Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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Zügen zu schreiben.

      Sie hatte den Brief noch nicht vollendet, als vom See herauf ein jubelnder Schrei tönte. »Lo! Lo! Wir haben eine riesige Forelle gefangen.« Und Gustl jauchzte, daß es weit hinaufhallte über die steilen Berge.

      Als Lolo den Brief an die Mutter geschlossen hatte, ging sie zum See hinunter.

      Gustl kam ihr entgegengesprungen, mit der Forelle in den erhobenen Händen. »Schau nur, Lo! Und drei andere haben gebissen. Aber die ist schön, gelt? Die ist schön?«

      Gar so »riesig« war die Forelle nun freilich nicht, aber ein Pfund mochte sie immerhin wiegen.

      »Ja, die ist schön. Ich nehme sie dann gleich mit hinauf. Die koch ich dir heut zu Mittag.«

      »Aber Lo! Ich habe die Forelle doch für dich gefangen.«

      Lächelnd sah sie dem Knaben in das vor Freude glühende Gesicht. »Wie gut du bist! Aber wir teilen, gelt?« Sie wandte sich an den Hüterbuben. »Loisli! Du wirst heim müssen. Jetzt warst du schon über eine Stunde da, und der Vater wird dich bei der Arbeit brauchen. Magst du mir noch einen Gefallen erweisen?«

      Der Bub legte die Angelrute nieder.

      »So trag mir diesen Brief zum Sebener Senn hinunter. Er soll ihn mit hinausnehmen nach Leutasch, für meine Mutter.«

      Zwei Stunden später wurde im Schatten des Harfenbaumes Tafel gehalten. Nach der blauen Forelle gab's noch einen Pfannkuchen, von welchem Gustl meinte, daß er den Pfauenzungen des Lukullus unbedingt vorzuziehen wäre. Und in den Gläsern funkelte » vinum sacrum Sebenianum«, heiliger Sebenwein, wie Gustl das klare Quellwasser getauft hatte. Fast aber wäre die ganze schöne Bescherung dieses Mahls auf der Erde gelegen, denn ein Windstoß blähte das Tischtuch wie ein Segel auf. Das war für Gustl eine lustige Würze des Schmauses, und lachend trocknete er den vinum sacrum von seiner Lederhose, auf die das umgeschleuderte Glas gefallen war.

      Als er der Schwester bei Abdecken des Tisches half, rollte ein dumpfer Hall über die Berge hin.

      »War das Donner, Lo?«

      »Nein.«

      Hoch droben in einem der Felsenkare, in stundenweiter Ferne, war ein Schuß gefallen.

      Schweigend spähte Lo zu dem Felsgewirr hinauf, dessen Konturen in weißlichem Dunst verschwammen. Während zarte Röte ihre Wangen färbte, sprach es wie Sorge aus ihrem Blick. Wenn Jäger dort oben waren, dann durften sie sich eilen mit der Heimkehr!

      »Wenn nicht Donner, was war es dann?«

      Lo überhörte die Frage des Bruders, und nach einer Weile sagte sie: »Das Wetter kommt. Hinter der Sonnenspitze ziehen schon die ersten Wolken herauf. Eine Stunde, und der ganze Himmel wird grau sein!«

      Wohl schob sich die stahlblaue Wolkenmasse mit ihren zerrissenen Rändern nur langsam über die Berge. Aber von allen Wänden begann es aufzudampfen, überall in den Lüften wuchsen die Nebel aus dem Blau und flossen mit dem heranziehenden Gewölk zu einer dichten, grauen Decken zusammen, die alle Höhen verhüllte. Dennoch schien es, als wollte die Spannung der Atmosphäre sich friedlich wieder lösen. Windstille trat ein, das Ziehen und Drängen der Wolken wurde ruhiger, und gegen fünf Uhr nachmittags begann ein leichter, gleichmäßiger Regen zu fallen.

      Auf der Schwelle der Hüttentür saßen die Geschwister im Schutze des vorspringenden Daches. Gustl, der jeden Wechsel im Wolkenbild des Himmels gespannt verfolgte, plauderte mit erregter Unermüdlichkeit. Die Schwester hörte nur halb. In Sorge blickte sie immer wieder zu den umschleierten Bergen auf und über den See hinüber zu den Latschenfeldern, zwischen deren Büschen man die im Nebel verschwindenden Serpentinen eines Steiges kaum noch gewahren konnte. Das beklommene Wesen der Schwester fiel dem Knaben auf, und er fragte: »Lo? Was hast du denn?«

      »Ich weiß nicht. Aber dieses Wetter heute –«

      »Der Regen läßt ja schon nach. Wirst sehen, wir werden heute noch den schönsten Abend bekommen.«

      »Meinst du?« Ein seltsames Lächeln.

