Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


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wußte der kleine Bursch nicht gleich eine Antwort zu finden. »Ich – weißt du, ich meine, was den Menschen nicht gefällt – und was ihnen schadet, das alles ist doch böse.«

      »Meinst du?« Lo erhob sich und schüttelte die welken Blüten von ihrem Schoß in ein Körbchen, das auf dem Kiesweg stand. »Also, die Henne ist gut, weil sie Eier legt, sagt der Bauer. Und der Fuchs, sagt er, ist böse, weil er die Henne frißt. Und gut ist das Pulver, und gut ist die Bleikugel, mit der man den bösen Fuchs erschießen kann. Aber ist denn der Fuchs nicht auch ein Geschöpf, das leben will? Wird der Fuchs nicht sagen: › Ich bin gut, und bös und grausam ist der Jäger, der mich erschießt‹? Wer hat nun recht von den beiden?«

      Gustl begann diesen Widerspruch von der heiteren Seite zu nehmen und lachte.

      »Nein, Bubi, da sollst du nicht lachen. Ich mein es ernst. Wer von den beiden hat recht?«

      »Freilich, wenn ich ein Fuchs wäre, würd ich auch sagen: ›Bös sind die Menschen, die mich erschießen.‹ Aber ich bin doch kein Fuchs. Ich bin ein Mensch.«

      »Und deshalb willst du recht haben? Aber jetzt denk einmal: neulich bin ich unserem Nachbar begegnet. Der war vor Zorn ganz rot im Gesicht. Und weißt du, warum?«

      »Weil der Fuchs ihm die Henne gestohlen hat?«

      »Nein! Weil der böse Jäger den guten, nützlichen Fuchs erschoß, er auf dem Feld des Nachbars alle Maulwürfe und Engerlinge verspeiste.«

      Gustl schwieg, und während er die Brauen furchte, blickte er sinnend zur Schwester auf, die zur Bank kam und sich an seine Seite setzte. Dann sagte er langsam. »Du, Lo! Ich glaube, jetzt versteh ich, wie du es meinst. Da hat doch eigentlich jeder recht. Und keiner. Und der Fuchs ist nicht gut und nicht bös. Er ist halt ein Fuchs. Und wie er ist, so muß man ihn nehmen – weil er einmal da ist.«

      »Ja, Bubi! Siehst du, wenn du ruhig nachdenkst, dann kommst du schon selbst auf das Richtige. Wie mit dem Fuchs, so ist es mit allen anderen Dingen. Alles in der Welt ist so, wie es sein muß, wie es immer war und immer bleiben wird. Gut und bös? Das hat mit den Dingen der Welt nichts zu schaffen. Das sind nur Worte, die der Mensch in seinem Eigennutz erfunden hat. Und den Bau der großen unendlichen Welt, das ganze herrliche Wunderwerk der Schöpfung nur nach den kleinen Dingen zu beurteilen, die uns Nutzen oder Schaden bringen, ist das nicht töricht und unschön?«

      »Ja, Lo, da hast du wirklich recht!«

      »Und sieh nur, Kind, es gibt doch so viel schöne Dinge auf der Welt, die uns lehren, die Schöpfung zu lieben und zu bewundern. An die müssen wir uns halten, wenn wir Freude am Leben haben wollen – nicht an die anderen, die uns böse, grausam und ungerecht erscheinen, und weil wir sie nicht verstehen, nur weil wir sie gerne anders hätten, so, wie es uns paßt. Denke nur, Kind: die Welt ist so groß, und wir Menschen sind so klein. Da kann sich doch nicht alles um uns allein drehen. Was uns schadet, was uns weh tut? Wer kann wissen, ob das nicht notwendig ist zum Wohl und Nutzen der ganzen Schöpfung? Wir müssen von dem, was wir als schön und gut erkennen, einen Schluß auf alles andere ziehen und sagen: In jedem Ding der Welt, ob es tot ist oder atmet, lebt der große, weise Wille des Schöpfers. Uns kleinen Menschen fehlt nur der Verstand, um diesen Willen zu begreifen. Wie alles ist in der Welt, so muß es sein. Und wie es auch immer sein mag, immer ist es gut im Sinne des Schöpfers.«

      »Aber dann müßte man doch immer mit allem zufrieden sein? Und eigentlich hätte dann auch kein Mensch ein Recht, daß er sich beklagt?«

      »Dieses Recht, Kind, hat jeder Schwache, der nicht die Kraft besitzt, seinen Schaden zu verschmerzen und das Unabänderliche zu tragen.«

