des Schotten spricht er von den "gründlichen" Philosophen, denen nichts verborgen bleibt, von der "hohen Weisheit" dieser "großen Geister", während er selbst aus der Schwäche seiner Einsicht kein Geheimnis mache, "nach welcher ich gemeiniglich dasjenige am wenigsten begreife, was alle Menschen leicht zu verstehen glauben". Wie etwas aus etwas anderem – von der logischen Identität abgesehen – folge, das möchte er sich gern erklären lassen; indes mit bloßen Worten wie Ursache und Wirkung, Kraft und Handlung lasse er sich nicht abspeisen. So bleibt er hier noch bei dem Zweifel Humes stehen. "Dereinst" werde er das Ergebnis seines Nachdenkens über "die Natur unserer Erkenntnis in Ansehung unserer Urteile von Gründen und Folgen" ausführlich darlegen. Dieses "dereinst" erfüllte sich erst 18 Jahre später – in der Kritik der reinen Vernunft.
Von dem umfangreichsten Werk dieser Jahre, dem 'Einzig möglichen Beweisgrund' ist schon im ersten Kapitel dieses Buches die Rede gewesen.
Preisschrift von 1764
Ungefähr gleichzeitig mit den drei bisher besprochenen Arbeiten entstand die der Berliner Akademie der Wissenschaften zur Bewerbung um den Preis von 1763 eingereichte 'Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral'. Kant hatte sich anscheinend erst spät zur Mitbewerbung entschlossen, sein Manuskript infolgedessen "kurz und eilfertig abgefaßt" und "lieber etwas in Ansehung der Sorgfalt, Abgemessenheit und Zierlichkeit der Ausführung verabsäumen" als den letzten Ablieferungstermin (31. Dezember 1762) verstreichen lassen wollen, an dem es denn auch glücklich noch in Berlin einlief. Den ersten Preis, eine 50 Dukaten schwere, goldene Denkmünze, trug der Jude "Moses, Mendels Sohn" davon, doch wurde zugleich erklärt, dass das "Memoire" Kants "der Schrift des gelehrten Juden … beinahe gleich wäre". [Nach einer Mitteilung von Kraus hätte die Akademie sogar den ersten Preis Mendelssohn nur "zur Aufmunterung" gegeben, während Kant ihn eigentlich verdient hätte; das soll Sulzer an Kant selbst geschrieben haben.] Zusammen mit der Abhandlung Mendelssohns ('Über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften') und zwei weiteren Preisschriften wurde dann Kants Abhandlung unter dem oben erwähnten Titel Frühjahr 1764 auf Kosten der Akademie gedruckt.
Der Titel deckt sich nur teilweise mit dem Inhalt. Die Frage der Akademie hatte gelautet: "Man will wissen: ob die Metaphysischen Wahrheiten überhaupt, und besonders die ersten Grundsätze der Theologiae naturalis und der Moral, eben der deutlichen Beweise fähig sind als die geometrischen Wahrheiten, und welches, wenn sie besagter Beweise nicht fähig sind, die eigentliche Natur ihrer Gewißheit ist, zu was vor einem Grade man gemeldete Gewißheit bringen kann, und ob dieser Grad zur völligen Überzeugung zureichend ist?" Diese Frage entsprach nicht bloß dem Zeitinteresse, sondern lag auch ganz in der Richtung der Probleme, die Kants Inneres seit Jahren beschäftigten. Seine Schrift trägt denn auch, mehr als der etwas verschwommene Titel erkennen läßt, methodologischen Charakter. Beinahe schon an den späteren, kritischen Standpunkt erinnert die Forderung der knapp gefaßten Einleitung nach einer "unwandelbaren Vorschrift der Lehrart". Denn, dass sie nicht dogmatisch gemeint ist, beweist schon der Name, der nun folgt: "sowie Newtons Methode in der Naturwissenschaft die Ungebundenheit der physischen Hypothesen in ein sicheres Verfahren nach Erfahrung und Geometrie veränderte". Die Beziehung auf die Erfahrung wird überhaupt kräftig betont: "sichere Erfahrungsgrundsätze und daraus gezogene unmittelbare Folgerungen" sollen den Inhalt seiner Abhandlung bilden. Dagegen darf die Philosophie nicht einseitig die mathematische Methode nachahmen wollen. Die Mathematik verfährt synthetisch, betrachtet das Allgemeine konkret, besitzt nur wenige unbewiesene Sätze; die Philosophie dagegen muß analytisch vorgehen, liebt die Abstraktion, ist voll unerweislicher Sätze. Jene kann mit Definitionen beginnen, diese allenfalls damit enden. Analog Newtons naturwissenschaftlicher Methode muß sie vielmehr von "sicheren", wenn auch "inneren", Erfahrungen, nämlich dem "unmittelbaren augenscheinlichen Bewußtsein" ausgehen und verworrene Erkenntnisse zu klaren Begriffen gestalten. Zu einem synthetischen Aufbau, wie ihn die Mathematik gibt, ist in der Metaphysik "noch lange die Zeit nicht" da.
