Friedrich Glauser

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten


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nach hinten gelitzt und die Haut seiner Arme mit Laubflecken übersät…

      Zeitlupentempo.– Man sieht auf der Leinwand Rennpferde über eine Hürde springen. Die Hinterbeine sollten sich abschnellen, – nein, ganz langsam strecken sie sich, lösen sich vom Boden… In diesem Tempo etwa überschritt Studer die Schwelle.

      Gilgen fuhr bei dem Geräusch nicht auf, eine merkwürdige Ratlosigkeit lag auf seinem Gesicht.

      »Wa isch los, Gilge?« fragte Studer. Der andere richtete sich auf, und da stand sein Schürzenlatz von der Brust ab, so, als sei dahinter etwas verborgen.

      – Was er da habe? fragte Studer und deutete auf den Wulst. Gilgen zuckte müde mit den Achseln. Sein blaues Hemd war vielfach geflickt, auch mit andersfarbigen Stoffresten, er zuckte mit den Achseln, als wolle er sagen – »Was fragst du so dumm?« Seine Hand verschwand unter dem Schürzenlatz, zog etwas hervor, warf es auf den Tisch.

      Zwei Bündel Banknoten. Studer hob sie auf, blätterte sie durch. Zwanzig… vierzig… Viertausend Franken…

      »Wo ist der Rest?«

      Gilgen blickte auf, erstaunt… Er schwieg.

      Studer ließ die Bündel in die Seitentasche seiner Kutte gleiten. Dann ging er auf und ab, seine Stirn war gerunzelt.

      Der Fall mit den Mißtönen!

      Immer stimmte etwas nicht. Da hatte man nun glücklich innerhalb unwahrscheinlich kurzer Zeit einen Diebstahl aufgedeckt, das Geld beigebracht – und dann war es natürlich nicht vollzählig… Und Gilgen sollte der Dieb sein…

      Mürrisch erklärte Studer, er müsse nun doch die Sachen des Pflegers durchsuchen. Wo denn sein Zimmer sei.

      Gilgen wies auf eine Türe, die der Türe des Wachsaales gerade gegenüberlag. – Da schlafe er, wenn er in der Anstalt bleiben müsse…

      Pieterlen war aus dem Aufenthaltsraum entwichen – zwar die Sache mit den Schlüsseln war aufgeklärt – immerhin… Gilgen schlief in einem Zimmer, dessen Tür in den Aufenthaltsraum ging…

      Der kleine kupferhaarige Pfleger stand müde auf und betrat vor Studer das Zimmer.

      Das Fenster ging auf die Küche und war weit geöffnet…

      Zwei Wandschränke, hellblau gestrichen. Gilgen ging auf den einen zu, öffnete die Türe mit einem Schlüssel seines Bundes und setzte sich dann aufs Bett. Das trug einen roten Überwurf, dessen weiße Fransen bis zum Boden reichten…

      Es war still im Zimmer…

      Drei Hemden, ein Schurz, eine Kartonschachtel mit Rasiermesser, Pinsel, Seife, Abziehriemen. Ein alter geflickter Kittel. Ein weißer Kittel, sauber gebügelt, auf dem Revers das weiße Kreuz in rotem Feld, der Orden der diplomierten Pfleger…

      – Armer kleiner Gilgen, dachte Studer, in was hat sich der Mann hineingeritten? Den Pflegerkittel zog er wohl nur an hohen Festtagen an, wenn beispielsweise die Aufsichtskommission über die Abteilungen lief… Die Aufsichtskommission mit dem Pfarrer Veronal, den der kleine Gilgen so gerne verspottet hatte…

      »Ihr habt doch nicht nur zwei Päckli Noten genommen, Gilgen«, sagte Studer und suchte weiter im Schaft… Er wußte eigentlich nicht, was er zu finden hoffte. »Wo ist der Rest?«

      Schweigen.

      »Habt ihr mir gestern etwas aus dem Zimmer genommen?«

      Schweigen. Man konnte es weder trotzig noch verstockt nennen. Es war eher traurig, hoffnungslos… Es würde ein böser Schlag für die Frau sein, die oben in Heiligenschwendi krank lag, wenn sie erfuhr, ihr Mann sei im Gefängnis… Studer hätte dem Gilgen gerne geholfen, aber wie sollte man das anstellen? Er setzte sich auf den Bettrand, klopfte dem Gilgen auf die Schulter und sprach Worte, wie sie in derartigen Situationen gebräuchlich sind:

      – Gilgen werde seine Lage nur verschlimmern, wenn er nicht gestehen wolle, wo die restlichen Zweitausend hingekommen seien, es werde ihm dann leichten…

      Schweigen.

