Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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viel zu­ge­mu­tet hat­te, viel­leicht war er aber auch ein­fach be­reit, Aus­kunft zu ge­ben. »Kopf«, sag­te er. »Will mal se­hen, ob ich noch einen Kopf schnit­zen kann. Habe frü­her viel Pfei­fen­köp­fe ge­schnitzt.«

      Und er dreh­te und schnip­pel­te wei­ter.

      Pfei­fen­köp­fe! Anna stieß einen em­pör­ten Laut aus. Sie sag­te jetzt doch sehr är­ger­lich: »Pfei­fen­köp­fe! Aber Otto! Be­sinn dich! Die Welt stürzt ein, und du denkst an Pfei­fen­köp­fe! Wenn ich bloß so was höre!«

      Er schi­en we­der auf ih­ren Är­ger noch auf ihre Wor­te groß zu ach­ten. Er sag­te: »Das wird na­tür­lich kein Pfei­fen­kopf. Ich will mal se­hen, ob ich un­ser Ot­to­chen ein biss­chen zu­recht­schnit­zen kann, wie er aus­ge­se­hen hat!«

      So­fort schlug ihre Stim­mung um. Also an Ot­to­chen dach­te er, und wenn er an Ot­to­chen dach­te und sei­nen Kopf schnit­zen woll­te, so dach­te er auch an sie und woll­te ihr eine Freu­de da­mit ma­chen. Sie stand von ih­rem Stuh­le auf und sag­te, has­tig die Kar­tof­fel­schüs­sel ab­set­zend: »War­te, Otto, ich hole dir die Bil­der, da­mit du auch weißt, wie Ot­to­chen wirk­lich aus­ge­se­hen hat.«

      Er schüt­tel­te ab­leh­nend den Kopf. »Ich will kei­ne Bil­der se­hen«, sag­te er. »Ich will den Otto schnit­zen, wie ich ihn hier in mir drin habe.« Er tipp­te ge­gen sei­ne hohe Stirn. Und nach ei­ner Pau­se setz­te er noch hin­zu: »Wenn ich’s kann!«

      Nun war sie wie­der ge­rührt. Ot­to­chen war also auch in ihm, er hat­te ein fes­tes Bild von dem Jun­gen. Jetzt war sie neu­gie­rig, wie die­ser Kopf aus­se­hen wür­de, wenn er erst fer­tig war. »Si­cher bringst du es fer­tig, Otto!«, sag­te sie.

      »Na!«, sag­te er nur, aber es klang nicht ein­mal so zwei­felnd wie zu­stim­mend.

      Da­mit war die Un­ter­hal­tung zwi­schen den bei­den erst ein­mal be­en­det. Anna muss­te in die Kü­che zu­rück zu ih­rem Mit­ta­ges­sen, und sie ließ ihn da am Tisch, wie er lang­sam die­sen Klotz Lin­den­holz zwi­schen sei­nen Fin­gern dreh­te und mit ei­ner stil­len, be­hut­sa­men Ge­duld Spän­chen auf Spän­chen von ihm ab­nahm.

      Sie war dann aber doch sehr über­rascht, als sie kurz vor dem Mit­ta­ges­sen zu­rück­kam, um den Tisch zu de­cken, die­sen Tisch schon auf­ge­räumt und mit sei­ner De­cke ge­schmückt zu fin­den. Quan­gel stand am Fens­ter und sah in die Ja­blons­ki­stra­ße hin­un­ter, wo die spie­len­den Kin­der lärm­ten.

      »Na, Otto?«, frag­te sie. »Schon fer­tig mit der Schnit­ze­rei?«

      »Für heu­te ist Fei­er­abend«, ant­wor­te­te er, und im sel­ben Au­gen­blick wuss­te sie, dass die­se Un­ter­re­dung nun doch ganz nahe be­vor­stand, dass Otto doch et­was vor­hat­te, die­ser un­be­greif­lich be­harr­li­che Mann, den nichts dazu brin­gen konn­te, et­was über­eilt zu tun, der stets auf die rich­ti­ge Stun­de war­ten konn­te.

      Das Mit­ta­ges­sen ver­zehr­ten sie schwei­gend. Dann ging sie wie­der in die Kü­che, um dort Ord­nung zu schaf­fen, und sie ver­ließ ihn, in sei­ner So­fae­cke hockend, starr vor sich hin se­hend.

      Als sie, eine hal­be Stun­de spä­ter, wie­der zu­rück­kam, saß er noch im­mer so da. Aber jetzt woll­te sie nicht noch län­ger war­ten, bis er sich end­lich ent­schloss; sei­ne Ge­duld, die ei­ge­ne Un­ge­duld mach­ten sie zu un­ru­hig. Wo­mög­lich saß er um vier noch so da, und nach dem Abendes­sen auch noch! Sie konn­te nicht mehr län­ger war­ten!

      »Nun, Otto«, frag­te sie. »Was gib­t’s? Ist heu­te kein Nach­mit­tags­schlaf wie alle Sonn­ta­ge?«

      »Heu­te ist nicht alle Sonn­ta­ge. Mit ›al­le Sonn­ta­ge‹ ist es end­gül­tig vor­bei.« Er stand plötz­lich auf und ging aus der Stu­be.