      »Wenn man aber die Kraft nicht hat? Kann man das lernen, Lo?«

      »Ja! Man kann es. Und wer das lernte: stark sein im Schmerz; nicht wünschen, was unerreichbar oder wertlos ist; zufrieden sein mit dem Tag, wie er kommt; in allem das Gute suchen und Freude an der Natur und an den Menschen haben, so, wie sie nun einmal sind; für hundert bittere Stunden sich mit einer einzigen trösten, die schön ist; und aus Herz und Können immer sein Bestes geben, auch wenn es keinen Dank erfährt – wer das lernte, der ist ein Glücklicher! Frei und stolz! Sein Leben ist immer schön und reich. Und nichts kann ihm geschehen. Er kann nur sterben und lächeln dabei.«

      In tiefer Bewegung legte sie den Arm um den Hals des Bruders. »Und weißt du, wer solch ein Glücklicher war?«

      Heiße Röte flammte über das Gesicht des Knaben. »Ja, Lo, ich weiß es! – Unser Vater!«

      Die Schwester nickte nur. Dann saßen sie schweigend und blickten zu den leis tönenden Wipfeln des Harfenbaumes auf. Doch jäh verwandelte sich dieses sanfte Klingen. Ein starker Windstoß kam über den Wald gebraust und schüttelte die Zirbe, daß die Glocken wirr durcheinander klirrten. Mit ernsten Augen sah Lo zum Himmel und zu den Bergen auf. »Sieh nur, der Wind hat gewechselt!« sagte sie zögernd. »Ich fürchte, wir bekommen heute noch böses Wetter.«

      »Aber Lo!« Gustl versuchte zu lachen. »Du? Und fürchten?«

      » Du bist bei mir!« sagte sie und strich dem Bruder das Haar aus der Stirn.

      Da klang ein gellender Jauchzer aus dem Wald.

      »Das ist der Loisli!« rief Gustl und ließ zur Antwort seine Stimme schrillen.

      Der Hüterbub kam zum Gartenzaun gesprungen, so atemlos, daß er den Gruß kaum herausbrachte. Während er nach Luft schnappte, tauschte er schon mit Gustl einen wichtigen Blick und blinzelte zum See hinunter.

      »Aber Bub«, sagte Lo, »weswegen hast du denn wieder so rennen müssen?«

      »Daß ich – gschwinder da bin – und länger bleiben kann!«

      »So? Na also, dann bleib halt!« Sie nahm den Proviant, den er gebracht hatte, und stellte das Geschirr in den Schatten der Hütte.

      Diesen Augenblick benützte der Bub, um Gustl zuzuflüstern: »Heut beißen s', d' Fisch! A Wetter kommt!«

      Gustl rannte mit heißem Eifer hinter die Hütte und brachte die Angelrute.

      »Ach so? Ihr wollt fischen?«

      »Ja, Lo! Gelt, ich darf? Weißt du, der Loisli kann's so gut.«

      Wieder fuhr ein Windstoß über den Wald, und wieder blickte das Mädchen in Unruhe zum Himmel auf. »Kind! Ich glaube fast, es wäre klüger, wenn wir heimgingen.«

      »Schon heute, Lo?« dem Knaben schossen Tränen in die Augen.

      »Ein schweres Wetter wird kommen.«

      »Aber Lo! Es ist doch der ganze Himmel blau.«

      »Jetzt, ja! In ein paar Stunden wird's anders aussehen.«

      »Ja, Fräuln«, fiel Loisl höchst undiplomatisch ein, während er an der sonnigen Hüttenwand eine Fliege nach der anderen fing, um Köder für die Angel zu sammeln, »heut wird's grob auf d' Nacht.«

      »Hörst du? Und denk nur, wie Muttl sich wieder sorgen wird.«

      »Aber schau, Lo, sie weiß doch, ich bin bei dir. Da bin ich gut aufgehoben. Auf dich kann Muttl sich doch verlassen. Ich bitt dich, Lo!«

      Es wurde ihr schwer, dieser Stimme und diesen nassen Augen zu widerstehen.

      »Und schau, Lo, ein Gewitter ist doch wirklich nichts Böses. Das ist halt auch, wie es sein muß. Und wir haben doch fünf Stunden bis hinaus. Da könnten wir doch erst recht ins Wetter kommen.«

      Sie lächelte. »Du kleiner Schlaukopf, du! Na, meinetwegen, geh fischen! Ich will ein paar Zeilen heimschreiben. Der Sebener Senn trägt heute ab, und dem geb ich sie mit. Dann hat Muttl den Brief vor Abend, und wenn es zu gießen anfängt, weiß sie, wir sind unter Dach.«

      Ein stürmischer Kuß. Und mit lachender Freude tollten die beiden Jungen zum See hinunter.

      Lolo setzte sich an den Tisch. Die Hände im Schoß und den Kopf an den Baum gelehnt, blickte sie in Gedanken zu den wehenden Zweigen auf. Sie schien das Schwanken und Neigen