      – Dann solle er doch wenigstens erklären, warum er den Diebstahl begangen habe… Sein Gewissen erleichtern…

      Und dabei war es dem Wachtmeister wieder einmal unbehaglich zumute – aus dem Unbehagen kam man in der Anstalt gar nicht heraus –, weil er dunkel fühlte, daß sich etwas Beängstigendes, etwas, das sich nicht fassen ließ, unter dem scheinbar klaren Tatbestand verbarg.

      »Schulden«, sagte Gilgen plötzlich leise, und dann schwieg er wieder. Obwohl der Ausdruck seines Gesichtes dem einer verschüchterten Maus ähnelte, war doch eine merkwürdige Entschlossenheit darin…

      Immer noch die Stille im Bau des B… Alle, die nicht im Garten waren, waren wohl ans Begräbnis gegangen… Nun redete wahrscheinlich einer von der Aufsichtskommission am offenen Grab… Mein Gott, etwas mußten die Herren doch einmal zu tun haben…

      »Schulden?« wiederholte Studer fragend.

      Gilgen nickte. Und Studer fragte nicht weiter. Er kannte ja die Geschichte mit dem Hüüsli und der ersten Hypothek.

      Eintönig klang Gilgens Stimme, als er erzählte:

      – Während der Stunde – der Wachtmeister müsse wissen, wenn ein Pfleger bis neun Uhr Dienst habe, so habe er das Recht auf eine Freistunde im Tag – also während seiner Freistunde sei er zum Dreyer gegangen, um ein Päckli Stumpen zu holen. Dann habe er gedacht, er könne auf der Verwaltung gerade anfragen, wann der nächste Lohnabbau fällig sei – man wisse das nie genau, das käme von einem Tag auf den andern – ja, und mit der Jungfer Hänni komme er gut aus, da habe er gemeint, er könne die Jungfer danach fragen. Der Verwalter sei z'Liech gangen, und auf der Verwaltung könne man immer allerlei erfahren. Die Tür sei offen gestanden, er sei eingetreten, da habe er im Nebenzimmer den offenen Kassenschrank gesehen und dann…

      »Wieviel Päckli habt ihr genommen?« fragte Studer.

      »Zwei…«

      »So? Wo sind sie gelegen? Im oberen Fach? Im unteren Fach?«

      »Im… im… ich glaube, im unteren Fach…« »Nicht im mittleren?« »Doch im mittleren…« »Wieviel Fächer hat der Kassenschrank?« »Drei…«

      Studer blickte Gilgen an.

      Der Kassenschrank war durch ein einziges Fach in der Mitte seiner Höhe in zwei Teile geteilt.

      Das hatte Studer gesehen, das wußte er…

      Also…

      Der Gilgen machte Augen wie ein geprügelter Hund. Studer sah weg, da fiel sein Blick auf den offenen Schaft. Ganz zuunterst, hinter den Schuhen, lag etwas Graues. Studer stand auf, bückte sich.

      Der Sandsack!

      Der Sandsack, der in der Form an einen riesigen Schüblig erinnerte.

      »Und das?« fragte Studer. – Ob Gilgen nun endlich auspacken wolle?

      – Aber Gilgen schwieg wieder, einmal fuhr er mit der flachen Hand über seine Glatze – seine Finger zitterten deutlich –, dann zuckte er mit den Achseln. Das Achselzucken konnte viel bedeuten.

      – Wo er in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag gewesen sei? – Hier in der Anstalt…

      Die Antwort wurde begleitet von einem müden Abwinken mit der Hand: ›Es hat ja alles keinen Wert!…‹

      »Ihr schlaft allein hier im Zimmer?«

      Nicken.

      »Habt ihr mit Pieterlen gesprochen, wie er draußen im Aufenthaltsraum geraucht hat?«

      Breitschultrig, mächtig stand Studer vor dem kleinen Mann.

      Gilgen blickte furchtsam auf.

      »Tüet mi nid plage, Wachtmeischter…« sagte er leise.

      – Dann müsse er ihn mitnehmen, sagte Studer. Und er solle sich vorher gut besinnen, die Anklage würde vielleicht