sind, von denen sein Freund Herr Green ihm bisweilen etwas schreibt" (16. August). Ein andermal (30. Aug. d. J.) hat Kant Scheffner allerlei Anekdoten aus Greens Briefen über Humes persönliches Verhältnis zu dem argwöhnischen Rousseau erzählt. Seitdem finden sich, bis in die letzten Schriften – z. B. die Anthropologie (1798) – hinein immer wieder Spuren Rousseauschen Denkens, mit oder ohne Namensnennung desselben, auf die wir zum Teil noch zurückkommen werden.
Allerdings verehrte unser Denker seinen Rousseau nicht etwa mit der urwüchsigen Leidenschaftlichkeit des jungen Schiller. Seine kühlere Natur wehrte sich instinktiv gegen den Überschwang des Gefühlsphilosophen: wie denn überhaupt Kant sich nie von einer einzelnen Persönlichkeit so stark hat beeinflussen lassen, wie etwa der junge Goethe von Herder oder Spinoza, der reifere von Schiller. Schon in seinen Vorlesungen von 1772 nennt er Rousseau zwar "eins der größten Genies", das jedoch in seine Schriften etwas "Romanhaftes" mische; daher werde "sein scharfer Geist nicht von allen recht eingesehen und die Stärke seiner Argumente bleibt einem Teil seiner Leser unerkannt". Sobald er sich von dem Eindruck seiner "hinreißenden" Sprache befreit, bemerkt er doch hinter dieser schönen Sprache allerlei "seltsame und widersinnige Meinungen", als ob der Verfasser seine "außerordentlichen Talente" und die "Zauberkraft seiner Beredsamkeit" nur dazu habe anwenden wollen, den "Sonderling zu machen" und den Lesern durch die Neuheit seiner Gedanken zu imponieren. Schon Rousseaus Methode sei der seinigen entgegengesetzt: "Rousseau verfährt synthetisch und fängt vom natürlichen Menschen an, ich verfahre analytisch und fange vom gesitteten an."
Wenn er mit Rousseau "die Glückseligkeit des Wilden" erwog, wollte er trotzdem nicht mit diesem in die Wälder zurückkehren, sondern bloß betrachten, was man bei allem Kulturgewinn im Vergleich mit dem Naturmenschen verloren habe; es komme nur darauf an, dass man inmitten der heutigen "geselligen Üppigkeit" ein gesitteter Mensch der Natur bleibe. Auch von einer langdauernden Hofmeister-Erziehung des Einzelnen durch einen Einzelnen wollte er nichts wissen. Es sei unnatürlich, dass ein Mensch den größten Teil seines Lebens damit zubringen solle, einem Kinde beizubringen, wie es dereinst leben soll. Allerdings, damit gute Schulen möglich werden, müsse man vorher Emile erziehen. Aber Rousseau hätte zeigen sollen, "wie daraus Schulen entspringen könnten".
Freilich laufe, wie eine erst den 80er Jahren entstammende Notiz aus dem Nachlaß sagt, die "ganze Absicht" Rousseaus eben darauf hinaus: "den Menschen durch Kunst dahin zu bringen, dass er alle Vorteile der Kultur mit allen Vorteilen des Naturzustandes vereinigen könne. Rousseau will nicht, dass man in den Naturzustand zurückgehen, sondern dahin zurücksehen soll" (Ak. Ausg. XV, S. 890). Und so bleibt Kant doch, wie wir das namentlich auch bei seinen politischen Anschauungen wiederfinden werden, im letzten Grunde mit seinem Rousseau einverstanden.
Hume
Es könnte auf den ersten Blick als ein Widerspruch erscheinen, wenn wir hier von einer gleichzeitig stattfindenden Beeinflussung unseres Weisen durch den leidenschaftlichen Gefühlsphilosophen Rousseau und den entschiedenen Skeptiker David Hume reden. Und doch ist ein solcher gleichzeitiger Einfluß nicht bloß, wie wir bereits sahen, unwidersprechlich bezeugt, sondern er ist auch innerlich verständlich. Haben doch Leute, die in noch viel schwärmerischerer Weise als der Genfer Denker auf das Recht des Gefühls pochten, welche die Gefühlsphilosophie zur Philosophie des Glaubens umbildeten, haben doch Hamann und später Friedrich Heinrich Jacobi die Skepsis Humes gewissermaßen zur Unterlage ihres eigenen Gedankengebäudes benutzt. Und, wäre Kant nicht schon von selbst zu Hume gekommen, so hätte ihn Hamanns Brief vom 27. Juli 1759 auf den schottischen Denker aufmerksam gemacht. Aber wir wissen aus dem Munde Borowskis, der von 1755 ab mehrere Jahre hindurch sein Zuhörer war, dass ihm schon damals "Hutcheson und Hume, jener im Fache der Moral, dieser in seinen tiefen philosophischen Untersuchungen, ausnehmend wert waren", und er beide "uns zum sorgfältigsten Studium empfahl".[36] Wir können den ersten weniger wichtigen Denker beiseite lassen, wie wir es denn – das sei hier gleich ein- und für allemal bemerkt – nicht als unsere Aufgabe ansehen, in dieser anderen Zwecken gewidmeten Biographie jedem philosophiegeschichtlichen Einflüsse, der sich in Kants Entwicklung bemerkbar macht, nachzugehen. Zumal da wenige Denker in dem Maße wie er ihre geistige Selbständigkeit bewahrt, fremde Ansichten ihrem Standpunkt bloß angepaßt haben.[37] Aber Hume bedeutet ihm, wie Rousseau, in der Tat einen Wendepunkt, mindestens einen kräftigen Anstoß zu der endgültigen Abwendung von der alten Metaphysik, die in seinen bisherigen Schriften schon vorbereitet war; damit war dann zugleich auch der Boden zu einer anderen Auffassung der Moral gegeben.