      Während der Knabe sein Geplauder wieder begann, wurde der Regen immer dünner. Aber es war etwas Schwüles und Unheimliches in dieser trüben Stille der Natur. Das Gewölk hing regungslos in der Luft und färbte sich immer dunkler. Zu einer Stunde, in der es bei klarem Himmel noch heller Tag hätte sein müssen, begann es schon zu dämmern. Und da hörte man fernen Donner. Der Sturm fiel ein und jagte mit brausenden Stößen den Nebel in dichten Schwaden über das Seetal herunter, so daß die kleine Hütte wie von wirbelnden Schleiern umhangen war. Immer näher tönte das Rollen des Donners, dieses Grollen und Dröhnen setzte nicht mehr aus; das Echo eines Schlages rollte so lange, bis mit Geschmetter ein neuer Schlag wieder einfiel.

      Als der Sturm gekommen, hatte Lo in der Hütte die Lampe entzündet und an den zwei kleinen Fenstern die Läden geschlossen. Bei Einbruch der Dunkelheit öffnete sie plötzlich den Laden des Fensters wieder, das gegen die Berge blickte.

      »Lo? Warum tust du das?«

      »Damit die Lampe hinausleuchtet.«

      »Meinst du, es könnten noch Menschen draußen sein? Jetzt?«

      »Ja, ich fürchte.«

      Schweigend begann sie den Tisch zum Tee zu decken und schürte im Herd ein kleines Feuer an.

      Gustl, der unter die Tür getreten war, fuhr plötzlich erschrocken zurück. Der erste Blitz war in das finstere Seetal hinuntergefahren. Man hatte keinen Strahl gesehen, aber der Nebel, den der Sturm an der Hütte vorüberjagte, war wie in lohendes Feuer verwandelt, und dazu rasselte ein Donnerschlag, als wäre von den Bergen eine Felswand niedergebrochen.

      Lo trat unter die Tür und faßte wortlos die Hand des Bruders.

      Wieder flammte ein Blitz, und schwer begann der Regen zu fallen. Plätschernd ging von allen Kanten des Daches die Traufe nieder, und mit dem Rauschen des Regens mischte sich das Brausen des wachsenden Sturmes. Da erwachte auch in Gustl eine Sorge. Er hatte an die Mutter gedacht und fragte: »Lo? Meinst du, daß es draußen bei uns in Leutasch auch so schlimm ist?«

      »Nein.«

      Der Sturmwind peitschte die Wasserfäden der Traufe bis auf die Schwelle der Hüttentür.

      »Komm, Lo, wir müssen die Tür schließen. Dein Kleid wird naß.«

      Sie schwieg und blieb auf der Schwelle stehen.

      »Aber Lo, was hast du denn nur? Ach, du, wie deine Hand zittert! Lo?«

      Ohne zu antworten, drückte sie den Knaben an sich. Plötzlich fuhr sie lauschend auf, sprang in den Regen hinaus und stammelte: »Sie kommen!«

      Nun konnte auch Gustl das Klirren eines Bergstockes und eine vom Sturm verwehte Stimme hören.

      Lo hatte einen klingenden Laut in die Nacht hinausgeschrien, und als zwei Stimmen Antwort gaben, rief sie: »Herr Fürst? Sind Sie es?«

      »Ja, Fräulein!« Man hörte ein Lachen, das im Lärm des Regens unterging. »Ihre Hütte kommt uns gut in den Weg.«

      Lo sprang in den Schutz des Daches zurück, schüttelte die Regentröpfen aus dem Haar und lächelte, als wäre alle Sorge der letzten Stunde von ihr abgefallen.

      Man hörte die Schritte der beiden Männer, die den Zaun umgingen, und die Stimme des Jägers: » Da bin ich, Duhrlaucht, da! Zehn Schritt gradaus! Jetzt wieder links! Soooo, jetzt haben wir's gleich.«

      Gustl erkannte die Stimme. »Lo! Das ist ja der Pepperl! Wer ist denn der andere?«

      »Fürst Ettingen!« sagte sie und nahm den Knaben um den Hals.

      »Der so lieb und gut vom Vater gesprochen hat?«

      »Ja!«

      »Gott sei Dank, daß der jetzt unterstehen kann bei uns!«

      Ein Blitz durchleuchtete grell den Nebel, als die beiden Männer in den Garten traten. Die Helle blendete die Augen, und