie­der nicht! Und mehr denn je war sie der Über­zeu­gung, dass sich et­was in ihm vor­be­rei­te­te, von dem sie im­mer noch nichts wuss­te und das sie doch wis­sen muss­te!

      Spä­ter, als sie wie­der in die Stu­be her­ein­kam, um sich beim Kar­tof­fel­schä­len in sei­ne Nähe zu set­zen, fand sie ihn an dem sei­ner De­cke be­raub­ten Tisch, die Plat­te lag vol­ler Schnitz­mes­ser, und klei­ne Spä­ne be­deck­ten be­reits den Bo­den um ihn. »Was tust du denn, Otto?«, frag­te sie maß­los er­staunt.

      »Mal se­hen, ob ich noch schnit­zen kann«, gab er zu­rück.

      Sie war maß­los ent­täuscht und auch ein we­nig ge­reizt. Wenn Otto auch kein großer Ken­ner der Men­schen­see­le war, eine klei­ne Ah­nung muss­te er doch da­von ha­ben, wie es in ihr aus­sah, mit wel­cher Span­nung sie jede Mit­tei­lung von ihm er­war­te­te. Und nun hat­te er sei­ne Schnitz­mes­ser aus ih­ren ers­ten Ehe­jah­ren her­vor­ge­sucht und schnip­pel­te am Holz her­um ganz wie da­mals, als er sie durch sein ewi­ges Schwei­gen zur Verzweif­lung brach­te. Da­mals war sie sei­ne Wort­karg­heit noch nicht so ge­wohnt ge­we­sen wie heu­te, aber heu­te, gra­de heu­te, da sie sie ge­wohnt war, schi­en sie ihr völ­lig un­er­träg­lich. Schnit­zen, du lie­ber Gott, wenn das al­les war, was die­sem Mann nach sol­chen Er­leb­nis­sen ein­fiel! Wenn er sich mit stun­den­lan­ger schwei­gen­der Schnitz­kunst sei­ne so ei­fer­süch­tig ge­hü­te­te Stil­le wie­der­ho­len woll­te – nein, das wür­de eine schwe­re Ent­täu­schung für sie be­deu­ten. Er hat­te sie schon oft schwer ent­täuscht, aber dies­mal wür­de sie das nicht so still­schwei­gend an­se­hen kön­nen.

      Wäh­rend sie die­ses al­les sehr un­ru­hig und ver­zwei­felt über­dach­te, sah sie doch mit hal­ber Neu­gier auf das läng­li­che, di­cke Holz­stück, das er nach­denk­lich zwi­schen sei­nen großen Hän­den dreh­te, von dem er nach­denk­lich mit sei­nem Mes­ser dann und wann einen stär­ke­ren Span ab­nahm. Nein, eine