      Aber heu­te war sie nicht ge­son­nen, ihn ein­fach wie­der fort­lau­fen zu las­sen, auf einen sei­ner ge­heim­nis­vol­len Gän­ge, von de­nen sie doch nie et­was er­fuhr. Sie lief ihm nach. »Nein, Otto …«, fing sie an.

      Er stand an der Et­agen­tür, de­ren Ket­te er eben vor­ge­legt hat­te. Er hat­te die Hand er­ho­ben, um Stil­le zu ge­bie­ten, und lausch­te in das Haus hin­aus. Dann nick­te er und ging an ihr vor­bei wie­der in die Stu­be. Als sie zu ihm kam, hat­te er sei­nen Sofa­platz wie­der ein­ge­nom­men, sie setz­te sich zu ihm.

      »Wenn’s klin­gelt, Anna«, sag­te er, »machst du nicht eher auf, als bis ich …«

      »Wer soll denn klin­geln, Otto?«, frag­te sie un­ge­dul­dig. »Wer soll denn zu uns kom­men? Nun sage schon, was du sa­gen willst!«

      »Ich werd’s schon sa­gen, Anna«, ant­wor­te­te er mit un­ge­wohn­ter Mil­de. »Aber wenn du mich drän­gelst, machst du es mir nur noch schwe­rer.«

      Sie be­rühr­te schnell sei­ne Hand, die Hand die­ses Man­nes, dem jede Mit­tei­lung des­sen, was in sei­nem In­nern vor­ging, im­mer wie­der schwer­fiel. »Ich wer­de dich schon nicht drän­geln, Otto«, sag­te sie be­ru­hi­gend. »Lass dir Zeit!«

      Aber gleich dar­auf be­gann er zu spre­chen, und nun sprach er fast fünf Mi­nu­ten hin­ter­ein­an­der, in lang­sa­men, kurz ab­ge­ris­se­nen, sehr über­leg­ten Sät­zen, hin­ter de­ren je­dem er erst ein­mal fest den schmal­lip­pi­gen Mund schloss, als kom­me nun be­stimmt nichts mehr. Und wäh­rend er so sprach, hat­te er den Blick auf et­was ge­rich­tet, was seit­lich hin­ter Anna in der Stu­be war.

      Anna Quan­gel aber hielt die Au­gen wäh­rend sei­nes Spre­chens fest auf sein Ge­sicht ge­wen­det, und sie war ihm fast dank­bar, dass er sie nicht an­sah, so schwer wur­de es ihr, die Ent­täu­schung, die sich im­mer stär­ker ih­rer be­mäch­tig­te, zu ver­ber­gen. Mein Gott, was hat­te sich die­ser Mann da aus­ge­dacht! Sie hat­te an große Ta­ten ge­dacht (und sich ei­gent­lich auch vor ih­nen ge­fürch­tet), an ein At­ten­tat auf den Füh­rer, zum min­des­ten aber an einen tä­ti­gen Kampf ge­gen die Bon­zen und die Par­tei.

      Und was woll­te er tun? Gar nichts, et­was lä­cher­lich Klei­nes, so et­was, das so ganz in sei­ner Art lag, et­was Stil­les, Ab­sei­ti­ges, das ihm sei­ne Ruhe be­wahr­te. Kar­ten woll­te er schrei­ben, Post­kar­ten mit Auf­ru­fen ge­gen den Füh­rer und die Par­tei, ge­gen den Krieg, zur Auf­klä­rung sei­ner Mit­menschen, das war al­les. Und die­se Kar­ten woll­te er nun nicht etwa an be­stimm­te Men­schen sen­den oder als Pla­ka­te an die Wän­de kle­ben, nein, er woll­te sie nur auf den Trep­pen sehr be­gan­ge­ner Häu­ser nie­der­le­gen, sie dort ih­rem Schick­sal über­las­sen, ganz un­be­stimmt, wer sie auf­nahm, ob sie nicht gleich zer­tre­ten wur­den, zer­ris­sen … Al­les in ihr em­pör­te sich ge­gen die­sen ge­fahr­lo­sen Krieg aus dem Dun­keln. Sie woll­te tä­tig sein, es muss­te et­was ge­tan wer­den, von dem man eine Wir­kung sah!

      Quan­gel aber, nach­dem er zu Ende ge­re­det hat­te, schi­en gar kei­ne Er­wi­de­rung von sei­ner Frau zu er­war­ten, die da still mit sich kämp­fend in ih­rer So­fae­cke saß. Soll­te sie ihm nicht doch lie­ber et­was sa­gen?

      Er war auf­ge­stan­den und wie­der zum Lau­schen an die Fl­ur­tür ge­gan­gen. Als er zu­rück­kam, nahm er nur die De­cke vom Tisch, fal­te­te sie zu­sam­men und häng­te sie sorg­fäl­tig über die Stuhl­leh­ne. Dann ging er an den al­ten Ma­ha­go­ni­se­kre­tär, such­te das Schlüs­sel­bund aus sei­ner Ta­sche her­vor und schloss auf.

      Wäh­rend er noch im Schran­ke kram­te, ent­schloss sich Anna. Zö­gernd sag­te sie: »Ist das nicht ein biss­chen we­nig, was du da tun willst, Otto?«