Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe)
Rittern machte es jedoch ein großes Vergnügen, so von sich selber reden zu hören, und sie lachten nur über seine Keckheit.
»Du bist ein freches Bürschlein,« rief Raniero ihm zu, »nun laß uns aber hören, worauf das hinauskommen soll!«
Und der Narr sprach weiter: »Endlich redete unser Heiland ein paar Worte, die Sankt Peter aufklärten, worüber er sich so sehr gefreut hatte. Er fragte Sankt Peter, ob er sich irre oder ob es sich wirklich so verhielte, daß einer der Ritter ein brennendes Licht neben sich stehen habe.« Bei diesen Worten zuckte Raniero zusammen. Zornig griff er nach einer schweren Weinkanne, um sie dem Narren ins Gesicht zu schleudern, aber er bezwang sich, um erst zu hören, ob der freche Gauch zur Ehre oder Unehre seines Namens reden würde.
»Sankt Peter gewahrte nun,« erzählte der Narr weiter, »daß jenes Zelt zwar ganz von Fackeln erleuchtet war, daß aber neben einem der Ritter wirklich eine brennende Wachskerze stand. Es war eine hohe, dicke Kerze, die bestimmt war, vierundzwanzig Stunden hintereinander zu brennen. Da der Ritter keinen Leuchter besaß, hatte er, um sie feststehend zu erhalten, eine Menge Steine um sie her aufgehäuft.«
Bei diesen Worten brach die Tischgesellschaft in ein lautes Gelächter aus. Alle wiesen auf eine Kerze hin, die neben Raniero auf dem Tisch stand, und die ganz genau der Beschreibung des Narren entsprach. Doch Raniero stieg das Blut zu Kopfe, denn es handelte sich um die Kerze, die er vor einigen Stunden am heiligen Grabe hatte anzünden dürfen. Er konnte sich nicht entschließen, sie erlöschen zu lassen.
»Als Sankt Peter diese Kerze sah, wußte er allerdings, worüber sich unser Heiland so innig freute, aber er konnte es dennoch nicht lassen, mitleidig über ihn zu lächeln. ›Ach so,‹ sagte er, ›das war jener Ritter, der morgens hinter dem Grafen von Bouillon als erster die Mauer erstieg, und der am Abend vor allen anderen sein Licht am heiligen Grabe anzünden durfte.‹ – ›Ja, so ist es,‹ antwortete unser Heiland, »und wie Du siehst, hat er sein Licht noch brennen.‹«
Der Narr sprach jetzt sehr schnell, während er von Zeit zu Zeit Raniero lauernd anblickte. »Sankt Peter konnte es noch immer nicht lassen, unseren Heiland ein wenig spöttisch anzulächeln. ›Kannst Du denn nicht begreifen, weshalb er jenes Licht weiterbrennen läßt?‹ fragte er. ›Du glaubst gewiß, daß er an Deine Qualen und an Deinen Tod denkt, wenn er es betrachtet. Aber der denkt an gar nichts anderes als an die Ehre, die ihm erwiesen wurde, da man ihn nächst Gottfried von Bouillon als den tapfersten Helden des Heeres anerkannte.‹« Bei diesen Worten lachten alle Gäste Ranieros. Und er bezwang seinen heftig auflodernden Zorn und lachte auch, wußte er doch genau, daß alle es höchst lächerlich finden würden, wenn er nicht auf den Scherz einginge.
»Aber unser Heiland widersprach seinem lieben Sankt Peter und fragte ihn: ›Merkst Du denn nicht, wie besorgt er um die Wachskerze ist? Er schützt die Flamme mit der Hand, sobald jemand den Zeltvorhang lüftet, weil er fürchtet, ein Luftzug könnte sie verlöschen. Und er hat unablässig mit dem Abwehren der Nachtfalter zu tun, die um das Licht schwirren und die Flamme zu ersticken drohen.‹«
Das Gelächter wurde noch ausgelassener, denn der Narr hatte die reine Wahrheit gesagt. Raniero hatte immer größere Mühe, sich zu beherrschen. Er glaubte, es nicht zu ertragen, daß jemand mit der heiligen Lichtflamme seinen Spott trieb.