So die beiden ersten Kapitel der für Kants philosophische Entwicklung überaus wichtigen Schrift. Erst gegen Ende des dritten wird dann, in einem gewissen Widerspruch dazu, behauptet und in der vierten "Betrachtung" ausgeführt, dass gleichwohl verschiedene unbeweisbare Sätze der Metaphysik ebenso sicher sein können als die mathematischen. Dazu gehört vor allem der Gegenstand der natürlichen Religion: Gott, insofern er als die alleinige Ursache alles Seienden gefaßt wird; während seine "freien" Handlungen (Vorsehung, Gerechtigkeit, Güte) freilich nur annähernde, nämlich moralische Gewißheit beanspruchen können.
Auf die Ethik war auch schon die Abhandlung von den negativen Größen zu sprechen gekommen, indem sie ein "inneres Gesetz", sei es nun "bloß das Gewissen" oder auch "das Bewußtsein eines positiven Gesetzes", als Grundlage unseres sittlichen Handelns annimmt. Jetzt erfolgt ein weiterer Schritt zur kritischen Ethik hin. Es wird – durch langes Nachdenken sei der Verfasser dazu gekommen – ein "erster formaler Grund aller Verbindlichkeit zu handeln" von den "materialen Grundsätzen der praktischen Erkenntnis" unterschieden und in die Formel zusammengefaßt: "Tue das Vollkommenste, was durch Dich möglich ist."
Doch der Philosoph fühlte selbst, dass sein Denken noch in der Entwicklung begriffen sei. Er schmeichelte sich zwar, wie er dem Sekretär der Akademie (Formey) am 28. Juni 1763 schrieb, "dem Ziele sehr nahe" zu sein, und er beabsichtigte eben damals, stine Schrift "beträchtlich" erweitert herauszugeben, weil er meinte, dass von seiner Methode allein "ein glücklicher Ausgang vor die abstrakte Philosophie zu erwarten" stehe. Allein er hat, trotz der sofort erteilten Zustimmung Formeys, dieses Vorhaben dennoch nicht ausgeführt: offenbar, weil er eben doch seiner selbst noch nicht sicher genug war. In der Moral speziell war er damals noch geneigt, alles auf das Gefühl des Guten zurückzuführen, wie der Schotte Hutcheson und andere (er denkt wohl an Shaftesbury) es unter dem Namen des "moralischen Gefühls" begonnen hätten. Jedenfalls müsse erst noch ausgemacht werden – mit diesem Gedanken schließt die Preisschrift —, ob in der Ethik das Erkenntnisvermögen oder das Gefühl "die ersten Grundsätze entscheide."
Die 'Beobachtungen über das Gefühl des
Schönen und Erhabenen' (1764)
Zeigten uns die soeben charakterisierten vier Schriften aus den Jahren 1762—1764 den durch Hume und die englischen Moralphilosophen stark beeinflußten wissenschaftlich-philosophischen Standpunkt Kants um jene Zeit, so sind für das Verständnis seiner Persönlichkeit von unmittelbarerer Bedeutung die in der Waldesluft von Moditten niedergeschriebenen, Ende 1763 oder Anfang 1764 veröffentlichten 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen'. Hier haben wir einen ganz anderen Kant vor uns als den heute dem größeren Publikum bekannten. Schon in der äußeren Form. Hier schreibt er in kurzen, leicht verständlichen Sätzen, anmutig, witzig, geistreich, ja poetisch, so dass der an die Lektüre der schwierigen kritischen Hauptwerke gewöhnte Schiller sogar den Stil "für die ernsthafte Materie etwas zu spielend und blumenreich" fand (an Goethe, 10. Februar 1795). In der "mehr mit dem Auge eines Beobachters als des Philosophen" rasch hingeworfenen Schrift herrscht dieselbe heitere Laune, praktische Menschenerfahrung und ausgebreitete Literaturkenntnis, welche die Zuhörer seiner populären Vorlesungen damals und später fesselte. Der angeblich aller Poesie abholde Philosoph berücksichtigt hier von den Epikern die Homer und Vergil ebenso wie die Milton und Klopstock, den melancholischen Young und den ernsten Haller ebenso wie die anakreontischen und Schäfergedichte seiner Zeit, die sein männlicher Geschmack mit Recht "gemeiniglich sehr nahe beim Läppischen" findet, von den französischen Feenmärchen zu schweigen, als den "elendesten Fratzen, die jemals ausgeheckt wurden"; er kennt den Sittenschilderer der Feder Labruyère ebensogut wie den des "Grabstichels", den Engländer Hogarth. Das rechte Verständnis für die Schönheit der Volksdichtung fehlt ihm freilich durchaus: gegenüber dem "Edlen" der Äneis fällt Homer (wie Milton) seiner Ansicht nach "ins Abenteuerliche"! Bezeichnend ist auch die Art seines Naturgefühls. Dem Sohn der Tiefebene erregt der bloße Gedanke an ein Gebirge, "dessen beschneite Gipfel sich über Wolken erheben", zwar auch ein Wohlgefallen, aber "mit Grausen" vermischt, wogegen "blumenreiche Wiesen, Täler mit schlangelnden Bächen, bedeckt von weidenden Herden" fröhlichangenehme Empfindungen in ihm erwecken.
Übrigens sind die 'Beobachtungen' im Grunde weniger ästhetischen als moral-psychologischen Inhalts. "Die Ausführung ist