Walter Benjamin

Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe)


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er sich im Schlaf der Länge nach aus und schlief bis zum Morgen.

      Als er erwachte, sah er weder die Lichtflamme noch die Kerze. Er durchsuchte das Stroh, fand sie aber nirgends und sagte sich: »Irgend jemand wird sie mir abgenommen und verlöscht haben.«

      Und er wollte sich selber glauben machen, daß er froh sei, weil nun alles aus und vorbei wäre und er ein an sich unmögliches Vorhaben nun endlich aufgeben mußte.

      Aber bei diesem Gedanken empfand er zugleich eine gewisse Leere und eine tiefe Sehnsucht.

      Er glaubte, noch niemals ein stärkeres Verlangen nach dem Gelingen eines Unternehmens gehabt zu haben als eben jetzt.

      Er führte sein Pferd hinaus, striegelte es und legte ihm den Sattel an.

      Als er fertig war, kam der Wirt der Karawanserei mit einer brennenden Kerze auf ihn zu und sagte in fränkischer Mundart: »Ich mußte Dir gestern Dein Licht aus der Hand nehmen, weil Du fest eingeschlafen warst, aber hier gebe ich es Dir zurück.«

      Raniero ließ ihn nichts von seinen Empfindungen merken, sondern sagte ganz ruhig: »Du hast klug daran getan, das Licht auszulöschen.«

      »Ich habe es nicht ausgelöscht,« sagte der Mann. »Ich sah, daß Du es brennend herbrachtest, und so dachte ich, es könnte für Dich Gewicht haben, daß es weiter brenne. Wenn Du siehst, wieviel kürzer es geworden ist, wirst Du erkennen, daß es die ganze Nacht durch gebrannt hat.«

      Raniero strahlte vor Freude. Er belobte den Wirt recht herzlich und ritt in bester Stimmung weiter.

      4

       Inhaltsverzeichnis

      Als Raniero von Jerusalem aufbrach, beabsichtigte er, den Seeweg von Jaffa nach Italien zu nehmen. Er änderte jedoch diesen Beschluß, nachdem die Räuber ihn seines Geldes beraubt hatten, und wählte den Weg über Land.

      Es war eine lange Reise. Von Jaffa nordwärts zog er an der syrischen Küste entlang. Dann ging die Reise nach Westen, längs der Halbinsel von Kleinasien. Und wieder ging es nördlich nach Konstantinopel hinauf. Von dort hatte er noch eine reichlich lange Strecke bis nach Florenz zurückzulegen. Während dieser ganzen Zeit lebte Raniero von milden Gaben.

      Zumeist waren es Pilger, die nun in Massen nach Jerusalem strömten, die ihr kärgliches Brot mit ihm teilten. Obwohl Raniero oft ganz allein ritt, wurde ihm niemals die Zeit lang, auch verstrichen seine Tage nicht einförmig. Er mußte stets die Lichtflamme schützen, die ihn nie sorglos sein ließ. Nur eines Windstoßes oder eines Regentropfens bedurfte es ja, und es wäre aus und vorbei mit ihr gewesen.

      Während Raniero auf einsamen Wegen ritt und nur daran dachte, die Lichtflamme am Leben zu erhalten, fiel ihm plötzlich ein, daß er schon früher einmal etwas Aehnliches beobachtet haben müsse. Er hatte einst einen Menschen über etwas wachen sehen, was ebenso schonungsbedürftig war wie eine Lichtflamme. Das Ganze stand ihm vorerst so unklar vor Augen, daß er sich fragte, ob er es vielleicht nur geträumt hätte. Aber während er einsam durch das Land zog, kam ihm unablässig der Gedanke wieder, daß er bereits früher einmal Aehnliches beobachtet haben müsse.

      »Es ist, als hätte ich Zeit meines Lebens von gar nichts anderem reden hören,« sagte er.

      Eines Abends ritt Raniero in eine Stadt hinein. Es war Feierabend, und die Frauen standen in den Türen und schauten nach ihren Männern aus. Eine unter ihnen war hochgewachsen und schlank, sie hatte tiefernste Augen. Bei ihrem Anblick dachte er an Francesca degli Uberti.

      Und nun wurde ihm plötzlich klar, worüber er vorher nachgegrübelt hatte. Er mußte daran denken, daß Francescas Liebe sicherlich einer Lichtflamme geglichen hatte, die sie stets brennend erhalten wollte, in steter Furcht, daß Raniero sie in ihrem Herzen auslöschen könnte. Er wunderte sich selber über diesen Gedanken, war aber mehr und mehr davon durchdrungen, daß es sich ganz so verhielt. Und er begann zum erstenmal zu begreifen, weshalb Francesca ihn verlassen hatte, und daß Waffenruhm sie ihm nicht wiederzugewinnen vermochte.