»Gleichwohl war Sankt Peter mißtrauisch,« fuhr der Narr fort. »Er fragte unseren Heiland, ob er jenen Ritter kenne, und sprach: ›Er ist nicht gerade einer, der häufig zur Messe geht oder den Betschemel sehr abnutzt.‹ Aber unser Heiland ließ sich nicht irre machen und sprach in feierlichem Tone: ›Sankt Peter, Sankt Peter! Denke daran, was ich Dir sage. Jener Ritter wird von nun an frommer werden als Gottfried! Woher sollten Milde und Frömmigkeit auch ausgehen, wenn nicht von meinem Grabe? Du wirst Raniero di Ranieri noch Witwen und bedrängten Gefangenen helfen sehen. Du wirst ihn noch sehen, wie er Kranke und Betrübte pflegen und behüten wird, so wie er eben jetzt die heilige Lichtflamme behütet.‹«
Ein maßloses Gelächter unterbrach den Narren. Alle, die Ranieros Art und Leben kannten, fanden das alles sehr spaßhaft. Ihm selber jedoch war Scherzen und Lachen vergangen. Er sprang auf und wollte den Narren handgreiflich zurechtweisen. Dabei stieß er so heftig gegen den Tisch – der nichts anderes war als eine auf lose Bücke gelegte Tür – daß dieser wackelte und die Kerze umfiel. Nun aber erwies sich, wieviel Raniero daran lag, das Licht brennend zu erhalten. Er überwand seinen Jähzorn und ließ sich ruhig Zeit, das Licht aufzurichten und die Flamme wieder zu entfachen. Aber als er damit fertig war, war der Narr längst aus dem Zelt geeilt, und Raniero sagte sich, daß es sich nicht der Mühe lohne, ihn im Dunkel der Nacht zu verfolgen. »Ich treffe ihn schon ein andermal,« murrte er und setzte sich nieder.
Die Tischgenossen hatten indessen ihr Gelächter eingestellt, aber einer von ihnen wandte sich an Raniero, um den Scherz fortzusetzen. »Eins steht aber fest, Raniero, diesmal wirft Du der Madonna in Florenz nicht Deine kostbarste Kriegsbeute senden können.«
Raniero fragte ihn, weshalb er wohl, nach seiner Meinung, gerade diesmal seinem alten Brauche nicht treu bleiben sollte. Und der Ritter antwortete:
»Aus dem einen Grunde, weil das kostbarste Gut, das Du diesmal errungen hast, jene Lichtflamme ist, die Du angesichts des ganzen Heeres in der heiligen Grabeskirche entzünden durftest. Und die wirst Du doch wohl nicht nach Florenz senden können.«
Und wieder lachten die anderen Ritter, aber Raniero war jetzt in einer solchen Gemütsverfassung, daß er die allerverwegenste Tat hätte vollbringen können, nur um ihrem Gelächter ein Ende zu machen. Kurz entschlossen rief er einen alten Waffenträger herbei und sagte zu ihm: »Rüste Dich zu einer langen Fahrt, Giovanni! Morgen sollst Du mit dieser heiligen Lichtflamme nach Florenz ziehen.«
Aber der Waffenträger setzte diesem Befehl ein festes Nein entgegen und sagte: »Das ist etwas, was ich nicht auf mich nehmen werde. Wie sollte es wohl möglich sein, mit einer Lichtflamme nach Florenz zu reiten? Sie würde erloschen sein, ehe ich noch dieses Lager verlassen hätte.«
Raniero fragte einen seiner Mannen nach dem anderen. Von allen wurde ihm die gleiche Antwort zuteil. Sie schienen seinen Befehl kaum für Ernst zu halten.
Die fremden Ritter, die Ranieros Gäste waren, lachten immer lauter und lustiger, als es sich erwies, daß keiner von seinen Mannen seinen Befehl ausführen wollte.
Raniero geriet in immer größere Erregung. Schließlich verlor er die Geduld und rief aus: »Diese Lichtflamme wird dennoch nach Florenz gebracht werden, und da kein anderer damit hinreiten will, werde ich es selber tun.«
»Bedenke Dich wohl, ehe Du solches gelobst!« rief ein Ritter. »Du verläßt ein Fürstentum.«
»Ich schwöre es Euch, daß ich diese Lichtflamme nach Florenz bringen werde!« rief Raniero. »Ich werde etwas vollbringen, was kein anderer auf sich nehmen wollte.«
Der alte Waffenträger verteidigte sich. »Herr, für Dich ist es ein ander Ding. Du kannst ein großes Gefolge mitnehmen, mich aber wolltest Du allein aussenden.«
Doch Raniero war wie außer sich und überlegte seine Worte nicht mehr. Er sprach: »Auch ich werde allein hinziehen.« Und damit hatte Raniero seinen Zweck erreicht. Alle im Zelt Anwesenden hörten auf zu lachen. Entsetzt saßen sie da und starrten ihn an.
»Warum lacht Ihr nun nicht mehr?« fragte Raniero. »Dieses Vorhaben ist doch nur ein Kinderspiel für einen tapferen Mann.«
3
In der Morgendämmerung des nächsten Tages stieg Raniero zu Pferde. Er war in voller Rüstung, hatte aber einen groben Pilgermantel um die Schultern geworfen, damit der Panzer nicht gar zu sehr von den Sonnenstrahlen durchglüht würde. Er war mit Schwert und Keule bewaffnet und ritt ein gutes Pferd. In der Hand hielt er eine brennende Kerze, und am Sattel hatte er ein mächtiges Bündel langer Wachskerzen befestigt, um die Flamme nicht aus Mangel an Nahrung hinsterben Zu lassen.
Raniero ritt langsam durch