Wie für Rousseaus Einfluß auf seine moralisch-praktische, so besitzen wir auch für denjenigen Humes auf seine theoretische Stellungsänderung eine klassische Stelle. Wir meinen natürlich den berühmten Satz aus den 'Prolegomenen' (1783): "Ich gestehe frei, die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab." Also: wie Rousseau ihn praktisch "zurecht gebracht", so hat Hume ihn aus dem bisherigen theoretischen "Schlummer" geweckt. In welche Jahre die verschiedenen Einwirkungen des schottischen Philosophen fallen, auf welche Einzelprobleme sie sich beziehen, welche Schriften ihm bekannt waren u. a. m., das ist seit lange Gegenstand mannigfacher Meinungskämpfe unter den Fachmännern gewesen. Wir, die wir nur die großen Linien von Kants philosophischem Werdegang verfolgen wollen, müssen es uns versagen, auf diese mannigfaltigen Untersuchungen (von Kuno Fischer, Paulsen, Vaihinger, Höffding, A. Riehl, B. Erdmann, um nur die Bekanntesten zu nennen) einzugehen. Das Wichtigste dieser Einflüsse wird uns von selbst klar werden, wenn wir seine allgemeine philosophische Entwicklung bis in die 70er Jahre hinein, das bedeutet zunächst die Grundrichtung seiner Schriften der 60er Jahre verfolgen.
Schriften:
Gegen die Schullogik und -metaphysik
Gleich die erste derselben, die nach drei Jahren literarischer Pause zu Anfang des Winters 1762 erschienene, vielleicht eine Begleitschrift zu seinem Colleg über Logik bildende kurze Abhandlung über 'Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren" von ihrem Verfasser als die "Arbeit weniger Stunden" charakterisiert, läßt eine schärfere Oppositionsstellung des Autors, als er sie bis dahin eingenommen, erkennen. Sie richtet sich mit bewußter Schärfe gegen den ganzen logischen Schulbetrieb seiner Zeit. Da er in seinen Vorlesungen "nicht alles seiner Einsicht gemäß einrichten" könne, sondern "manches dem herrschenden Geschmack zu gefallen tun" müsse, so wolle er wenigstens in dieser Schrift begründen, weshalb er die Spitzfindigkeiten der Syllogistik (Lehre von den vier "Figuren" der logischen Schlüsse) nur kurz behandeln werde, um die dadurch gewonnene Zeit zur "wirklichen Erweiterung nützlicher Einsichten" zu verwenden. Dabei "häufen sich die wissenswürdigen Dinge zu unseren Zeiten", es "bieten sich Reichtümer im Überflusse dar", so dass wir am besten tun, allen jenen "unnützen Plunder" wegzuwerfen, mit dem wir uns lieber nie hätten belästigen sollen. Freilich schmeichle er sich nicht, mit seiner kleinen Abhandlung diesen tönernen Koloß umzustürzen. Übrigens sei, auch abgesehen von den Spitzfindigkeiten der Schullogik, die menschliche Erkenntnis "voll unerweislicher Urteile".
Deshalb unternimmt die nächste, im folgenden Sommer verfaßte, aber erst Ostern 1764 veröffentlichte Abhandlung, der 'Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen' einen Vorstoß gegen die zeitgenössische Schulmetaphysik. Das Prunken mit der mathematischen Methode sei zwar von den Metaphysikern allmählich wieder aufgegeben worden, aber wahren Nutzen aus der evidentesten aller Wissenschaften zu ziehen, hätten sie bisher in törichter Selbstüberhebung versäumt. Einen kleinen Anfang wolle er mit der philosophischen Erörterung der von Kästner vortrefflich mathematisch behandelten "negativen Größen" machen. Von besonderem philosophischem Interesse ist die "Schlußanmerkung", weil ihre Unterscheidung von "logischem" und "Real"-Grund schon die spätere, in den Prolegomenen als "klassisch" bezeichnete zwischen analytischen und synthetischen Urteilen in sich birgt, und weil die damit zusammenhängende Grundfrage: Wie soll ich es verstehen, dass, weil etwas ist, etwas anderes sei? die Vorstufe zu der kritischen Kernfrage darstellt: Wie sind synthetische Sätze a priori möglich? Gerade zu diesen Unterscheidungen und Fragestellungen aber ist Kant offenbar durch Humes Bezweifelung des Kausalitätsgesetzes angeregt