Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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ungebührlich über mich geäußert hätte. Und würde mir gedacht haben, er weiß nicht, was er redet. Will er bleiben, so erweisen Sie mir den Gefallen, Herr Förster, und seien Sie gut zu ihm. Machen Sie ihm den Dienst so leicht wie möglich! Es sollte mich freuen, wenn er sein Unrecht einsähe und seine Stellung bei mir noch liebgewänne.« Ettingen nickte einen stummen Gruß und verließ die Hütte.

      Der Förster vermochte vor Erregung kaum zu sprechen. »Da schau her, du!« sagte er, dicht vor Mazegger hintretend. »So is der Herr Fürst! Und wie bist du? Jetzt tu, was d' magst! Geh oder bleib! Ich will's halten, wie's der Herr Fürst von mir verlangt hat. Der gachzornige Katzensprung von neulich soll dir vergessen sein! Aber wenn ich dir noch a letztes Mal im guten raten därf – sei gscheit, Toni, und schlag dir um Gottes willen die unsinnige Narretei aus'm Kopf! Nimm Vernunft an, Bub, und verscherz dir wegen nix und wieder nix net an Posten, wo dir an ehrenhafte Stellung fürs ganze Leben machen kannst! Mehr hab ich nimmer z'sagen. Bhüt dich Gott!« Er ging.

      Als er draußen am Fenster vorüberschritt, sah er, daß der Jäger noch immer mitten in der Stube stand, wie er ihn verlassen hatte.

      Mazegger lächelte. Er durfte bleiben, wo es ihn festhielt mit allen Klammern seiner Leidenschaft. Alles andere war ihm gleichgültig.

      Als er den Schritt des Försters verklingen hörte, hob er das Gesicht. »Nach Ehrwald?« Wieder lächelte er. Nach Ehrwald gab es zwei Wege, von denen der eine nicht weit am Sebensee vorüberführte. Und am verwichenen Abend, als Mazegger neben der Geißtaler Almstraße im Wald gelegen, war Lolo Petri an ihm vorübergewandert, das Grautier führend, auf dem ihr Bruder ritt. –

      Nachmittags, gegen vier Uhr, wanderte Ettingen mit Pepperl, der im schwer gepackten Rucksack den Proviant für zwei Tage trug, zur Jagdhütte im Sebenwald.

      Ettingen was schweigsam. Der Auftritt mit dem Jäger ging ihm nach, und immer wieder mußte er sich fragen: Was hab ich diesem Menschen getan, warum haßt er mich?

      Und Pepperl trug auf seinem Herzen einen Binkel Sorgen , nicht minder schwer als der Pack auf seinem Rücken. Ein Zufall hatte ihm wohl seine »Verantwortigung« ein bißchen erleichtert; von Innsbruck war am Nachmittag eine Touristengesellschaft, die zur Zugspitze wollte, auf der Tillfußer Alm eingetroffen und hatte sich für die Nacht in der Sennhütte einquartiert. Bis zum nächsten Morgen also war das »dumme Gansl« außer Gefahr! Aber dann? Zwei unbehütete Tage! Bei dem Gedanken, was in einer solchen »Ewigkeit« alles geschehen konnte, lief es dem Praxmaler-Pepperl kalt durchs Herz, obwohl ihm von der Stirn die heißen Perlen über den Schnurrbart kollerten. Seufzend nahm er das Hütl ab, trocknete sich mit dem Taschentuch das Gesicht und erklärte innerlich dem alten Brenntlinger: »Mein lieber Mensch! Wenn jetzt was gschieht – ich kann nix dafür! Ich bin außer Verantwortigung!« –

      Während des stillen Marsches dieser beiden ging es im Jagdhaus laut und lebendig zu. Schon um fünf Uhr war ein mit vier Pferden bespannter Planwagen eingetroffen, der hoch mit großen Ballen und Kisten beladen war. Und während der Dekorateur und seine Gehilfen im Grafenstüberl schon zu hämmern und zu kleistern begannen, überwachte der Förster im Hof das Auspacken der Kisten und Ballen, aus denen so zierliche und kostbare Geräte, so zarte Seidenstoffe und so merkwürdige »Sacherln« zum Vorschein kamen, daß Kluibenschädl und die Küchenmagd sich vor Staunen und Wundern kaum zufassen wußten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit ging es im Jagdhaus zu wie in einem Bienenkorb. An diesem Hasten, Schleppen und Rennen beteiligte sich nur eine einzige nicht: die Jungfer Köchin.

      Sie erschien nur manchmal unter der Küchentür, sah mit zornrotem Gesicht dem Lärm und Treiben eine Weile zu und nickte verdrossen vor sich hin. Als ihr Martin zumutete, ein wenig mitzuhelfen, murrte sie mit bösem Blick: »Ich dank schön! Mit der Arbeit hab ich nichts zu schaffen!« Sprach's und warf hinter sich die Küchentür zu.