      * * *

      Die Reise Ranieros ging nur sehr langsam vonstatten. Und nicht zum wenigsten deshalb, weil er sie bei jedem ungünstigen Wetter unterbrechen mußte. Er saß dann in irgend einer Karawanserei und bewachte die Lichtflamme, das waren sehr schwere Tage.

      Als nun Raniero eines Tages über den Libanon ritt, merkte er plötzlich, daß ein Unwetter im Anzug war. Er befand sich hoch oben zwischen und über gefährlichen Schluchten und Abgründen, weit entfernt von allen menschlichen Behausungen. Endlich gewahrte er auf einem Felsenvorsprung ein sarazenisches Heiligengrab. Es war ein kleiner, viereckiger Steinbau mit einem gewölbten Dach. Er hielt es für das beste, dort Zuflucht zu suchen.

      Kaum war Raniero eingetreten, als ein Schneesturm losbrach, der zwei Tage raste. Zugleich wurde es so entsetzlich kalt, daß er fast erfroren wäre.

      Raniero wußte zwar, daß es draußen auf dem Berge Zweige und Reisig im Ueberfluß gab, so daß es ihm nicht schwer geworden wäre, Brennholz genug für ein tüchtiges Feuer zu sammeln. Er betrachtete jedoch die Lichtflamme, die er trug, als so heilig, daß er nichts anderes damit anzünden wollte als die Kerzen vor dem Altar der heiligen Jungfrau.

      Das Unwetter wurde immer heftiger, und schließlich kam ein wütendes Gewitter mit Blitz und Donner.

      Und ein Blitzstrahl schlug dicht vor dem Grabe ein und zündete einen Baum. Und dadurch hatte Raniero Feuer für seinen Holzstoß, ohne daß er die heilige Flamme antasten mußte.

      * * *

      Als Raniero dann später durch einen verödeten Teil der Berggegend von Cilicien ritt, ging es mit seinen Kerzen zur Neige. Der Vorrat, den er aus Jerusalem mitgenommen hatte, war längst verbraucht. Er war aber nicht in Verlegenheit geraten, weil er bisher noch immer an christlichen Gemeinden vorbeigekommen war, von denen er sich neue Kerzen erbetteln konnte.

      Doch nun war es mit seinem ganzen Vorrat aus, und er fürchtete, seine Pilgerfahrt müsse ein vorzeitiges Ende nehmen.

      Als die Kerze so tief heruntergebrannt war, daß die Flamme ihm beinahe seine Hand versengte, sprang er vom Pferde herab, sammelte Zweige und verdorrtes Gras und entzündete dies mit dem brennenden Kerzenstümpfchen. Aber es gab nicht viel Brennbares auf dem öden Berge, und das Feuer schien bald zu verlöschen.

      Indessen Raniero sich noch darüber grämte, daß die heilige Flamme nun doch hinsterben solle, vernahm er vom Wege her frommen Gesang und sah, daß eine Prozession von Wallfahrern, mit Kerzen in den Händen, den Berg erstieg. Sie waren auf dem Wege zu einer Felsenhöhle, in der ein heiliger Mann gelebt hatte, und Raniero schloß sich ihnen an. Es war auch eine Greisin unter ihnen, der das Gehen recht schwer wurde. Dieser half Raniero, indem er sie bergan schleppte.

      Als sie ihm dankte, bat er sie durch Zeichen um ihre Kerze, die sie ihm alsogleich gab, woraus auch noch mehrere andere ihm die Kerzen schenkten, die sie in ihren Händen trugen.

      Schnell löschte er alle aus, eilte den Pfad hinab und entzündete eine der Kerzen an der letzten Glut des Feuers, das durch die heilige Flamme entstanden war.

      * * *

      Eines Tages war es um die Mittagsstunde sehr heiß geworden, und Raniero hatte sich im dichten Gebüsch zum Schlafen niedergelegt. Er war fest eingeschlafen, und seine brennende Kerze stand zwischen mehreren Steinen neben ihm. Bald nachdem er eingeschlummert war, begann es zu regnen, und es dauerte ziemlich lange, bis er erwachte. Als er endlich aus dem Schlaf emporfuhr, war der Boden ringsumher naß, und er wagte kaum, nach der Kerze hinzublicken, aus Furcht, daß sie erloschen sein könnte.

      Aber sie brannte still und gleichmäßig im Regen, und Raniero erkannte auch bald den Grund dieser Erscheinung: Zwei kleine Vöglein flogen flatternd über der Flamme hin und her. Sie schnäbelten sich und hielten ihre kleinen Schwingen ausgebreitet, wodurch sie die Lichtflamme vor dem Regen schützten.

      Raniero nahm sofort seine Kappe ab und hängte sie über die Kerze. Dann streckte er die Hand nach