      »Was hat denn die Jungfer?« fragte der Förster. »Vergunnt s' leicht unserem guten Herrn Fürsten die freudig Überraschung net?«

      Martin zuckte die Schultern und schmunzelte.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Morgen, sonnig und mit wolkenlosem Himmel. Aber der Wind zog unruhig durch das Bergtal empor. Die höchsten Spitzen der Wände waren von milchigem Dunst umwoben, und der Sebensee leuchtete nicht wie sonst. Sein matt gekräuselter Spiegel hatte ein dunkles, schwermütiges Grün. Trotz alles Sonne redete etwas aus dem Bilde der Natur wie leise Angst.

      Von der Unruhe des Windes merkte man nicht viel beim kleinen Seehaus, dessen Blumengarten im Schutz des nahen Waldes lag. Nur selten tönten in den Wipfeln des Harfenbaumes die Glocken.

      Lolo kniete am Saum eines Beetes, um die verwelkten Almrauschdolden von den Stöcken abzulösen. Ihr Bruder, den die Joppe und das Lederhöschen besser kleidete als das schwarze Studentenröckl, saß im Schatten des Harfenbaumes am Tisch. Trotz der vierzehn »ganz freien« Tage hatte er seine Schulbücher mit zum Sebensee genommen, und da saß er jetzt über einer schriftlichen Aufgabe aus der römischen Geschichte. An der Feder war ihm die Tinte trocken geworden. Mit der Hand den Kopf stützend, blickte er sinnend zum dunstigen Blau des Himmels auf.

      »Bubi?« fragte die Schwester. »Wo bist du mit deinen Gedanken?«

      Aufatmend schob er die Feder hinters Ohr und nahm die Wangen zwischen die beiden Fäuste. »Weißt du, die Geschichte dieser Gracchen gibt mir furchtbar zu denken! Die haben es doch wirklich gut mit dem armen römischen Volk gemeint. Und doch haben sie unrecht bekommen und sind zugrunde gegangen. Eine solche Ungerechtigkeit sollte der liebe Gott nicht zulassen. Freilich, die alten Römer haben noch an ihre heidnischen Götter geglaubt, die doch in Wirklichkeit gar nicht existierten. Wir Christen glauben doch jetzt an den rechten, wahren Gott. Aber es ist doch eigentlich heutzutage auch nicht viel anders als im Altertum.«

      Die Schwester lächelte. »Hast du das in der Schule gelernt?«

      »Gottbewahre! Von so was reden sie doch in der Klasse nicht. Aber man hört und sieht doch so viel Unglück und so viel Trauriges. Weißt du, da muß ich immer drüber nachdenken, und da fallen mir oft Dinge ein, die ich mir gar nicht erklären kann.«

      »Sag mir so ein Ding!«

      »Alles Gute und Schöne in der Welt, das kommt doch von Gott, nicht wahr?«

      »Ja, Bubi.«

      »Und dann, ich weiß schon, es gibt ja auch Unglücksfälle – zum Beispiel, wenn ein Haus einstürzt, wie neulich in Innsbruck, und sieben arme Menschen erschlägt –, da kann natürlich der liebe Gott nichts dafür. Die Menschen hätten das Haus eben besser bauen sollen.«

      »Da hast du recht!«

      »Aber es gibt doch auch viel Unglück, an dem die Menschen nicht schuld sind. Ein Bergsturz oder eine große Überschwemmung. Oder der Blitz, der in ein Haus schlägt. Denkt nur, er schlägt sogar am liebsten in die Kirchen! Wie darf denn der liebe Gott so was zulassen? Oder eine Lawine, die einen ganzen Wald verschüttet? Das kann ich mir nicht vorstellen, daß Gott eigens den Wald hat wachsen lassen, nur damit er zugrunde geht. Und dann die Raubtiere zum Beispiel! Wo kommen denn die her? Und das Ungeziefer? Und die giftigen Pflanzen? Und alle die anderen bösen Dinge? Sag mir, Lo, wer hat denn das alles gemacht?«

      »Gott! Wer sonst?«

      »Aber Lo! Wie kann Gott dann lieb und gut sein?«

      »Doch! Er ist es.«

      »Das versteh ich nicht. Ich bitte dich, Lo, das mußt du mir erklären!«

      »Sieh dir einmal die Sonne an! Ist Gott, der sie erschaffen hat, nicht groß und gut? Und die Berge dort? Wie schön sie sind! Und hier, sieh nur, die Blumen!«

      »Freilich, ja, das alles ist gut und schön, das kann nur Gott erschaffen haben. Aber das Böse, Lo?«

      »Das Böse? Ich kenne nichts Böses.«

      »Aber